Obama ernennt Joe Biden – überraschender ist die Verbreitungsweise
Publiziert am 24. August 2008Joe Biden soll also mit Barack Obama für die Demokraten die Kohlen aus dem Feuer holen. Seine Kandidatur für das Vizepräsidium ist keine grosse Überraschung. Überraschend und ungewöhnlich ist die Art, wie das Obama-Lager diese Entscheidung verbreitete.
Am noch blutjungen Samstag, etwa um 3 Uhr morgens (US-Ostküste), wurde die Nachricht von Bidens Ernennung kommuniziert – per Mail und SMS. Die Wahlkampfzentrale erreichte so Millionen von Obama-Supportern direkt. Diese hatten in den letzten Wochen ihre Handynummern oder E-Mail-Adressen registrieren lassen.
Dieses Vorgehen ist clever: Einerseits bindet Obama seine Supporter so emotional. Er gibt ihnen zu verstehen: Hey, ihr seit wichtig für mich. Ihr sollt die wichtigsten Fakts zuerst und aus erster Hand erhalten. In der SMS verwies der Präsidentschaftskandidat auf den ersten gemeinsamen Auftritt von ihm und Joe Biden. Am Samstag um 15 Uhr sei es soweit, das Video dieses Auftritts könne dann unter www.barackobama.com angeschaut werden.
Andererseits, und das ist nicht unwesentlich, hat Obama auf diese Weise eine grosse Anzahl neuer Mail-Adressen und Handynummern gesammelt. Sie sind Gold wert im weiteren Wahlkampf.
Die Intention der Obama-Wahlkampfzentrale ist offensichtlich: Sie will die etablierten Massenmedien umgehen. Die Botschaften sollen direkt, ungefiltert und in voller Länge bei den möglichen Wählerinnen und Wählern ankommen. Obama setzt dabei seit Beginn seiner Kampagne auf das Internet wie niemand vor ihm – mit Erfolg.
Obamas letzte demokratische Konkurrentin, Hillary Clinton, hatte im Januar 2007 ähnlich kommuniziert. Als sie ihre Kandidatur bekannt machte, geschah dies nicht mit einer Medienkonferenz, nein. Sie liess eine knappe, 1 Minute 44 dauernde Videobotschaft auf ihrer Website aufschalten.
Foto Barack Obama und Joe Biden: www.chicagotribune.com
[…] Original post by Mark.Balsiger […]
Wahlkampf im Internet
Es geht Senator Obama bei seinem Kampf ums Weisse Haus wohl kaum darum, die „etablierten Massenmedien“ zu umgehen. Vielmehr sind sämtliche Möglichkeiten des www heute Teil jeder Marketing-Strategie. Und kein anderer Wahlkampf weltweit nähert sich schneller reinen Marketing-Strategien, wie man sie von Konsumgütern her kennt, an wie eben jener in den USA.
Ob man die emotionalen Bindung zwischen Wähler und Gewähltem Bindung oder Kundenbindung nennt; die zu Grunde liegenden Mechanismen und daraus abgeleiteten Strategien sind die gleichen. Es geht darum, eine im Grundton stets gleiche Botschaft (hier: change – we can believe in) möglichst oft und mit möglichst emotionalen und positiv besetzten Bildern zu wiederholen. Die „Berliner Rede“ von Barack Obama, mit der er sich wohl als der natürliche Nachfolger von JFK präsentieren wollte, sei nur als Beispiel genannt.
Das Internet bietet nun den direkten Zugang zu den Wählerinnen und Wählern. Diese werden direkt angesprochen und „bearbeitet“. Auf unterschiedlichsten Kanälen und zu geringen Kosten. Zwangsläufig wird dies aber auch zu einer „Vermarktung“ von Politik führen. Dies auf Kosten des politischen Diskurses. Dieser wird auf möglichst eingängige und emotional geladene Botschaften eingedampft und mit dem Bild des jeweils zu Wählenden verknüpft. Ob die damit bewirkte emotionalen Bindung des Wählers an den zu Wählenden in Zukunft durch eine quasi-religiöse Ideologisierung abgelöst wird, bleibt abzuwarten.
Das Internet jedenfalls bietet Chancen und Risiken. Es wird Wahlkämpfe verändern – mit dem Risiko des Qualitätsverlustes in der Politik. Es kann aber auch Chancen bieten: das Wahlbistro – http://www.wahlbistro.ch – mag hier als ein Beispiel dienen.
‘@ open society
Vom Grundsatz her kann ich allem zustimmen, ausgenommen des “Umfangs”. Oder anders gesagt:
Findet denn eine “Vermarktung” der Politik nicht auch hierzulande und schon längere Zeit statt, insbesondere wenn wir z. B. an eine “Arena” von SF oder an das SVP-Plakat “Blocher stärken, SVP wählen” denken?
Bringt erst Internet diese Tendenz der “Vermarktung” auf Kosten des politischen Diskurses mit sich oder verstärkt Internet nur einfach diese Tendenz?
‘@ Titus
Dass die „Vermarktung“ von Politik auch hierzulande um sich greift, ist völlig richtig. Nicht nur die erwähnten Beispiele sind beredtes Zeugnis. So fällt das hier auch schon diskutierte Plakat der Stadtzürcher Jungen Grünen ebenfalls darunter.
Dass die Tendenz bereits vor dem Internet da war, ist genauso richtig. Erinnert sei etwa an die Wahlkämpfe von Clinton in den 90er Jahren oder Schröders berühmter „Deich-Wahlkampf“ von 2002.
Im Gegensatz zu früher bietet das www aber mehrere Möglichkeit der direkten Ansprache vieler Leute, die sonst mit Politik wenig bis sehr wenig am Hut haben. Dies führt zu sich gegenseitig verstärkenden Prozessen. Zum einen müssen potentielle Wähler angesprochen werden, welche sich nicht in den Details der Tagespolitik verstricken wollen und werden. Das Resultat: ist eine Themenselektion, deren einziges Kriterium die politischer Attraktivität für die breite Masse ist. Der vermeintliche Kern dieser so selektierten Themen wird nun verkürzt dargestellt und weiter zu eingängigen Slogans reduziert. Das Ganze wird dem Unbedarften als Lösung für ein überaus wichtiges politisches Problem vorgesetzt. Um die Abstraktheit und damit die Hemmschwelle eines potentiellen Wählers weiter zu senken, wird die Personalisierung (oder Wählerbindung) weiter vorangetrieben. Es wird Identifikation ermöglicht. Dies alles, und da stimme ich zu, hat es auch schon früher gegeben. Das www verstärkt diese Tendenzen allerdings deutlich.
Zudem ermöglicht das Internet eine emotionales Bindungselement, welches mit traditionellen Medien nur indirekt über Leserbriefe möglich war: Interaktion mit dem zu Wählenden. Ich kann mich direkt an den zu Wählenden oder sein Team wenden, auf Themen reagieren und mitmachen. Das Gefühl des Mitmachen-Könnens aber bedeutet Dabeisein – dazu gehören. Es begründet und kultiviert eine Bindung. Bindung schliesslich bedeutet Stimme.
Die Ansicht, über das Internet könne eine emotionale Bindung begründet werden, ist neu für mich. Restlos überzeugt davon bin ich nicht. Die Kommunikation im Internet basiert auf reiner Schriftlichkeit und bleibt daher darauf beschränkt. Einen viel grösseren Erlebniswert hat ein persönliches Streitgespräch von Angesicht zu Angesicht. Da wird nicht nur auf einer Ebene miteinander kommuniziert. Mimik, Intonationen, Nebenbemerkungen, Blick, Haltung, usw. werden eingesetzt. Das erzeugt Bindung. Dabei steht oftmals nicht was, sondern wie etwas gesagt wird im Vordergrund für die Bindungswirkung. Ein rein schriftlich geführter Dialog im Internet ohne reale Präsenz mit der damit einhergehenden grossen Gefahr von Missverständnissen dagegen ist zu distanziert und bleibt auf eine Ebene beschränkt, hat somit einen geringeren Erlebniswert und daher womöglich eine kleine, wenn nicht sogar gar keine, Bindungskraft.
‘@ J.C.
Auf Barack Obamas Homepage finden sich zwar auch einige Texte. Bei genauerer Betrachtung könnte man allerdings schon glauben, dass viele Amerikaner “lesefaul” sind, denn es sind unzählige Videos vorhanden. Es gibt sogar ein “Barack TV”.
Gemäss Wikipedia sollen im 1992 zwischen 21 und 23 % der erwachsenen Bevölkerung Mühe haben, “ein Formular auszufüllen, die Beschreibungen auf Lebensmitteln zu lesen oder einem Kind eine einfache Geschichte vorzulesen”. Es dürfte wohl nicht nur an Lesefaulheit liegen, dass man so stark auf Videos setzt…
‘@ J.C.
Dass der direkte Austausch von Angesicht zu Angesicht die höchsten emotionalen Parameter und damit die höchste Bindungs- (aber auch Ablehnungs-) kraft erreicht, steht ausser Frage.
Nur, versuchen Sie mal, mit einem Bundesrat direkt in Kontakt zu kommen. Das bekommt man vielleicht noch hin. Bei den Spitzenkandidaten des nächsten deutschen Bundestagswahlkampfes halten ich das bereits für unrealistisch und bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen schlicht als lucky punch.
Der Medienunterschied zwischen traditionellen Einweg- und modernen Interaktions-Medien ist eben gerade die Interaktion. Das diese auf Schriftlichkeit beschränkt ist, wage ich im Zeitaler von You-Tube (mit Verlaub) zu bezweifeln. Die Möglichkeiten des Interagierens sind dabei lange nicht auf einfache rating-clicks hurra-video-Botschaften oder die Weiterverbreitung von erhaltenen multimedialen Nachrichten beschränkt. Persönlich bin ich sogar davon überzeugt, dass der Trend weg von der Schriftlichkeit noch deutlich zunehmen wird. (Wer erinnert sich noch an den „Videoblog von Pacale bewegt“?)
Diese Interaktion (welche zugegebnermassen auf einer Vorselektion beruht) ermöglicht einen dauerhaften Austausch, eine Art Wir-Gefühl. Dieses Ich-gehöre-auch-dazu-feeling ist emotional und hochmotivierend. Man will, dass der eigene Kandidat (soll ich vielleicht sagen: Star?) gewinnt. Und so nähern sich moderne Politiker und die dazugehörige Maschinerie immer mehr an moderne Stars und Sternchen aus der Glamour-Szene. Bloss, dass die Maschinerie dort Merchandising genannt wird. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Politik, bzw. der Diskurs über den besten Weg. Und was sich weiter vergrössert ist die Schere zwischen Wählenden und Gewählten, weiland mit dem Begriff „Politikverdrossenheit“ besetzt.
‘@ open society
Also das mit You-Tube und der interaktiven Möglichkeiten verstehe ich nicht ganz. Ich bin halt ein wenig von gestern und diskutiere hauptsächlich noch am Stammtisch. Aber vielleicht können Sie mir das an einem kleinen Beispiel erklären. Doch bleiben wir in der Schweiz. Also nehmen wir mal an, ich sei für die PR von Bundesrat Hans-Rudolf Merz verantwortlich und lasse daher von ihm ein Video drehen. Dieses lasse ich dann auf You-Tube laufen. Sie, als glühender Verehrer des Bundesrates, schauen sich selbstverständlich mehrfach dieses Video an. Er wird ins Bild gesetzt und Sie schauen. Sie empfehlen das Video weiter und diskutieren es ausgiebig auf Ihrem Blog. Aber wo ist denn die Interaktion mit der Hauptperson, nämlich Bundesrat Hans-Rudolf Merz?
‘@ J.C.
Da wir hier von Wahlkampf reden, ist das Beispiel Merz etwas unglücklich. Bleiben wir trotzdem dabei; schliesslich muss sich eine Theorie auch an einem suboptimalen Beispiel prüfen lassen.
BR Merz dreht einen Video und stellt es auf YouTube. Ich schaue mir das an und als „glühender Verehrer“ von ihm verbreite ich dies, diskutiere mit Freund und Feind in Foren und Blog’s, versuche mit anderen zusammen, die Rating-Skala hochzutreiben usw. Als „glühender Verehrer“ lade ich mir sein Video selbstredend auf mein Handy, extrahiere mir einen Teil seiner Ansprache vielleicht noch als Klingelton usw.
Was passiert nun mental? Ich habe mich Minuten und Stunden, am Ende vielleicht sogar Tage mit BR Merz beschäftigt. Ich habe sein Video und damit ihn selber meinen Freunden empfohlen, ihn in Foren vehement gegen alle Angriffe verteidigt, Freunde gefunden, welche ebenso empfinden wie ich.
Psychologisch lässt sich dieser euphorische Zustand wohl in die Nähe des Begriffs „Fan“ rücken – mitsamt allen Merkmalen der selektiven Informations-aufnahme und –verdrängung.
Wenn ich nun mitten in dieser ekstatischen Stimmung, und damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurück, ein PERSÖNLICHES SMS oder gar ein PERSÖNLICHES MAIL von MEINEM Bundesrat Merz erhalte, dann müsste das sich dann ergebende Glücksmoment in etwa mit dem eines Basel-Fans beim 2:1 gestern abend vergleichbar sein. Endorphine durchströmen meinen Körper und ich fühle mich BR Merz ganz, ganz nahe. Ich werde ihm inskünftig nicht nur meine Stimme gegen. Nein, ich werde ihn gegen alle bösen Lästermäuler verteidigen, ich werde ihn jedem meiner Freunde zur Wahl empfehlen und alles, was gegen ihn spricht, als unwahr darstellen.
Wenn Sie mir nun vorwerfen, dass dies zu plakativ ist, gebe ich Ihnen recht. Ein wenig! Ersetzen Sie mal BR Merz mental durch BR Leuthard. Vielleicht huscht Ihnen nun ein Lächeln über Ihre Lippen – und nun machen Sie die gleiche mentale Übungnochmals ersetzen BR Merz durch Alt-BR Blocher, dann gefriert Ihnen eben jenes gegebenenfalls auf den Lippen.
‘@ open society
Danke für die eingehende Antwort. Sie war interessant zu lesen!
Ich stimme Ihnen zu, mein Beispiel ist unglücklich gewählt. Gut, dass Sie mich darauf hinweisen.
Auf Ihren “mentalen Übungsvorschlag” gehe ich nicht weiter ein. Obschon es ein netter Versuch ist, das Gespräch auf eine persönliche Ebene zu führen. Denn in der Möglichkeit Gedanken anonym zu äussern, sehe ich nämlich eine Chance des Internets gegenüber dem realen Leben. Man wird notgedrungen auf die sachliche Ebene gezwungen. Ein Wechsel auf die persönliche Ebene – dorthin, wo sich auch die grossen und kleinen Mauern in unseren Köpfen befinden – ist schwieriger. Es bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem, was eine Person letztendlich ausmacht, nämlich ihre Gedanken. Natürlich bin ich mir daneben auch der Risiken der Anonymität des Internets bewusst.
Nun ist es aber höchste Zeit, das Feld zu räumen. Schliesslich hat das Wahlbistro schon geöffnet. Als Nichtberner könnte man da fast neidisch werden auf die Berner. Aber so weit geht es dann doch nicht. Denn ich habe schon einige Ideen, wofür ich meine nun frei werdende “Blogzeiten” verwenden werde.