Luigi Pedrazzini rettet die Ehre des Tessins – und empfiehlt sich für später
Publiziert am 31. August 2009Gestern lief bei der CVP die Anmeldefrist ab. Gerade noch rechtzeitig sprang Luigi Pedrazzini aufs Kandidatenkarussell der Bundesratswahlen. Der Tessiner Regierungsrat beweist damit einen sicheren Instinkt für Stimmungen.
Über der Sonnenstube hängen nämlich seit Samstag dunkle Gewitterwolken. Das Tessin schrie kollektiv auf, als die FDP-Fraktion am Freitagabend ihren Fulvio Pelli nicht auf das Zweierticket für die Bundesratswahlen setzte. Allgemein wurde das als ausgemachte Sache betrachtet.
Staubtrocken ist festzuhalten: Pelli selbst wurde nicht müde zu betonen, er sei nicht Kandidat. Erst gegen Schluss dieser langen Phase der Dementis, die ihm niemand abnahm, korrigierte er seine Phrase: Falls die Fraktion das ausdrücklich wünsche, stünde er zu Verfügung.
Während die vier welschen Kandidaten (Martine Brunschwig-Graf und Christian Lüscher, beide GE, Didier Burkhalter, NE sowie Pascal Broulis, VD) eine ordentliches Nominationsverfahren in ihren Kantonen durchlaufen mussten, erachtete das die Tessiner FDP mit Pelli als nicht notwendig. Hier regen sich Vorbehalte in Bezug auf das innerparteiliche Demokratieverständnis. Der Zorn der Ticinesi richtet sich gegen die Romands und die Deutschschweizer. Dabei verschuldet Pelli seine Nichtnomination selbst.
Pedrazzini reagierte fix: In einem Interview am Sonntag tönte er an, zur Verfügung zu stehen. Tags darauf liess er sich von der CVP Tessin nominieren. Politbeobachter Iwan Rickenbacher wird in einer Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur (sda) so zitiert, dass “Pedrazzini durchaus Chancen” habe.
Ich widerspreche: Nachdem viele Mitglieder der CVP/EVP/glp-Fraktion Urs Schwaller (FR) schon seit vielen Wochen als ihren Kronfavoriten bezeichnen, wäre unglaubwürdig, jetzt die Präferenzen zu wechseln. Die CVP entschied am letzten Freitag, mit einer Einerkandidatur den frei werdenden FDP-Sitz von Pascal Couchepin anzugreifen. Eine reele Wahlchance hat nur Schwaller.
Die Nomination von Luigi Pedrazzini bringt aber ein neues Gewürz in die Wahlsuppe. Zudem ist er es, der die verletzte Ehre der Tessiner rettet. Er tut es auch für sich, zu verlieren hat er nichts. Pedrazzini macht sich mit diesem geschickten Zug schweizweit bekannt(er) und empfiehlt sich so für später. Im Jahr 2011 steht womöglich der Ständeratssitz von Filippo Lombardi zur Disposition – oder Pedrazzini wird dann als Kampfkandidat ins Bundesratsrennen geschickt.
Mark Balsiger
Foto Luigi Pedrazzini: cdt.ch
pedrazzini hat keine chancen. diese kandidatur ist ein reiner pro-forma-aufstand der tessiner. ich denke, auch bei den tessinern ist pelli nicht mehr der, den sie am liebsten als vertreter der fdp im bundesrat hätten und dass pedrazzini keine chance hat, wissen sie auch, aber medienwirksam auftreten, da gebe ich dir recht, dazu ist es nicht zu spät.
Interessant, was die sda da vermeldet:
4. September 2009, 11:25
Tessiner FDP-Präsident rechnet mit Rivalen ab
Der Tessiner FDP-Präsident Giovanni Merlini hat die Schuldigen für die gescheiterte Bundesratskandidatur von Fulvio Pelli im eigenen Kanton ausgemacht. Pelli sei nicht zuletzt der Zerstrittenheit des Tessiner Polit-Establishments zum Opfer gefallen.
Das Tessin sei nicht fähig gewesen, sich auf der Alpennordseite im Sinne eines höheren Interesses als Einheit zu präsentieren, schrieb Merlini im FDP-Blatt «Opinione liberale». Seiner Ansicht nach hätte Pelli als einziger Tessiner die Chance gehabt, gewählt zu werden.
Statt sich geschlossen hinter Pelli zu stellen, habe der Südkanton ein «peinliches Spektakel der Teilung und des Parteigängertums» abgegeben. Ohne Namen zu nennen, kritisierte Merlini vor allem die CVP und die Lega dei Ticinesi.
Vorschlag einer «Casa ticinese» in Bern
Aufgrund der geringen Bevölkerungszahl zähle das Tessin landesweit eh schon wenig. Und wenn man sich dann noch gegenseitig ein Bein stelle, werde es schwer, legitime Ansprüche wie eine Vertretung der italienischen Schweiz in der Landesregierung durchzusetzen.
Das Tessin müsse sich in Bern künftig besser präsentieren. Merlini schlägt zu diesem Zweck die Schaffung einer «Casa ticinese» vor, einer Dependance des Kantons in der Bundeshauptstadt. Dadurch soll die Zusammenarbeit und der Dialog mit dem Bund gefördert werden.
(sda/bers)
Ich liess mir die Aussagen des Tessiner Parteipräsidenten während meiner Laufrunde durch den Kopf gehen. Ich denke, es ist nichts als ein Werbespot für die casa ticinese. Auch bei einer überparteilichen Geschlossenheit des Tessins hätte Fulvio Pelli nur eine reale Wahlchance gehabt, wenn die Fraktion ihn nominiert hätte.
Die SVP wird aus eigener Erfahrung wohl davon zurückschrecken, einen Nichtnominierten zu wählen. Vielleicht wäre ein Versuch der FDP.Die Liberalen des Tessins, innerhalb der eigenen Fraktion eine Allianz zu schmieden, erfolgversprechender gewesen.
Die FDP.Die Liberalen der Ostschweiz wollen sicher den über kurz oder lang frei werdenden Bundesratsitz von Hans-Rudolf Merz in den eigenen Reihen halten. Die Schwierigkeit einer solchen Allianz läge aber wohl darin, dass es sich – im Gegensatz zur damaligen Frage des Sitzes des Bundesstrafgerichtes sowie des Bundesverwaltungsgerichtes – nicht um eine Sachfrage handelt und die beiden Ersatzwahlen nicht zeitgleich erfolgen.