Linke Alternative versucht es “Top-down” statt “Bottom-up” – eine Première

Publiziert am 22. November 2009

Die Schweiz scheint ein guter Nährboden zu sein für neue Parteien. So sind in den letzten Jahren entstanden:

Grünliberale Partei GLP (2004, Abspaltung von den Grünen Zürich)
Bürgerlich-Demokratische Partei BDP (2008, Abspaltung der SVP)
Familiä-Partei (2007, inzwischen 3 Sektionen: Aargau, Bern, Solothurn)
Onlinepartei (2007, früher Internetpartei)
Piratenpartei (2009)

Gestern formierte sich eine weitere neue Partei, ihr Name: Linke Alternative. Sie will sich mit einem akzentuierten Linkskurs positionieren, weil die etablierte Linke in der Sackgasse stecke.

Neue Parteien werden gegründet und verschwinden meistens wieder. Das belebt jeweils die etablierten Parteien zu Beginn (wenn die Neuen Druck machen und erste Mandate gewinnen) und direkt nach der letzten Phase (aufgrund von Parteiübertritten).

Im linken Lager entstanden aus den Studentenunruhen von Ende der Sechzigerjahre die Progressiven Organisationen Schweiz (POCH, 1969 – 1993), die Revolutionäre Marxistische Liga (RML, 1969 – 1980) sowie die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP, 1980 – 1990, als Nachfolgepartei der RML). Nach den Auflösungen dieser Parteien schlossen sich viele Mitglieder der SP oder den Grünen an.

Ob die Linke Alternative Fuss fassen kann, ist offen. In jedem Fall ist der Weg zu Mandaten und Einfluss lang und steinig. Vermutlich macht ihr der Erfolg der deutschen Schwesterpartei Die Linke, die bei den Bundestagswahlen vor ein paar Monaten 11,9 Prozent erreichte, Mut.

linke_2Allerdings erkenne ich keine Parallelen zu der Entwicklung in Deutschland: Die SPD kann man nur beschränkt mit der SP Schweiz vergleichen. Zudem konnte Die Linke in den fünf deutschen Bundesländern im Osten die Strukturen und viele Mitglieder der DDR-Staatspartei SED (Sozialistische Einheitspartei) übernehmen. Sie hat aber auch zwei charismatische Leaderfiguren, die den anderen Parteien, insbesondere der SPD, auf der Nase herumtanzen: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi.

Der Umbau des linken politischen Spektrums ist zwar auch in der Schweiz im Gang. Zum einen kommen sich Grüne und SP zunehmend in die Quere. Zum anderen ergatterten sich die Grünliberalen in der Mitte eine Mische. Ihr schnelles Wachstum im urbanen Raum schmerzen SP und Grüne, aber auch die FDP.


Die Linke Alternative
wählt einen atyptischen Weg und gerade das macht es spannend, ihre weiteren Schritte zu verfolgen: Sie setzt nicht auf “Bottom-up”, wie das in der föderalistischen Schweiz üblich ist. Nein, sie will zuerst eine gesamtschweizerische Partei gründen. Sie versucht es also andersrum, “Top-down”. Für die Schweiz ist das eine Première.


Link: TV-Interview mit Florian Keller, Schaffhauser Kantonsrat der Alternativen Liste und einem der treibenden Kräfte der neuen Partei

10 Replies to “Linke Alternative versucht es “Top-down” statt “Bottom-up” – eine Première”

  1. Der Erfolg oder Misserfolg von Parteien hängt stark (aber nicht ausschliesslich) mit den Persönlichkeiten zusammen, welche diese Parteien vertreten, entweder weil sie neu, frisch, unverbraucht sind (glp) oder weil bereits bekannte und starke Persönlichkeiten einer Partei ein Gesicht geben (Lafontaine/Gysi, Blocher, Obama). Die politischen Ansichten und Anliegen selbst spielen eher eine zweitrangige Rolle.

    An starken Persönlichkeiten mit einer Vision und einer einfachen Botschaft mangelt es hierzulande aber. So werden die etablierten Parteien weiter verlieren und neue Parteien anfänglich von einem «Protest-Bonus» profitieren.

    Und wichtige Themen werden weiter aufgeschoben, immer in der Hoffnung, die nächsten Wahlen mögen die notwendige Mehrheit in unserem Vielparteienland bringen.

    Von einem Gemeinsinn ist weit und breit keine Spur…

  2. Noch bleibt ziemlich unklar, worin sich à gauche toute 2.0 vom letzten Versuch, in der Schweiz links von SP und Grünen eine Einheitspartei zu etablieren, genau unterscheidet. Das einzige, was sich seit 2003 sichtlich verändert hat, ist der Wähleranteil der möglichen Bündnisparteien. Es bräuchte – wie Titus schreibt – wohl schon ein paar charismatische Köpfe wie bei den deutschen Linken, wenn diesmal alles anders werden soll.

  3. Wenn man unter Top-down die Gründung einer nationalen Partei vor der Gründung von Sektionen versteht, war also die Piratenpartei vor der Linken Alternative. Aber eigentlich verstehe ich unter “top” etwas anderes als “national”. Auch eine nationale Bewegung kann von “unten”, von “Aktivisten wie du und ich” iniziiert werden. Kann es bei der Gründung einer Partei überhaupt schon ein “Top” und ein “Bottom” geben?

  4. ‘@ David

    “Top” und “national” sind in der Tat nicht zu verwechseln.

    Die Piratenpartei ging in ihren ersten Monaten einen dritten Weg. Sie raufte sich via Internet zusammen, inzwischen sind allerdings auch ganz normale Treffen, fernab des virtuellen Raums, über die Bühne gegangen.

  5. Eine breite Vielfalt von mehr oder weniger linken Parteien, macht es vielleicht für die WählerInnen etwas leichter, eine ihr/ihm passende Partei zu finden. Viele begründen ihre Wahlabstinenz ja damit, dass sie keine ihnen zu 100% passende Partei finden. Solange sich die linken Parteien bei den Wahlen zu Listenverbindungen oder gar zu gemeinsamen Listen zusammenfinden, sehe ich in der Diversifizierung sogar eine Chance. Schlecht ist es dagegen, wenn es zu Zuständen wie in Genf kommt, wenn sich die Linke wegen persönlicher Abneigungen und Ambitionen von Exponenten selber schwächt. Das überlasse ich doch lieber der SVP und der BDP.

  6. ‘@Harald
    Ich bin sehr wohl auch in der Parteienlandschaft für Biodiversität. (Und ich kenne übrigens auch keine Partei, die mir zu 100% passt. Dennoch mache ich bei einer mit Überzeugung mit.)

    Die Wahlverfahren stehen aber einem beliebigen Pluralismus im Wege. Der Genfer GAU war auch durch die dortige 7%-Hürde bei Proporzwahlen verursacht. In Zürich wurde mit dem Wechsel zum Doppelten Pukelsheim-Verfahren eine 5%-Hürde eingeführt. Die AL könnte künftig daran scheitern*. (Listenverbindungen gibt’s mit dem Pukelsheim keine mehr.)

    Ich halte solche Hürden für unnötig, aber sie existieren fast überall, gerade auch dort, wo Sitze nach dem traditionellen Hagenbach-Bischoff-System verteilt werden. Oftmals sind die Wahlkreise so klein, dass die realen Hürden 10% und mehr betragen. Da bleibt den Splitterparteien höchstens die Steigbügelhalterrolle innerhalb einer Listenverbindung. Ich glaube, dass ein einheitliches Label einer pointiert linken Gruppe sehr wohl nützen würde. Nur scheint der Wille zur teilweisen Identitätsaufgabe bei möglichen Mitspielern eher nicht vorhanden.

    * (s. a. meinen Blog-Beitrag dazu)

  7. Bis in 10, 15 Jahren wird sich der Doppelte Pukelsheim schweizweit durchgesetzt haben. Positiv daran ist u.a., dass es keine Listenverbindungen mehr geben wird. Diese verführen Parteien immer wieder, ihr Profil – so überhaupt vorhanden – zu verwässern.

    Vor dieser Entwicklung wäre es gefährlich, wenn sich das linke – oder auch das rechte – Lager stärker zersplittert. Im letzten Juni nahm der damalige Bundesrat Pascal Couchepin in einem Interview mit der “NZZ am Sonntag” den Begriff “Israelisierung der Politik” in den Mund. Er spielte dabei vor allem auf die momentane Rolle der BDP im Bundesrat bzw. im eidgenössischen Parlament an.

  8. ‘@Mark Balsiger:

    “Die Piratenpartei ging in ihren ersten Monaten einen dritten Weg. Sie raufte sich via Internet zusammen, inzwischen sind allerdings auch ganz normale Treffen, fernab des virtuellen Raums, über die Bühne gegangen.”

    Die Piratenpartei wurde an einem “normalen” Treffen gegründet, und diese Gründung auch bereits an “normalen” Treffen vorbereitet. Und seit der Gründung gibt es regionale “normale” Stammtische. Klar wird das Internet intensiv als Kommunikationsmittel genutzt, aber dies gleich als “dritten Weg” zu bezeichnen, finde ich übertrieben.

  9. ‘@Mark Balsiger: Die Gefahr der «Israelisierung» halte ich für überzogen – zumindest solange die Schweiz nicht zu einem klaren bipolaren System mit Regierungs- und Oppositionsblock wechselt. Ich halte unser System für robust genug, um auch die Einzelnasen auszuhalten. Kleinstparteien kommen zwar zu einer übermässigen Medienpräsenz – man denke nur, wie oft die One man Show Christian Waber in der Arena auftreten kann – aber ich bin nicht der Ansicht, dass man die Zersplitterung aktiv über Wahlverfahren zu behindern braucht.

    Einige der Kleinparteien nehmen sich ja ohnehin über kurz oder lang freiwillig selbst aus dem Rennen

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