“Journal B”: Eine Berner Medienstimme verstummt, bevor sie gehört werden konnte
Publiziert am 29. Mai 2013Neun Monate nach dem Start wird dem Onlinemagazin «Journal B» der Stecker gezogen. Es seien nicht genügend Leute bereit, “jährlich 250 Franken für ein unabhängiges Medium im Raum Bern zu bezahlen“, heisst es in einer Medienmitteilung des Trägervereins. Die fünf Redaktionsmitglieder, die sich 350 Stellenprozente teilen, werden entlassen. Das frühe Aus kommt auf den ersten Blick überraschend. Schlaglicht auf zwei Fakten und zwei Irrtümer.
VON MARK BALSIGER
Das “Niveau von «Bund» und «Berner Zeitung» ist gesunken”, kritisierte der frisch formierte Trägerverein des «Journal B» vor Jahresfrist. Ende September schob er sein Onlinemedium ins Netz. Der Claim war selbstbewusst und machte Hoffnung: “Sagt, was Bern bewegt.” Die Finanzierung schien solid zu sein: “Der Betrieb von «Journal B» ist vorerst bis Ende 2014 gesichert”, sagte Chefredaktor Beat Kohler im September letzten Jahres.
Fakt Nummer 1 ist, dass Medien mindestens drei bis vier Jahre brauchen, um den Break-Even zu erreichen.
Finanziert wird das jüngste Berner Medienkind von der «Stiftung für Medienvielfalt» aus Basel, die auch die «TagesWoche» unterstützt, der Ursula-Wirz-Stiftung (Maschinenfabrik Wifag, Bern) sowie von Vereinsmitgliedern. Ziel war es, 1500 Personen zu gewinnen, die jährlich 250 Franken bezahlen sollten. Wie sich schon bald zeigte, war dieses Ziel sehr ambitioniert, um nicht zu sagen: unrealistisch. Anfang Mai zählte der Verein gerade einmal 200 Mitglieder.
Die Medien auf dem Platz Bern zu kritisieren ist das eine, aus dem eigenen Portemonnaie 250 Franken einzuschiessen das andere. Die Bereitschaft für ein finanzielles Commitment wurde komplett überschätzt – Irrtum Nummer 1.
Die Namen in Vorstand, Verein und Redaktionsbeirat lesen sich wie ein Who is Who der Kulturszene und des links-grünen Politkuchens. Noch bevor «Journal B» überhaupt online ging, hatte es schon einen Stempel erhalten. “Aha, das wird das Sprachrohr von Rot-Grün!”, vermutete man in anderen Kreisen. Und deshalb blieb die Breitenwirkung aus, die dieses Projekt für den publizistischen und finanziellen Erfolg gebraucht hätte.
Im Kreis der Promotorinnen und Promotoren gab es etliche, die von einem schlagkräftigen linken Medium träumten, von einer «Berner Tagwacht» in Netz war die Rede, mit der man die kommunalen Wahlen mit Links gewinne. Doch es gibt keine Renaissance der Parteipresse – Irrtum Nummer 2.
Die Stadt Bern zählt rund 130’000 Einwohnerinnen und Einwohner; zusammen mit den Nachbargemeinden könnten rund 250’000 Menschen erreicht werden. Diese Grösse ist bescheiden, aber ein ambitioniertes neues Medium hat gleichwohl die Chance, sich einen Platz zu erkämpfen. Will es sich neben den Platzhirschen etablieren, muss es regelmässig Stoffe liefern, die zum Stadtgespräch werden. Es muss eigenständige Ansätze und kluge Analysen bieten. Und es muss aus der Nische heraus zu einer komplementären Stimme werden, die nicht zu überhören ist.
Für aufwändige Recherchen und publizistische Glanzlichter braucht es Journalisten mit Feuer, Erfahrung und einer eleganten Feder, es braucht Journalistinnen, die bereit sind, eine Meile weiter zu gehen als die etablierte Konkurrenz. Jeden Tag aufs Neue.
Fakt Nummer 2 ist, dass es die «Journal-B»-Redaktion nicht schaffte, Geschichten, die man gelesen haben muss, zu realisieren. Die Leidenschaft fehlte.
Wer aus diesen Zeilen Häme lesen sollte, täuscht sich. Ich finde es betrüblich, dass keine weitere Berner Medienstimme erklingt. Es hätte Platz gehabt dafür. Was auch einmal erwähnt werden darf: «Berner Zeitung», «Bund» und das Regionaljournal Bern/Fribourg/Wallis von Radio SRF erbringen gute Leistungen, notabene mit heruntergesparten Redaktionen.
Weitere Beiträge zum Thema:
– «Journal B» ist gescheitert (Radio SRF, 29. Mai)
– «Journal B» gescheitert – Redaktoren erhalten Kündigung
(Berner Zeitung, 29. Mai)
– Zu wenig Mitglieder, zu wenig bekannt und zu wenig Geld für einen Sozialplan (Bund, 30. Mai)
Foto: adi
Schade, meine Anteilnahme gilt den betroffenen Redaktionsmitgliedern. War selber bei einigen gescheiterten Medienprojekten dabei.
Die Frage sei aber schon erlaubt, warum nur ein paar Kilometer von Bern entfernt das Onlineportal Bern-Ost seit Jahren funktioniert, Journal B dagegen so schnell gescheitert ist. Mir fehlten von Anfang an die Rubriken Sport, Wirtschaft und Region (also Blicke über Bern hinaus) – und erst recht der Wille, halt auch regelmässig Behördenmeldungen weiterzugeben. Man kann auch kritischen und exklusiven Journalismus machen, wenn man auch mal wie alle anderen weitergibt, wo es gebrannt oder was die Verwaltung mal wieder neue Vorschriften in die Welt gesetzt hat.
Hoffe, Journal B verkommt jetzt nicht definitiv zum links-grünen Sprachrohr.
der slogan “sagt, was bern bewegt” war schon etwas sehr kühn und was dann wirklich drin stand, hatte damit so gar nichts zu tun. hier klafften anspruch und wirklichkeit sehr weit auseinander. zu weit. mit kryptischen bildblogs von ambitionierten jungfotografen und intis mit angestrengten hipsters holt man keine ausreichend grosse leserschaft.
schon allein deshalb ist es nicht verwunderlich, dass nicht mehr leute zahlen wollten. aber auch das bezahlmodell mit einer fixen summe von 250 war eher letztes jahrhundert und wenn ich jetzt auf der seite schaue, finde ich nirgends einen hinweis auf eine unterstützungsmöglichkeit. aber gut, vielleicht machen sie ja ihr fundraising via papier und post.
kurz und gut, nennen wir das kind beim namen: das projekt war schlecht gedacht und schlecht gemacht. dies zeigt u.a. auch die seitenleiste – da gibts neben uralten posts aus social media kanälen ganz unten noch eine empfehlung der redaktion: ein link zu meteoschweiz.ch. womit auch klar wäre, was bern wirklich bewegt, nämlich das wetter.
‘@ Matthias Engel
Ein guter Vergleich: Weshalb funktioniert das Onlineportal http://www.bern-ost.ch/, lies: hat es offenbar genug Traffic und Werbeeinnahmen, um sich zu finanzieren – und weshalb scheitert “Journal B” schon nach 9 Monaten?
Wurden bei der Ankündigung zu hohe Erwartungen geschürt, während man in Bern-Ost mit kleinen Brötchen begann – und diese auch heute noch fertigt.
‘@ bugsierer
Danke für deine Ergänzungen. Und ja, ich verstand auch nicht, was die Tweets & Co. auf der Seite, zum Teil bis zu drei Wochen alt, für einen Zweck zu erfüllen hatten.
Vielleicht, und jetzt schimmert bei mir wieder der Optimist durch, klappt es beim zweiten Versuch. Als Low-Budget-Projekt zwar, von dem voerst niemand etwas erwartet, aber das gerade deswegen unbeschwert starten kann – und immer wieder überrascht.
‘@ markbalsiger
na ja, da bin ich weniger optimistisch. schon allein der name “milizsystem” macht mich da sehr misstrauisch. da läuft ja schon im wording irgendwas ganz schief.
was ich ziemlich anmassend finde ist diese selbstüberschätzung:
“Seitdem Journal B im September des vergangenen Jahres online gegangen ist, konnte sich das Magazin eine Leserschaft aufbauen. Das zeigt sich auch am Nutzungsverhalten in den sozialen Medien. Hier erarbeitete sich Journal B – auch im Vergleich zu den Mitbewerbern im Raum Bern – ein Publikum respektabler Grösse.”
quelle: http://www.journal-b.ch/de/052013/alltag/1144/Neue-Struktur-für-Journal-B.htm
das ist schwurbligster pr-sprech, der jeder grundlage entbehrt. gerade in den sozialen medien hatte journalB sozusagen nichts zu melden. das zeigt ja auch die angesprochene seitenleiste mit den vielen uraltposts – und der vergleich mit den mitbewerbern ist an arroganz kaum zu überbieten.
mit dieser haltung wird das nichts. ehrlicher wäre, den laden ganz dicht zu machen und damit raum zu schaffen für wirklich leidenschaftliche innovationen.