“Journalisten sollten ernsthafter werden – und die Leserschaft ernst nehmen”

Publiziert am 15. November 2009

Alljährlich im November findet der Berner Medientag statt. Dieses Mal stand er unter dem Motto “Ausgepresste Presse – ist die abonnierte Zeitung am Ende?”

Ich verzichte darauf, den Content, pardon, den Inhalt der Podiumsdiskussionen näher zu beleuchten. Ein halbes Dutzend Kernaussagen sind auf meinem Twitter-Account festgehalten. Die Gedanken von Hanspeter Spörri (Foto), von 2000 – bis 2007 Chefredaktor am “Bund” und seither freier Publizist, finde ich wertvoll.

Es lohnt sich, Spörris Gedanken wirken zu lassen, ich gebe sie deshalb stark gekürzt weiter. In der Rolle des Provokateurs ortete er sechs Probleme – er nannte es Fehler -, die bei den klassischen Printmedien gemacht werden:

1.  Es wird Content statt journalistischer Inhalt produziert. Content ist austauschbar, Retortenjournalismus.

2.  Die Stimmung auf den Redaktionen ist miserabel. Der Output steigt, die Intensität nimmt ab. Journalismus ist ein Beruf, in dem man nicht mehr anständig alt werden darf.

3.  Es herrscht Vulgär-Optimismus. Da es seit nunmehr neun Jahren abwärts geht, wird der Optimismus zum Zwang.

4.  Medien biedern sich dem Publikum an. Sie werden zuerst schneller, dann regionaler, später life-styliger oder umgekehrt, usw.

5.  Journalisten sind eitel geworden und zu wenig selbstkritisch. Sie sollten ernsthafter werden und die Leserschaft ernst nehmen.

6.  Journalisten sind zu wenig optimistisch.

Foto Hanspeter Spörri: Daniel Bernet

6 Replies to ““Journalisten sollten ernsthafter werden – und die Leserschaft ernst nehmen””

  1. Eigentlich muss man das nicht lange wirken lassen. Hanspeter Spörri bringt vor allem auf den Punkt, was Sache ist.

    Mehr im Mittelpunkt stehen sollte eher die Frage, wie man das den Verlegern klar macht…

  2. Komisch: Alle schreiben über den Faktor Inhalt – niemand über den Faktor Zeit! Alle schreiben über den Faktor Journalismus – niemand über den Faktor Privilegien! Über den Faktor Zeit habe ich mich hier bereits hinlänglich geäussert. Deshalb direkt zu den Privilegien.

    Vor dem Internet genossen Journalisten Privilegien. Nebst vielen anderen auch jene des Zugangs und der Interpretation. Beide sind derzeit am Wegbrechen. Der Zugang ist heute durch RSS-Feeds, online verbreiteten Medienkonferenzen und Direktübertragungen breiter geworden, vielfältiger und dadurch auch weniger privilegiert.

    Das zweite Privileg betrifft die Interpretations-Hoheit. Medien waren früher unidirektional. Heute sind sie bidirektional. Und erst noch in Echtzeit. Die Interpretation von Fakten und Ereignissen wird heute nicht mehr einfach hingenommen. Journalisten sehen sich damit einer fundamentalen Infragestellung und einer sofortigen Bewertung ihrer Arbeit ausgesetzt. Etwas, was in der bisherigen Geschichte dieses Berufsstandes einmalig ist.

    Wie tief diese Erfahrung geht, hat u.a. die Geschichte um die „Korrektur-Website“ des VBS gezeigt. Damit wird nicht mehr und nicht weniger als an den Grundfesten dieses Berufsstandes, nämlich dem eigenen Selbstverständnis gerüttelt.

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