Minarett-Nachbeben: Ko-Initiantin räumt ein, dass es nicht um Betontürmchen ging

Publiziert am 01. Dezember 2009

barbara_steinemann_svp_zh_large_zh_chEhrlichkeit ist nicht die ständige Begleiterin der Politik. Umso bemerkenswerter, was Barbara Steinemann, Zürcher Kantonsrätin (svp), heute mit verblüffender Offenheit preisgab. (Präziser: sie bestätigte, was seitens der Initiativ-Gegner schon lange ins Feld geführt wurde.)

Steinemann hatte im April 2006 eine parlamentarische Initiative mit dem Titel “Bauverbot von Minaretten” eingereicht. Der Kantonsrat lehnte ihren Vorstoss im Juni 2008 mit einem Verhältnis von 2:1 ab. Er legte aber den Grundstein für die nationale Volksinitiative, die das Egerkinger Komitee lancierte.

Aber zurück zur verblüffenden Ehrlichkeit. Barbara Steinemann, Ko-Initiantin der Volksinitiative, deren Ausgang seit Sonntag die Wogen hoch gehen lässt, sagte heute im “Tages-Anzeiger”:

“Uns ging es gar nicht um die Minarette, das sind bloss Betontürmchen.” Man habe bewusst versucht, eine Stellvertreterdiskussion anzustossen, einen Islamdiskurs anzuregen. “Wir konnten ja keine Initiative einreichen mit dem Titel: keine Extrawürste für Muslime.”

Foto Barbara Steinemann: zh.ch

9 Replies to “Minarett-Nachbeben: Ko-Initiantin räumt ein, dass es nicht um Betontürmchen ging”

  1. Dann versuchen wir halt auch, ein wenig ehrlich zu sein.

    Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Barbara Steinemann, Ulrich Schlüer und Konsorten ist es einmal mehr gelungen, den Nerv des Volkes (zumindest jenes Teils, der auch an die Urne gegangen ist) zu treffen. Und das Resultat lässt, bitteschön, keinen Deutungs-Spielraum zu.

    Das, was seit Sonntagabend vorliegt, ist die wirkliche Stimmung im Land. Vielleicht ungeschminkt, vielleicht unbequem, aber real.
    Das Ausland spiegelt unseren eigenen Zwiespalt übrigens sehr schön: Around the globe überbieten sich die Eliten mit pikierten Kommentaren, während in den Foren die Massen eine überdeutliche Zustimmung signalisieren.

    Ich kann auf das Schulterklopfen zwar dankend verzichten. Aber Verantwortung heisst auch, die Stimme und damit die Ängste jener 57% in diesem Lande ernst zu nehmen, welche zu diesem Resultat geführt haben.

    Direkte Demokratie ist nicht nur schön. Sie ist unangenehm und manchmal tut sie auch weh. Aber sie spiegelt den Willen der Mehrheit direkt, wenn auch emotional. Und darum geht es. Alles andere läuft Gefahr, sich in abgeschotteten Zirkeln zu verlieren. Irgendwo zwischen gruppendynamischem Selbsterfahrungstripp und dem Glauben, für eine bessere Welt einstehen zu müssen.

    In diesem Sinne bin auch ich am Sonntagabend wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Guten Tag, Welt!

  2. «Newswert» hat Barbara Steinemanns Aussage eigentlich nicht, sie hatte schon im Vorfeld der Debatte zugegeben, dass eine Stellvertreterdiskussion geführt werde – ganz konkret betonte sie dies z.B. an einer Podiumsdiskussion vor einem Monat in Zürich (welche ich für die FreidenkerInnen moderiert hatte).

    Diesbezüglich ehrlich war Barbara Steinemann also durchaus bereits im Vorfeld des vergangenen Sonntags. Auch die Publikumsvoten liessen damals bereits erahnen, dass es Ja-Stimmen aus allen möglichen Gründen geben würde, längst nicht nur wegen der «Betontürmchen».

  3. ‘@open society

    Siehe mein Kommentar zum letzten Beitrag: Demokratie darf nicht alles. Sie muss sich selber Grenzen setzen. Dafür wären auch die internationalen Rechte wie die Menschenrechte da. Wenn man sie denn berücksichtigen würde.

    Was soll das lächerlich Machen des Glaubens, für eine bessere Welt einstehen zu müssen? Willst du denn eine schlechtere Welt?
    Kennen wir das nicht schon aus der Geschichte? Die Masse unterstützt in Wahlen und Abstimmngen rechte Ideen und beginnt, eine Religion zu diffamieren. Natürlich, die Reichskristallnacht war noch einiges wüster. Aber wie lange geht es noch und in der Schweiz werden Moscheen gestürmt? Ein paar wurden ja bereits im Abstimmungskampf verwüstet.

    Ist es denn nicht das ziel, kriege zu verhindern? Ist das Verbot eines Betontürmchens eine Lösung für irgendetwas? Die erwünschte Stellvertreterdiskussion hat bisher nur zu immer agressiveren Diskussionen geführt, toll, nicht?

  4. ‘@priska

    Natürlich muss es immer das Ziel sein, Kriege zu verhindern. Das funktioniert aber nicht, indem die politische Elite die Empfindungen und Ängste der Bevölkerung einfach ignoriert. Denn irgendwann wird es dem Volk einfach zu bunt.

    Wir Schweizer haben zum Glück ein “Sicherheitsventil” namens Direkte Demokratie. Ich denke, viele Schweizer haben den letzten Sonntag dazu benützt, wieder mal im Rahmen ihrer Möglichkeiten Dampf abzulassen.

    Eigentlich wie bei einem Dampfkochtopf: Wenn der Druck zu hoch wird, pfeifts aus dem Ventil und die Gefahr ist gebannt. Funktioniert das Ventil nicht, kommt’s zum Knall. Und genau dieses Sicherheitsventil bietet ausser der Schweiz kein Land. Ich frage mich, wann’s in diesen Ländern zum grossen Knall kommt…

  5. ‘@ Priska

    Die Grenze zwischen Tun und Lassen hat Kant mit seinem kategorischen Imperativ klar und deutlich gezogen. Das ist für mich keine Frage der Demokratie oder gar der Politik sondern liegt in der singulären Verantwortung des Einzelnen.

    Sie schreiben: Demokratie darf nicht alles. Die einzig logische Konsequenz daraus ist, dass die Grenze dann nicht von der Mehrheit, sondern von der Minderheit gezogen wird – also Diktatur. Mit welchem Recht greifen wir dann die Mehrheit an? Mit dem Recht des moralisch Besseren? Wer entscheidet über Moral?

    Es gibt einen feinen, aber bedeutenden Unterschied zwischen dem Akzeptieren eines demokratischen Entscheides als Staatsbürger und der Ablehnung der diesem Entscheid inhärenten moralischen Vorstellungen und des Kampfes dagegen.

    Demokratie aber ist nicht verhandelbar! Es gibt keine fallweise Demokratie. Es gibt nur die eine – so bitter dies in manchen Stunden ist. Wenn es uns aber Ernst ist um diese eine und einzige Demokratie, dann bleibt nichts anderes, als diesen Entscheid zu akzeptieren. Vor allem aber müssen wir uns der unangenehmen Wahrheit stellen, dass offenbar 2 von 3 Personen auch in unserem ureigensten Umfeld Befürchtungen hegen vor diesem Unbekannten. Befürchtungen vor Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens und anderer Symbole und Riten. Vielleicht sind es auch die simplen Dinge: Verlust des Schweizerischen (was auch immer dies sein mag), Verlust des Arbeitsplatzes.

    Aber es ist Aufgabe der Politik, diese Befürchtungen aufzugreifen sie ernst zu nehmen. Denn nur dann haben wir eine Chance, dass aus diesem Votum kein Dammbruch wird.

  6. Sie mögen mit Ihren Ansichten recht haben. Ich frage ich mich, ob es wirtschaftlich gesehen für den Finanzplatz Schweiz, der sowieso in der Krise steckt, klug ist, solche radikale Massnahmen zu wählen.

    Man hätte sich wie z.B. bei den AKW’s auf eine beschränkte Anzahl Minarette festlegen können.

  7. Richtig, die Politiker müssen die Befürchtungen und Ängste der Bevölkerung in der Schweiz ernst nehmen, und zwar der ganzen Bevölkerung. Ein beachtlicher Teil der Einwohnerinnen und Einwohner darf ja gar nicht wählen und mitbestimmen. Diese eignen sich deshalb auch ideal als Schuldenböcke.

    Es ist ja schon irgendwie bewundernswert, wie es die SVP (und in ihrem Windschatten die FDP) schaffen, mit ihrer fremdenfeindlichen Politik ihre eigenen Wähler davon abzulenken, dass sie gleichzeitig deren Renten senken und die Leistungen bei Arbeitslosigkeit kürzen will bzw. dass sie sich ständig für Subventionen für ertragsschwache Branchen wie die Landwirtschaft und den Tourismus stark macht, die nur dank Zehntausenden von ausländischen ArbeiterInnen, welche zu Niedrigstlöhnen schuften, über die Runden kommen.

    Brauchen Volksentscheide akzeptiert zu werden? Nein und Ja. Es ist legitim, mittels einer Volksinitiative eine weitere Abstimmung zu erzwingen, wenn einem das Resultat nicht passt. Bis dahin gelten allerdings die durch den Volksentscheid festgelegten Regeln.

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