Quereinsteiger in der Politik: Hohe Erwartungen, bescheidene Wirkung
Publiziert am 09. Dezember 2013GAST-BEITRAG von Sarah Bütikofer *
Im Februar 2014 möchte Filippo Leutenegger (fdp) Stadtpräsident von Zürich werden. Er ist seit zehn Jahren Nationalrat und gehörte in Bern anfänglich einer raren Spezis an: er ist ein sogenannter Quereinsteiger. Ohne vorherige politische Erfahrung aus einem anderen Amt wurde der bekannte Fernsehmann im Herbst 2003 von den Zürcher Stimmberechtigten direkt in den Nationalrat gewählt. Nach einem Jahrzehnt in der Bundespolitik zieht es ihn zurück in seine Stadt. Meist verläuft die politische Karriere in die andere Richtung. Man sammelt erste Erfahrungen auf der kommunalen Ebene und arbeitet sich Schritt für Schritt auf die nationale Ebene vor. Kommt man dort an, ist man routiniert und bereits mit parlamentarischen und parteiinternen Abläufen vertraut.
Quereinsteiger gelten als Hoffnungsträger. Man nimmt an, dass sie eine bürgernahe Politik verfolgen, über viel Berufserfahrung aus der Privatwirtschaft verfügen und parteiunabhängiger politisieren. Eine kürzlich vorgestellte Studie aus Deutschland** hat diese Hoffnungen relativiert. Man darf von Quereinsteigern in der Politik nichts Weltbewegendes erwarten. Im Deutschen Bundestag, einem Berufsparlament, ist jeder zehnte Parlamentarier ein Quereinsteiger. Sie treten in der Regel spät in eine Partei ein und erreichen nach kurzer Zeit ein Mandat im Bundestag. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger werden von den Parteien für ihre berufliche Expertise geschätzt und zeichnen sich durch mehr Auslands- und Führungserfahrung aus als die typischen deutschen Berufspolitiker und “Parteiochsentourler”.
Fehlende politische Sozialisierung als grösster Nachteil
Im Gegensatz zu den hohen Erwartungen ist die Wirkung von Quereinsteigern beschränkt. Sie sind – zumindest in Deutschland – in wichtigen Fraktions- und Parlamentsämtern schlecht vertreten und können ihre Expertise nicht so zielgerecht in die parlamentarische Arbeit einbringen wie ihre etablierten Parteikollegen. Die Untersuchung, die an der ETH Zürich und an der Universität Konstanz durchgeführt wurde, brachte zudem zu Tage, dass sich die Eigenwahrnehmung von Quereinsteigern stark von der Wahrnehmung ihrer Ratskollegen unterscheidet.
Während letztere die fehlende politische Sozialisierung als grössten Nachteil für Quereinsteiger erachten, sind diese selbst oft der Meinung, durch ihre vorangegangene Berufserfahrung genügend gut auf den Parlamentsbetrieb vorbereitet zu sein. Wie die Studie weiter zeigt, bringen Quereinsteiger bekannte politische Persönlichkeiten weder zu Fall noch verändern sie Parteien grundlegend. Ihnen fehlt der dafür notwendige direkte Draht zur Fraktionsführung, die Verankerung auf der lokalen und regionalen Ebene sowie der Zugang zu den Netzwerken innerhalb einer Partei, die sich andere Politiker über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, aufgebaut haben.
Die wenigsten Quereinsteiger kommen aus dem Nichts
Eine vergleichbar detaillierte Analyse der Karrierewege der Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern liegt noch nicht vor. Wir wissen nur, dass der Anteil der Quereinsteiger in der Bundesversammlung seit einem Jahrhundert konstant ist. Pro Legislatur gewinnen jeweils zwischen zwanzig und dreissig Kandidierende ohne politische Erfahrung aus kommunalen oder kantonalen Ämtern einen Sitz im eidgenössischen Parlament.*** Aus dem Nichts kommen allerdings die wenigsten. In der Regel waren sie in einer Partei aktiv und verfügten deshalb in ihrem Kanton über einen gewissen Bekanntheitsgrad. Nur ganz wenige Personen aus den Bereichen Medien, Sport oder Kultur waren so bekannt, dass sie es auch ohne etablierte Parteibeziehung direkt nach Bern geschafft haben. Ganz grosse Stricke haben diese in der Bundespolitik aber selten zerrissen.
Ob es Filippo Leutenegger (Foto rechts) gelingt, in der rot-grün dominierten Stadt Zürich die amtierende Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp) vom Thron zu stossen, ist eher fraglich, dürfte aber weniger an seiner inzwischen grossen Erfahrung als Politiker, denn an seinen politischen Positionen und an seiner kleineren Hausmacht liegen. Die Ausgangslage zu den Wahlen in die Exekutive der Stadt Zürich skizzierte die NZZ Mitte November präzis.
* Sarah Bütikofer ist promovierte Politikwissenschafterin mit den Schwerpunkten Schweizer Politik und Parlamentsforschung. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich und ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen der Schweiz.
** Bailer, Stefanie, Peter Meissner, Tamaki Ohmura und Peter Selb (2013): Seiteneinsteiger im Deutschen Bundestag. Wiesbaden: Springer.
*** Pilotti, Andrea (2012): Les parlementaires suisses entre démocratisation et professionnalisation (1910 – 2010). Biographie collective des élus fédéraux et réformes du Parlement helvétique. Thèse en sciences politiques, Université de Lausanne, Faculté des sciences sociales et politiques.
Fotos:
– Sarah Bütikofer: Alicia Martorell
– Filippo Leutenegger: Fernwärme Schweiz