Ob Perrenoud oder Bühler ist gehupft wie gesprungen, das Hauptproblem bleibt

Publiziert am 30. März 2014

Seit nunmehr acht Jahren wird Berns Gesundheits- und Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud (sp) von seinen politischen Gegnern attackiert. Dabei steckte er die Schläge wie ein Boxer ein, kam mehrfach ins Taumeln, zu Boden ging er aber bislang noch nie. Keine Zweifel: Dieser Mann hat Nehmerqualitäten. Die Kritik an seiner Amtsführung ist oft berechtigt, meistens parteipolitisch motiviert und zuweilen bloss dumpfbackig.

manfred_bühler_250_derbundDer Versuch, die rot-grüne Mehrheit in der Berner Regierung zu stürzen, scheiterte heute zum zweiten Mal. Perrenoud wurde trotz aller Kritik und einer schwachen Performance ganz knapp wiedergewählt, das geometrische Mittel machte schliesslich mit 954 Stimmen den Unterschied aus. Manfred Bühler (svp,  Foto links), der für den „Umschwung“ der Bürgerlichen verantwortlich gewesen wäre, schnitt trotz einem defensiven Wahlkampf im gesamten Kanton überraschend gut ab. Die Bernjurassier gaben allerdings Perrenoud den Vorzug, und genau dieser Berner Jura war ja der “Battleground”.

Perrenoud wird sein Ergebnis mit stiller Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Gratulieren darf man aber Bühler: Er hätte als neuer Gesundheitsdirektor an den riesigen Erwartungen nur scheitern können. Die Lebensqualität als Fürsprecher, Grossrat und Motocrossfahrer ist deutlich höher.

In einem durch und durch bürgerlichen Kanton setzt sich die rot-grüne Regierungsmehrheit durch, wenn auch nur mit Hilfe des höchsten geometrischen Mittels. Was sagt uns dieses Wahlresultat?

BDP, FDP und SVP haben es nicht geschafft, zwei der drei grossen „P“ zu erarbeiten und dem Volk schmackhaft zu machen: Programm und Personal. Diese Faktoren hätten die bürgerliche Wende ermöglicht. Der Wille, diese Wende herbeizuführen, war in den letzten Monaten zu wenig spürbar. Würden die Young Boys so spielen, wären sie längst in die Amateurliga abgestiegen.

philippe_perrenoud_250_rtsDie Fortführung der „Cohabitation“ – linke Regierungsmehrheit, bürgerlich dominierter Grosser Rat – hat eine bequeme Komponente. Die Kritiker im Parlament können so weitermachen wie in den letzten acht Jahren, „gäng wie gäng“, Perrenoud (Foto rechts) bleibt eine dankbare Zielscheibe und auch sonst kann man bei Bedarf die linke Regierung brandmarken.

Auch in der nächsten Jahren stehen opfersymmetrisch geschnürte Sparpakete im Zentrum. Die tiefgreifenden strukturellen Probleme des Kantons schiebt man hingegen weiter vor sich her. Die Regierungsrätinnen und Regierungsräte sind zu stark vom Alltagsgeschäft absorbiert, die meisten Grossräte agieren vor allem als Interessenvertreter ihrer Region. Politik, die gestaltet und das „Big Picture“ im Fokus hat, sieht anders aus.

Offensichtlich kann der Kanton Bern seine Vergangenheit nicht abschütteln: Schon in den 1920er-Jahren begann sich die Unsitte der Subventionsjägerei durchzusetzen. Von 1929 bis 1979 stellte die SVP und ihre Vorläuferpartei, die BGB, immer einen Bundesrat – von Rudolf Minger bis Rudolf Gnägi. Das erleichterte den Zugang zur Bundesverwaltung und den Honigtöpfen. Wer wollte schon gegen den Bauernstand sein, als ringsum Krisen und Kriege ausbrachen? Dieses Handeln wurde quasi zur DNA des Kantons, er verschlief die weiteren Wellen der Industrialisierung, für den nationalen Flughafen in Utzenstorf (anstelle von Zürich-Kloten) mochte die allmächtige Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) nicht kämpfen, Bern blieb ein Agrarkanton. Selbstgerechtigkeit und das Verwalten von Pfründen haben ihn träge gemacht.

Fazit: Es ist gehupft wie gesprungen, ob Perrenoud oder Bühler in der Kantonsregierung sitzt. Viel wichtiger wäre es, dass sich ein paar starke Figuren aus Politik und Verwaltung auf einen Weg mit Zukunft einschwören könnten. Bis der Aufbruch im Kanton Bern beginnt, kann es dauern, noch haben viele Akteure den Ernst der Lage nicht erkannt. Womöglich wird sogar YB vorher noch Schweizer Meister.

Mark Balsiger

Ein ausgezeichneter Text zum selben Thema publizierten die beiden BZ-“Zeitpunkt”-Autoren Jürg Steiner und Stefan von Bergen am letzten Freitag, ausnahmsweise im “Tages-Anzeiger”.


Weitere Abstimmungskommentare:

– NZZ: Bern ohne neuen Impuls (Daniel Gerny)
– Berner Zeitung: Bern wählt den Stillstand (Peter Jost)

Fotos:
– Philippe Perrenoud: derbund
– Manfred Bühler: rts

 

 

7 Replies to “Ob Perrenoud oder Bühler ist gehupft wie gesprungen, das Hauptproblem bleibt”

  1. Gelobt sei auf jeden Fall, wer den Nicht-Nationalflughafen Utzenstorf als umfassende Erklärung für Berns Probleme entdeckt hat. Denn ohne ZRH, das weiss nun jeder, wäre Zürich dritte Welt…

  2. Ironie gefällt mir, lieber Herr Müller, gerade an einem Wahlabend. Trotzdem empfehle ich bei Gelegenheit einen geschärften Blick, wie sich der Flughafen Kloten auf den Wirtschaftsraum Zürich ausgewirkt hat. Er ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Motor.

  3. Ich würde sagen, Zürich profitierte in gleicher Weise vom Flughafen, der ETH und einem historisch gewachsenen Finanzplatz. Nur: Bern wird die ETH nicht kriegen, der Zug für ein bedeutendes Dienstleistungszentrum ist auch abgefahren und Belp wird, bei aller Sympathie, kein Landesflughafen werden und ein ernstzunehmender Carrier wird dort erst recht keinen Hub eröffnen. Diese Fakten sind seit Jahrzehnten bekannt, und sie hindern Bern nicht daran, ein zukunftsweisendes Konzept zu entwickeln. Das gelingt nur mässig, und irgendwann ist dann auch nicht mehr die Hebamme (in diesem Fall wohl die Zürcher, die den Flughafen an sich gerissen haben) schuld.

  4. Das ist aber schön, “rittiner & gomez”, zum Thema bringt uns dieser Kommentar aber keinen Quantensprung weiter.

    @Andreas Müller
    Sie haben recht – grundsätzlich. Meine Kritik zielte auf die Mentalität, die sich seit den 1920er-Jahren entwickelt hat.

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