Politblog: Dialog oder noch mehr Bashing?

Publiziert am 01. März 2011

Ein Medienkonzern investiert in einen Politblog! Da staunt der Laie, die wenigen Politblogger dieses Landes kratzen sich am Kopf und Bürokollege Suppino mag dieser überraschenden Entwicklung nicht so recht trauen.

Das neue Projekt heisst Politblog. Es zusammen mit zwei welschen Zeitungen (24heures, Tribune de Genève)  zu betreiben, finde ich spannend. Und wenn der Austausch über den Röstigraben regelmässig fliessen sollte, wäre das die Klammer, die für unser Land wichtiger wäre denn je.

Was mir missfällt: Für das Kommentieren gibt es keine echte Netiquette, offenbar keine Beschränkung der Textlänge und kein Verifizieren der Absender, das diesen Namen verdient. Prompt tauchte bereits ein “James Bond” auf, ein anderer Kommentator teilt respektlos aus, ein echter Dialog ist nach dem ersten Posting und 300 Kommentaren nicht erkennbar.

Das weckt Befürchtungen. Vermutlich geht es schon bald genauso “ab” wie in den Kommentarspalten anderer “Newsnetz”-Artikel. Und genau das, liebe Kollegen, fördert die Politikverdrossenheit. Notabene vor allem bei Menschen, die neugierig sind, sich informieren wollen und neue Formen des Dialogs suchen.

Noch ist es nicht zu spät, klare Regeln zu definieren und durchzusetzen – die Hürden müssen höher sein! Das braucht mehr zeitliche Ressourcen, kostet ergo mehr. Sind Tamedia & Co. bereit, etwas mehr Geld in dieses neue Politblog zu investieren, kann es womöglich einen wertvollen Beitrag im politischen Diskurs leisten. Unser Land hätte echte Debatten nötig, wird doch oft nur noch aufgeheiztes Blabla über ein angebliches Wolfsproblem im Wallis, Köppelhier und Wermuthdort ins Netz geblasen.

Ohne höhere Hürden etabliert sich die Bashing-Kultur in kurzer Zeit. Und der Vorwurf der Kritiker liegt auf der Hand: dass es auch bei diesem Projekt primär um Visits und Hits, Klicks und Clacks gehe.

Mark Balsiger

P.S.  Wie man online eine gute Diskussionskultur hinbringt, zeigen das Langzeitprojekt Vimentis oder dieses Beispiel hier. Eigenlob – jawohl, I confess.

Nachtrag vom 11. März 2011:

Die Schweizer Blogosphäre hat über das neue Politblog bislang noch kaum publiziert. Heute befasste sich dafür Medienjournalist Nick Lüthi in seiner “Bund”-Kolumne mit dem neuen “Diskussionsforum” aus dem Hause Tamedia:

Diskussion braucht Qualität (11.03.; PDF)

5 Replies to “Politblog: Dialog oder noch mehr Bashing?”

  1. Lieber Mark

    Was mir besonders aufstößt, aber das kannst Du natürlich nicht aufgreifen, ist, dass hier ein Konzern jahrelang die neuen Medien ignoriert, dann nachschaut, wie die kleinen Pioniere das machen und schliesslich in ihr Territorium eindringt. Auch das lässt Schlimmes befürchten.

    Anständig wäre gewesen, zuerst bei Dir und Deinen Kollegen anzuklopfen, zu fragen, wie Ihr das macht und dann eine geeignete, noch nicht besetzte Nische zu suchen. So hätte gemeinsam etwas für die Demokratie getan Weden können. Dass das nicht passierte, spricht Bände. Der neue Blog hat seine Glaubwürdigkeit schon bei der Lancierung verspielt.

    Grüsse aus Sydney,
    ptr

  2. Im neusten Beitrag zieht der “24 Heures”-Chefredaktor Thierry Meyer über “die Wissenschaft” her, meint dabei aber nur “eine Ansammlung von sechs Studien” über den Zustand der Medienlandschaft, erwähnt davon aber lediglich deren drei und verirrt sich dann in seinem Eifer in Details, welche die meisten Lesenden gar nicht verstehen – und vermutlich auch nicht interessieren.

    Zum Vorwurf, die Internet-Seiten der jeweiligen Zeitungen wären kein Ort der Debatten, schreibt er unter anderem:

    “Wissen denn die selbst proklamierten Experten, dass die «Tribune de Genève» über 250 Blogs beherbergt, die von Persönlichkeiten sowohl der politischen wie auch der öffentlichen Gesellschaft geführt werden, und regelmässig zu angeregten Debatten beitragen?”

    Nun frage ich mich, weshalb der Chefredaktor der “24 Heures” die Blogs der “Tribune de Genève” zu Hilfe nehmen muss.

    Vor allem aber ist der von ihm verwendete Begriff “beherbergt” zu betonen. Man stellt nämlich lediglich eine technische Plattform bereit, liefert aber inhaltlich überhaupt nichts dazu. Das ist keine Leistung und darauf hätte auch die Romandie nicht warten müssen, denn dafür gäbe es beispielsweise blogger.com oder wordpress.com.

    Man erkennt daran, dass wenig Ahnung über Blogs vorhanden ist. Und ein Blog, in welchem echt debattiert werden soll, ist eben mehr als nur das Hinzuschalten einer Kommentarfunktion unter einen redaktionellen Beitrag.

    Darum ist auch der Politblog nichts weiter als ein Synonym für die bisher bekannte Kommentarfunktion des Newsnetzes. Immerhin leistet dieses damit einen wertvollen Beitrag an die Psycho-Hygiene vieler Kommentarschreibenden.

  3. ‘@ Titus

    Dein Kommentar zeigt exemplarisch, wie ein Kommentar sein sollte. Er geht auf das Posting ein, bringt neue Aspekte eini und kritisiert, ohne zu verletzen. Er gehört deshalb gerahmt in die Redaktionsstuben.

  4. ‘@ Peter Metzinger

    No hurt feelings. Das “Newsnetz”-Politblog hat praktisch nichts mit dem Wahlbistro, das ich im Sommer 2008 lancierte, zu tun. Dort werden die Teilnehmenden telefonisch verifiziert, sie dürfen nur mit ihrem real existierenen Namen kommentieren, zugleich können sie Links einfügen (etwa zu Smartvote, Facebook, Twitter, der eigenen Website) und ein Foto hochladen. Es bestehen zudem eine fix definierte Maximallänge pro Kommentar sowie klare Hausregeln.

    Das Verifizieren bedeutet ein beträchtlichter Mehraufwand für uns Betreiber, wirkt sich aber positiv aus auf die Qualität der Debatten. Jeder, der einen Kommentar verfasst, überlegt es sich genau, wie er sich artikulieren soll. Im Wissen darum, dass er mit seinem vollen Namen aufscheinen wird.

    Mit 1,5 bis 2 Stellen liesse sich übrigens schweizweit und permament ein solches Diskussionsforum betreiben. Finanziert werden müsste es von einer Stiftung oder dem Bund, der ja auch einige und gute Anstrengungen unternimmt, um die Partizipation und politische Bildung (wieder) zu verbessern.

    Es wäre gut investiertes Geld – gerade langfristig.

    Das Politblog von “Newsnetz” bietet, wie Titus schon vermerkte, in der jetzigen Form keinen Mehrwert. Aber vielleicht schrauben die Macher noch am Konzept. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Seit Jahren gut unterwegs ist übrigens NZZVotum.

  5. Ich beobachte das Projekt mit Interesse und bin gegen höhere Hürden. Ich möchte keine elitäre Demokratie-Diskurse, bei denen 90% der Bevölkerung nicht mitdisuktieren kann. Das wäre nicht sehr basisdemokratisch. Wer für Basisdemokratie ist, der muss den Volksmund ertragen können.

    Eine Limitierung der Textlänge für Kommentare gibt es.

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