Mitten im Spinnennetz
Publiziert am 04. Oktober 2011Missen werden schon seit jeher vermessen. Das dürfte so lange bleiben, wie es Krönchen, Küsschen, Tränchen und “irgendetwas-mit-Moderation-Träumchen” gibt. Erst seit wenigen Jahren wird auch die Schweizer Politik vermessen. Die Smartspider von smartvote erfreuen sich in den Medien einer steigenden Popularität und sind seit 2003 ein fester Bestandteil der redaktionellen Aufarbeitung.
Knapp drei Wochen vor dem Wahltermin haben mehr als 80 Prozent aller Kandidatinnen und Kandidaten ihr Profil bei smartvote ausgefüllt. Das ist ein hoher Wert. Bei den Stimmberechtigten hingegen hapert es noch, keine 10 Prozent machten sich bislang die Mühe, mit 20 Minuten Aufwand herauszufinden, wo sie stehen. In einer absoluten Zahl sind es 448’000 Wahlempfehlungen, die bislang ausgestellt wurden.
Ich beantwortete gestern Nacht die Fragen und war gespannt auf meinen Smartspider. Et voilà:
Die schwach ausgeprägten Ausschläge bei gesellschaftpolitischen Fragen, der Wirtschaftspolitik sowie Law & Order überraschen mich. Insgesamt gehöre ich aber weiterhin zum “Morast der Mitte”, eine Wortschöpfung, die ein Parteipräsident Ende der Neunzigerjahre lancierte. Abweichungen zu meinem Spinnennetz vor vier Jahren gibt es durchaus (kleine Grafik unten). Allerdings machen in der Regel bloss eine oder zwei Fragen und deren Gewichtung bereits den Unterschied aus.
Die nächsten Überraschungen: Die höchste Übereinstimmung erreiche ich mit der Gruppierung parteifrei.ch. Die sechs Kandidierenden, die meinen Positionen am nächsten kommen, stammen von fünf verschiedenen Parteien bzw. Listen. Das zeigt auf, dass die Parteien alles andere als homogen sind – und dass ich tatsächlich in der Mitte sitze. Noch bleibt mir Zeit, mit diesen Dilemmata umzugehen und pragmatische Schlüsse zu ziehen.
Zentrales Anliegen dieses Postings ist es, wie schon 2007 für Transparenz in Bezug auf meine Positionen zu sorgen. In einem aufgeheizten und gereizten Klima scheint mir das erst recht angezeigt zu sein.
Smartvote stand in den letzten Monaten vermehrt in der Kritik – von Medien und Parteien. Es ist gut, dass die Macherinnen und Macher auch mit einem Blog darauf reagieren. Ihnen anzukreiden, dass die Politik primär vermessen statt diskutiert wird, ist nicht fair. Die Vermessung von Parteien und Politisierenden sollte vielmehr den Impuls geben, wieder vertieft über Politik nachzudenken und zu diskutieren. (Ein frommer Wunsch, ich weiss.)
Was abschliessend und in aller Deutlichkeit erklärt werden muss: Smartvote ist ein Erfolgsfaktor im Wahlkampf. Eine Studie, die ich mit 1432 Personen, die für den Nationalrat kandidiert hatten, machte, zeigt: Wer bei Smartvote ein Profil erstellt hatte, holte mehr Stimmen.
Also die extreme Präferenz für den Ausbau von Umweltschutz lässt sich doch nicht als Mitte verkaufen. Vielleicht stehst Du einfach den Grünen nahe? Oder den Grünliberalen? Was wirst Du denn wählen am 23. Oktober?
Aber Glückwunsch zur Publikation und zum Mut zur Transparenz! Wird das nun auch ständig, also auf einer statischen Seite, einsehbar sein?
‘@ Ronnie
Neu ist meine Transparenz-Offensive nicht. Schon vor vier Jahren hatte ich hier meinen Smartspider veröffentlicht. Er ist noch heute einsehbar, was als “statisch” gelten darf.
Wie werde ich wählen? Ich weiss es noch nicht. Ich tue mich immer schwer damit und zögere die Wahlentscheidung meistens bis zum letzten Tag hinaus. In der Regel gibt es eine Potpourri-Liste, ich wähle die besten Leute, wobei mir entgegenkommt, dass ich den politischen Betrieb und seine Akteure schon lange beobachte.
Die Kandidierenden, die mir inhaltlich gem. smartvote am nächsten kommen, gehören zu CVP, EVP, FDP, GLP und SP – einzelne parteifrei.ch-Leute sind nicht darunter.
Thema smartvote: Meines Erachtens eine Innovation und komplementär ein wichtiges Instrument.
Eine kritische Stimme spricht von der “gefährlichen Einfachheit der Smartspiders”. Das ganze Posting:
http://bit.ly/ntcB33
“wer die demokratie vermisst, schafft sie ab” – zitat regula stämpfli. ich finde die autorenschaft gehört hier schon hinzu, denn wie üblich werden zitate von männern personalisiert und aufgeführt, die von frauen kollektiviert. danke für beitrag, lieber mark, du hast mir grad wieder einen steilpass für ne kolumne gegeben. ich finde nach wie vor: so wie der wahlkampf geführt wurde, wurde wegen der vermesserei nur ein ratingagentur-diskurs geführt. ähnlich wie beim tv: da ist schon längst nicht mehr die qualität, sondern nur noch die quote entscheidend. ich fand auch euer projekt “die beste politikerrede” sehr bedenklich…