Keine Sternstunden der Demokratie
Publiziert am 05. November 2012Morgen fällt der Vorhang. Zum Glück. Das Stück “U.S. Presidential Election 2012” war arm an Höhepunkten, laut und degoutant. Nicht einmal sechs von zehn Amerikanerinnen und Amerikaner werden am Urnengang teilnehmen. Anmerkungen zum Duell Romney vs. Obama, das immer wieder die Fratze des Wahlkampfes zeigt.
Vor wenigen Wochen hat einer meiner Studenten eine Definition für den Wahlkampf kreiert, so klar wie rein:
“Wahlkampf ist die Sternstunde der Demokratie.”
Die Blüten, die der Wahlkampf in der ältesten Demokratie der Welt treibt, sind giftig. Die Tea-Party-Bewegung ist seit vier Jahren auf einem Kreuzzug gegen die Administration Obama. Die Parteien schaffen es nicht einmal mehr, eine lose Klammer über alle Gruppierungen zu bilden, Partikulärinteressen stehen im Vordergrund. Allein die Super-PACs machten in diesem Jahr 970 Millionen Dollar locker. Die Präsidentschaftswahlen wiederum verschlangen insgesamt 2,6 Milliarden Dollar, vor vier Jahren waren es übrigens 2,8 Mrd. Dollar gewesen.
Seit Monaten dauert das flächendeckende Kampagnen-Bombardement an. Besonders häufig zum Einsatz kamen die so genannten Negative Ads, auch Attack Ads genannt, also Attacken auf den Gegner. Diese Form von TV-Spots hat Tradition und kann brutal effektiv sein. Allerdings nur, wenn die Fakten stimmen. In diesem Jahr implodierten viele “Negatives”, zurück blieben Zynismus und eine noch grössere Politikverdrossenheit als früher.
Die Bürger in diesem tief gespaltenen Land wissen auch einen Tag vor den Wahlen nicht recht, wofür die beiden Präsidentschaftskandidaten stehen. Beide haben es verpasst, sich ein klares Profil zu erarbeiten und mit einer Road Map zur Revitalisierung der USA aufzuwarten. Stattdessen liefern sie bis zum Schluss dreckige Schlachten. Einzelne Gruppierungen werden gezielt demotiviert, überhaupt an den Wahlen teilzunehmen. Anderen wird ebendiese Teilnahme massiv erschwert. Wahrlich keine Sternstunden der Demokratie.
Die Medien füllen seit Langem zahllose Spalten und Sendegefässe über die aktuellen Aufreger, die tags darauf schon wieder Schnee von gestern sind. Das aufgeregte Geschnatter wurde zum Selbstzweck, der Overkill ist total.
Der Wahlkampf 2012 begann am 5. November 2008, einen Tag nach Barack Obamas Triumph. Der Wahlkampf 2016 beginnt am nächsten Mittwoch und nichts deutet darauf hin, dass die vergiftete Atmosphäre der letzten vier Jahre sich verziehen würde.
Die Ironie des Schicksals: Trotz eines epischen Kampfs mit schier unerschöpflichen Ressourcen und hoch professionellem Grassroot-Campaigning (von den Schweizer Medien weitgehend ignoriert) dürfte letztlich eine Naturgewalt den Wahlausgang entscheidend beeinflusst haben. “It was Hurricane Sandy that turned the tide”, um eine mögliche Schlagzeile vorwegzunehmen.
Fotomontage Mitt Romney und Barack Obama: the daily beast
Ist eine ähnliche Tendenz nicht europaweit auszumachen, wenn auch nicht mit den gleichen Mitteln?
Ich denke da an unsere letzten Wahlen (obschon es weniger um Personen und mehr um Parteien ging) oder an die Wahlen von Präsident und Parlament in Frankreich (von Italien brauchen wir gar nicht erst zu reden).
Und Steinbrück, der eigentlich nur gewinnen kann, ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, auch nicht bezüglich Gehässigkeiten.
‘@Titus
Natürlich, diese Tendenz darf auch unter dem genauso riesigen wie schwammigen Begriff “Amerikanisierung” zugeordnet werden. In meiner Beobachtung haben die USA in den letzten vier Jahren eine ungute Entwicklung durchgemacht. Es sind nicht mehr nur Gehässigkeiten und Auseinandersetzungen wie früher, sondern unversöhnliche, von Hass durchsetzte Positionsbezüge und Propagandaschlachten.