Neue rot-grüne Allianz führt zu einem Zweikampf zwischen Teuscher und Aebersold
Publiziert am 26. April 2016Satte 24 Jahre lang hat in der Stadt Bern der Machtblock von Rot-Grün-Mitte (RGM) gehalten. Seinen Zerfall gaben die drei beteiligten Parteien SP, Grünes Bündnis (GB) und Grüne Freie Liste (GFL) heute mit ein paar dürren Zeilen bekannt. Das Aus wurde unausweichlich, weil alle drei Parteien an ihrer eigenen Kandidatur für das Stadtpräsidium festhielten (SP: Ursula Wyss, GB: Franziska Teuscher, GFL: Alec von Graffenried). Alle drei ins Rennen zu schicken war offensichtlich nicht allen Partnern geheuer.
Wie das bei Trennungen so ist, macht jeder Partner den anderen dafür verantwortlich. Ein Vergleich, der gut passt: Im Sandkasten sitzen drei Kindergärtler und „gränne“. Als Nachbarn dazu stossen und fragen, was passiert sei, gehen die Klagen los. Der erste Knirps zeigt auf den zweiten: „Er hat angefangen!“ Dieser schnieft unter Tränen, dass der Dritte den Streit vom Zaun gebrochen habe, was dieser natürlich energisch dementiert und den ersten Buben beschuldigt.
„Sich gegenseitig die Schuld geben zu wollen, ist Kindergarten“, sagt GFL-Kandidat Alec von Graffenried im Interview mit der „Berner Zeitung“. Er hat Recht, er, der von seinen Gegnern als „Totengräber“ von RGM gebrandmarkt wird.
Die neue Konstellation hat es in sich: Bern ist die einzige grössere Stadt der Schweiz, die ihre Regierung nach dem Proporzsystem wählt. Entsprechend geht es nicht primär um Köpfe, sondern um Blöcke (bzw. um Listen wie bei Parlamentswahlen). Für einen sicheren Sitz braucht es 16,7 Prozent aller Wählerstimmen.
Der Wählerinnenanteil der SP hat sich in den letzten Jahren zwischen 26 und 30 Prozent eingependelt. Sollte sie für die Gemeinderatswahlen (für Nicht-Berner: So heisst die Exekutive) alleine antreten, dürften ihre zwei Sitze, die sie seit Langem beansprucht, im Trockenen sein.
Für die anderen Parteien würde es mit einem Alleingang ungleich schwieriger. Sowohl das GB wie die GFL bewegen um die 10-Prozent-Marke herum. Das reicht bei weitem nicht für einen Sitz aus eigener Kraft. Entsprechend muss ein starker Partner her, weil an ein Plus von 6 Prozent niemand glauben mag. Die GFL, die ihren Sitz im Jahr 2000 verloren hatte, will trotzdem alleine in den Wahlkampf ziehen.
Das GB wiederum verhandelt mit der SP und wird sich, trotz Spannungen, vermutlich mit der grossen Partnerin finden. Diese beiden Parteien stehen sich ideologisch sehr nahe. Eine gemeinsame Liste mit Ursula Wyss (SP, bisher), Michael Aebersold (SP, neu, Foto) und Franziska Teuscher (GB, bisher, Foto) dürfte zwischen 35 und 40 Prozent erreichen. Das kann für drei Sitze reichen, zumal das Zuteilungsverfahren nach Hagenbach-Bischoff die grossen Parteien bevorzugt. Schwächelt diese neue rot-grüne Allianz, verlöre sie allerdings ihren dritten Sitz.
Diese Konstellation kann zu viel Nervosität führen. Wenn SP- und GB-Wählerinnen eigene Kandidierende auf der rot-grünen Liste zu streichen beginnen, wird es eng. Dabei läuft es auf einen Zweikampf zwischen Teuscher und Aebersold hinaus. Streichaktionen gab es bei RGM schon früher, etwa im Jahr 2000, als GFL-Gemeinderätin Claudia Omar nach einer Flüsterkampagne von vielen SP-Wählern auf der RGM-Liste gestrichen wurde. (Stattdessen machte SP-Kandidatin Edith Olibeth das Rennen.)
Auf bürgerlicher Seite bleibt die Ausgangslage weiterhin schwierig: Alexandre Schmidt (FDP, Wähleranteil 2012: 10 Prozent) braucht wie GFL-von-Graffenried einen Wahlverein, d.h. Kandidierende auf der eigenen Liste, die ihm nicht gefährlich werden, aber zusätzliche Stimmen generieren. Die SVP ist mit 11 Prozent zwar leicht stärker als die FDP und hat auch ihre Liste schon vor Monaten präsentiert. Allerdings musste sie im Winter einen Kandidaten wieder zurückziehen, weil sein Geschäftsgebaren in der Vergangenheit (Bordellbetreiber, Sozialwohnungen) zu viel Staub aufwirbelte.
Eine bürgerliche Wende können wir ausschliessen. Dafür fehlen FDP und SVP der Zusammenhalt, es fehlt ihnen ein gemeinsames Programm und es fehlen ihnen die profilierten Köpfe. Dass der Ausgang der Gemeinderatswahlen vom 27. November offen ist, spornt aber hoffentlich alle Parteien und Kandidierenden zu einem engagierten Wahlkampf an, zu einem Wettstreit der Ideen statt einem laschen Herunterbeten der ewig gleichen Schlagworte. Eine Revitalisierung der städtischen Politik wäre dringend nötig.
Mark Balsiger
Weitere Kommentare vom 26. und 27. April 2016:
– Bern wird auch ohne RGM eine links-grüne Stadt bleiben (Berner Zeitung, Mirjam Messerli)
– Diese Wahlen machen Freude (Bund, Patrick Feuz)
Interview:
– “Das wird die Politik der Stadt Bern beleben” (20Minuten, Nora Camenisch)
Quasi in letzter Sekunde verändert sich die Situation unter den rot-grünen Parteien Berns nochmals: Der traditionelle Block von SP, Grünes Bündnis (GB) und Grüne Freie Liste (GFL) will nun doch gemeinsam in die Wahlen 2016 gehen. Gestern Abend entschieden die SP-Delegierten, neben ihrer Ursula Wyss zwei grüne Stapi-Kandidaturen zuzulassen. Details:
http://bit.ly/1QTMPHw
[…] Wahlkrimi eine Schlüsselrolle: Vor Jahresfrist preschte sie mit ihrer Stapi-Kandidatur vor und vergiftete das ohnehin schon belastete Verhältnis innerhalb von Rot-Grün-Mitte (RGM). Niemand in der Stadt gab ihr auch nur eine Wahlchance von 0,01 […]