It’s the Interaction, Stupid
Publiziert am 16. Januar 2015Ein Unding: Die Wirkung von Social Media wird oft einzig und allein mit der Anzahl “Follower“ auf Twitter und „Likes“ auf Facebook bewertet. Gerade politische Akteure fokussieren auf diese Messgrösse. Exemplarisch das Beispiel der Luzerner Kantonalparteien, die im Wahlkampf stehen. Am 29. März werden dort Parlament und Regierung bestimmt. Heute nahm sich die „Neue Luzerner Zeitung“ (NLZ) dem Thema an und publizierte diese Grafik:
Diese simple Grafik hatte zur Folge, dass sich heute Morgen auf Twitter ein paar Luzerner Politiker dazu äusserten und es, was Wunder, als Ranking interpretierten. (“Ha, wir sind Sheriff auf Facebook, ihr auf Twitter.”) Absolute Zahlen haben eine bescheidene Aussagekraft. Es gibt eine ganze Reihe weitere Grössen, die man messen könnte. Das bräuchte Analysetools, Erfahrung und Zeit – Letzteres ist bei Milizparteien immer zu wenig vorhanden.
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NLZ-Redaktor Lukas Nussbaumer stellte mir gestern ein paar Fragen zu Social Media und Politik. Ein kleiner Teil meiner Antworten floss in seinen Artikel von heute ein. Nachstehend die ungekürzten Antworten.
Als wie wichtig für Parteien erachten Sie die Pflege von Facebook- und Twitter-Kanälen?
Mark Balsiger: Social Media werden immer wichtiger und gute Anbieter bauen ihre Reichweiten schrittweise aus. Etwa ab dem Jahr 2020 werden die „Digital Natives“ in unserem Land in der Mehrheit sein. Diese Leute fragen und suchen nicht mehr lange im Netz: Eine Firma, eine Partei oder Kandidierende sind auf den wichtigsten Kanälen präsent und werden schnell gefunden – oder sie existieren schlicht nicht. Da stehen unsere Milizparteien vor einer Herkulesaufgabe.
Facebook und Twitter sind die populärsten Kanäle der Schweizer Politik. Mit ihnen erreichen Parteien Wählersegmente, die keine traditionellen Medien konsumieren, es sind ergänzende Angebote, die ein anderes Texten verlangen. Dazu kommt das Monitoring, das Mitdiskutieren, die stetige Bewirtschaftung dieser Kanäle – eine Herausforderung.
Die Zahl der Likes auf Facebook und der Follower auf Twitter ist klein. Der CVP als grösster Luzerner Partei zum Beispiel folgen auf Twitter bloss 372 Personen, Facebook-Likes sind es 817. Dennoch betont der Parteipräsident die Wichtigkeit dieser Auftritte in den sozialen Medien. Steigt die Bedeutung künftig?
Social Media sind viel mehr als „Likes“ und „Followers“, am wichtigsten wären Interaktionen. Um einen weltweit bekannten Slogan abzuwandeln: “It’s the Interaction, Stupid”. Interaktionen wie zum Beispiel Teilen, Kommentieren usw. finden bei den Luzerner Parteien kaum oder gar nicht statt, ihre Onlineauftritte sind faktisch tot. Die Zeit der Webnutzer ist zu knapp und es gibt im politischen Kuchen zu viele Anbieter. Einzelne Politiker konnten sich frühzeitig und mit grossem Engagement persönliche Online-Profile aufbauen, auf denen dieser Austausch stattfindet. Sie stehen damit den Parteien in der Sonne.
Was müssen Parteien im Zusammenhang mit Facebook und Twitter besonders beachten?
In meinem neusten Buch „Wahlkampf statt Blindflug“ entwickelte ich eine Formel für das erfolgreiche Wirken auf diesen beiden Kanälen. Sie heisst: „i-hasi“ und steht für interaktiv, humorvoll, authentisch, stetig und interessant. Zumindest den Faktor stetig können die Luzerner Parteien einlösen, an den anderen sollten sie weiter arbeiten.
Twitter haben einige, mit Verlaub, noch nicht richtig verstanden. Zwei Beispiele: Der aktuellste Tweet einer grossen Partei stammt vom 9. Dezember letzten Jahres, wurde also vor rund fünf Wochen in die Welt gesetzt. Man hat nicht den Eindruck, dass diese Partei schon in den Wahlkampfmodus gewechselt hat. Twitter ist ein Echtzeit-Medium, das originell und pointiert eingesetzt werden sollte. Eine andere Luzerner Partei setzte unlängst einfach einen Hyperlink – ohne Teaser oder Zusatzinformation. So etwas dürfen sich Shakira, Roger Federer oder US-Aussenminister John Cerry erlauben, nicht aber eine Kantonalpartei.
Was ist aus Ihrer Sicht als Politologe in einem kantonalen Wahlkampf das Wichtigste für eine Partei?
Zentral ist ihr Image. Sie sollte Rückenwind haben von der Partei auf nationaler Ebene und deren Aushängeschildern. Sie braucht glaubwürdige und bekannte Kandidierende, die den Markenkern der Partei verinnerlicht haben und verkaufen können. Wegen der Flut von Kandidierenden, die ohne Wahlchancen und inneres Feuer antreten, ist das nicht zu schaffen. Oft erschöpft sich der kantonale Wahlkampf in der Kreation von Werbemitteln und in Standaktionen, es wird abendfüllend über Slogans gebrütet und diskutiert. Dabei ist das nur Verpackung. Für die Wählerinnen und Wähler ist der Zuckerguss von geringer Bedeutung.
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Die Berichterstattung der “Neuen Luzerner Zeitung” vom 16. Januar 2015 zum Herunterladen: