Jekami verwässert den Wahlkampf
Publiziert am 29. Juli 2011In drei Monaten gehen die eidgenössischen Wahlen über die Bühne. Auch dieses Mal ist ein Drittel der Kandidierenden mit angezogener Handbremse unterwegs. Sie stellten ihren Namen zur Verfügung, wurden auf einer Unterstützerliste parkiert, schreiben vielleicht einen Leserbrief, gehen zum Fototermin und verteilen ein paar Hundert Flyer, that’s it. Ein solcher Schwachstrom-Wahlkampf, pardon, verwässert das Profil der Parteien. Nebst dem bekannten Jekami (Jeder kann mitmachen) gilt offenbar auch das Jemuka (Jeder muss kandidieren) – keine gute Entwicklung.
So einzigartig das politische System der Schweiz ausgestaltet ist, so eigentümlich hat sich der Wahlkampf entwickelt. Zunächst sticht die Vielzahl Kandidaturen ins Auge: In diesem Jahr wird die 3000er-Grenze zum zweiten Mal in der Geschichte des Modernen Bundesstaats überschritten. Zum Vergleich: 1931 stellten sich rund 770 Kandidaten für die Nationalratswahlen zur Verfügung, 1971 waren es bereits 1700 – darunter erstmals auch Frauen.
In den letzten 40 Jahren hat sich die Anzahl Kandidierende fast verdoppelt. Wieso? Wird ein Nationalratsmandat immer populärer? Vielleicht. Eine plausiblere Erklärung für den Trend liefert die Anzahl Listen: 1971 wurden schweizweit 151 Listen eingereicht, 2007 waren es 311, also mehr als doppelt so viele. (Zum Vergleich: Die Wohnbevölkerung stieg in dieser Zeitspanne um 26 Prozent, von 6,2 auf 7,8 Millionen Menschen. Die Anzahl Stimmberechtigte führt das BfS erst seit 1990 auf. 2011 sind es 5,09 Millionen Menschen. )
Gemäss einer Vollerhebung, die ich von der Universität Bern aus gemacht habe, investierte bei den Nationalratswahlen 2003 jeder dritte Kandidat maximal 500 Franken für seine persönliche Kampagne. Damit lassen sich eine Schachtel Flyer oder zwei kleine Inserate in einem Lokalanzeiger finanzieren. Dieser Anteil dürfte sich seither nicht signifikant verändert haben.
Viele der U-500-Franken-Kandididaten landen auf zusammengewürfelten Unterstützerlisten, die beispielsweise aus Senioren, KMU-Vertreterinnen oder Auslandschweizern bestehen. Oft sind sie mit den Kernthemen der dazugehörigen Parteien wenig vertraut. Die Unterstützerlisten haben nur einen Zweck: Sie sollen ein paar Tausend Stimmen zugunsten der mit ihnen verbundenen Hauptlisten generieren.
Bei den Parteien hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass sie mit vielen Ködern und zusätzlichen kleinen Netzen mehr Fische an Land ziehen können. Ein Beispiel: Vor vier Jahren wurden im Kanton Zürich nicht weniger als 804 Kandidierende auf 29 verschiedenen Listen ins Rennen geschickt – 13 davon waren Unterstützerlisten.
Wie bescheiden die Unterstützerlisten abschneiden, zeigen ein paar Ergebnisse der Nationalratswahlen 2007 im Kanton Zürich:
– SVP International 0,19%
– Secondos (SP) 0,37%
– Junge FDP 0,39%
– Grüne Unternehmer 0,42%
Natürlich können genau diese Nullkommaöppisprozentli den Ausschlag für ein Restmandat geben, das der Hauptliste zufällt. Dass der Wahlkampf aber mit schwach motivierten Kandidierenden und zahllosen Unterstützerlisten verwässert wird, ist eine Tatsache. Ein solches Jekami schwächt das Profil der Parteien an der Basis (Jekami steht für Jeder kann mitmachen.)
Eine Trendwende zu weniger Kandidierenden und weniger Listen ist nicht in Sicht. Sie könnte realisiert werden, wenn man Listenverbindungen und Unterlistenverbindungen verböte. Das brächte nicht zuletzt viele junge Kandidierende in eine bessere Position: Statt sie auf irgendwelchen Unterstützenlisten zu parkieren, fänden die Wägsten Platz auf den Hauptlisten.
Mark Balsiger
Foto Wahlurne: keystone
Wie wäre es denn, die Möglichkeit von Listenverbindungen abzuschaffen?
Der aus diesem Konstrukt hervorgehende arithmetische Poker ist für den Wähler ohnehin nicht zu durchschauen. Im Sinn der Transparenz (Was passiert mit meiner Stimme genau?) gehören Listenverbindungen abgeschafft.
[…] Rekordzahl Kandidaturen (rund 3500) und Listen (mehr als 300) führte zu einer weiteren Verwässerung des Wahlkampfes. Nicht einmal die grossen Themen wurden vertieft diskutiert, es ist eine zunehmende […]