Roger Köppels Attacke wird Schule machen

Publiziert am 27. April 2016

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Beide sind belesen und klug, aber sie mögen sich nicht. „Weltwoche“-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel nimmt jede Gelegenheit wahr, in seinen Editorials gegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga zu schiessen. Mehrfach wurde sie und das Asyldossier, das sie verantwortet, zur Titelgeschichte. Mit Kritik hat das nichts mehr zu tun, es ist eine gehässige Kampagne, die das Heft schon seit Monaten gegen die Justizministerin reitet.

Gestern trug Köppel diese Kampagne unter die Bundeshauskuppel. Als es um das Kroatien-Protokoll ging, machte er aus seinem allerersten Auftritt als Nationalrat gleich einen Frontalangriff. In seinem fünfminütigen Votum sprach er nicht zum eigentlichen Geschäft, sondern über Flüchtlinge und Asyl. Und immer wieder nannte er Sommaruga beim Namen, spitzte zu, als ob sie irgendetwas alleine entscheiden könnte. Sie habe “Männer aus Gambia, Somalia und Eritrea ins Land geholt”, wetterte Köppel. Eine Unterstellung, die typisch ist für seine Rhetorik, die er schon seit Jahren pflegt.

Diese Aussage war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Sommaruga stand auf und verliess wortlos den Saal. Ihre Reaktion ist menschlich – auch Bundesräte sind nur Menschen! –, aber nicht souverän. Gerade weil sie davonlief und die SP-Fraktion ihr folgte, stärkt sie Köppel, und diese Episode wird nun vermutlich zum grössten Thema der Woche.

Im Nationalratssaal gibt es seit jeher immer mal wieder Entgleisungen und hässliche Voten. In den ersten Jahrzehnten des modernen Bundesstaates zogen Politiker schon mal ihre Hosen runter und zeigten ihrem politischen Gegner den Hintern (der in der Regel von einem langen Hemd bedeckt war) und damit ihre Verachtung.

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Die Attacke Köppels als polemische Posse eines Flegels oder als Zynismus abzutun, greift zu kurz. Sie hat eine andere Tragweite: Was Köppel sagte, triefte vor Häme und Verachtung. Er kritisierte nicht die Sache, sondern die Person – sein Feindbild. Damit beschädigt er die politische Kultur unseres Landes. Im Zeitalter von Clickbait-Journalismus und Social Media dreht eine solche Story sofort auf hohen Touren. Bis am Sonntag werden noch Dutzende von Texten zum Thema erscheinen. Der linke Mob springt auf und hasst Köppel noch mehr als früher, der rechte Mob fühlt sich bestärkt und prügelt auf Sommaruga ein.

Köppels Attacke wird Schule machen, in TV-Debatten und Schulzimmern, an Versammlungen und Podien. Der schnelle Denker, Spieler und gerissene Provokateur wird zum Vorbild. Wenn ein Chefredaktor und Nationalrat sich so verhält, geht ein Ventil auf: Andere wollen auch. Dabei geht es nur noch um etwas: Den Gegner auf einer persönlichen Ebene angreifen, ihn respektlos zu Boden knütteln und mit Häme überschütten. Die Prämie: das Geheul der Meute. Nur: So zu politisieren ist unschweizerisch.

Mit solchen Auftritten riskiert Köppel im Weiteren, ein zweiter Mörgeli zu werden. Dieser war zu Beginn seiner politischen Karriere ein gefürchteter Debattierer. Weil er über Jahre hinweg und dauergrinsend die ewig gleichen Giftpfeile in alle Richtungen schoss, wurde er aber irgendeinmal von niemandem mehr Ernst genommen. Bei den Nationalratswahlen im Herbst 2015 war das Parteivolch seiner überdrüssig und strich ihn von der eigenen Liste. Die Zürcherinnen und Zürcher waren mörgelimüde geworden. Er wurde abgewählt – ein Sturz ins Bodenlose.

Mark Balsiger

 

Nachtrag vom 30. April 2016:

Roger Köppel legt nach: Gegenüber “TeleZüri” verglich er Bundesrätin Sommaruga mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Anderen Medien gegenüber gab er zu Protokoll, Sommarugas Verhalten ihm gegenüber sei “respektlos”.

Der “Blick” liefert heute einen Faktencheck zu Roger Köppels Rede.

Andere Kommentare:

Sommarugas Abgang hilft einzig Köppel (Berner Zeitung, Bernhard Kislig)
Politik ist keine Aromatherapie (Tages-Anzeiger, Jean-Martin Büttner)
Einmal kräftig spülen, bitte (NZZ, Heidi Gmür)
Eklat im Parlament: Hört auf mit dem Klamauk! (Aargauer Zeitung, Christian Dorer)
Die Wiedergeburt der Politik (Basler Zeitung, Markus Somm)

Mit quälender Hartnäckigkeit (Die Zeit; Mathias Daum, 16.05.2016)
Weshalb Bundesrätin Sommaruga die Erzfeindin der SVP ist.

 

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