Politik im Schweinwerferlicht, Politik für das Scheinwerferlicht

Publiziert am 18. Juni 2010

Die Sommersession der eidgenössischen Räte, die heute zu Ende ging, zeigte exemplarisch: das politische System der Schweiz steht unter Stress. Die Sitzungen dauerten mehrfach bis tief in die Nacht, die Traktandenlisten mussten wieder und wieder neu geschrieben werden, die komplexen Geschäfte überforderten vermutlich sogar einige Parlamentarier. Hektik und schlechte Stimmung allüberall.

Ohne Not wurde die Veröffentlichung des GPK-Berichtes ausgerechnet auf den ersten Sessionstag (Montag, 31. Mai) festgelegt: Auflage des Berichts um 9 Uhr, Medienkonferenz um 11 Uhr. Sie dauerte bis weit über Mittag. Die ersten “Analysen” bei den elektronischen Medien und auf den Onlineplattformen waren zu diesem Zeitpunkt bereits in die Welt gesetzt. Gelesen hat der 370 Seiten umfassende Bericht niemand. Die Publikation und Wertung des GPK-Berichts hätte man besser einige Tage vor der Session gemacht.

Vom ersten bis zum zweitletzten Sessionstag stand der Staatsvertrag mit den USA immer wieder im Scheinwerferlicht. Dieses Geschäft war voller Irrungen und Wirrungen, es wurde gepokert, gelärmt und taktiert. Noch vor der Halbzeit wirkten viele Akteure ermattet, das Publikum befremdet. Von Tag zu Tag klinkten sich mehr Bürgerinnen und Bürger aus – kopfschüttelnd, verärgert, überfordert. So verliert das Parlament an Glaubwürdigkeit.

Ob die Parteien im nächsten Jahr wegen dieser Art von Showpolitik elektoral punkten können, ist ungewiss. Sicher ist: die politischen Institutionen nehmen Schaden, im Volk setzt sich Politikverdrossenheit fest.

Nachtrag vom Sonntag, 20. Juni 2010:

Andreas Durisch, Chefredaktor der “SonntagsZeitung”, kommentiert heute das Gezerre um den  Staatsvertrag. Er wirft SP und SVP “Machtgier” vor.

Kein Ruhmesblatt – Kommentar SonntagsZeitung (20.06.2010, PDF)

Foto Nationalratsdebatte: blogs.ethz.ch

10 Replies to “Politik im Schweinwerferlicht, Politik für das Scheinwerferlicht”

  1. Politikverdrossenheit ist auch nicht weiter erstaunlich, wenn Politiker im Pensionsalter wieder zur Wahl antreten wollen. Oder wenn sie auch nach drei, vier Legislaturen an ihrem Sessel kleben bleiben.

    Wieso kann man nicht loslassen und das Feld neuen, jüngeren und unverbrauchten Kräften überlassen? Jungparteien zeigen regelmässig, dass sich über Parteigrenzen hinweg Lösungen finden lassen. Etwas, das bei den “Alten” leider überhaupt nicht mehr funktioniert.

    Deshalb bitte ich alle Politikerinnen, die älter als 62 und/oder länger als 12 Jahre im Parlament sind, nicht mehr zu Wahl anzutreten. Und Christoph Blocher soll doch bitte, bitte nicht wieder kandidieren. Er hat wirklich lange genug gewirkt. Seine Zeit ist vorbei. Er soll nun endlich von der politischen Bühne abtreten. Endgültig.

  2. Zugegeben, das Gestürm ist nicht schön, dafür zeigt es, dass das Schweizer Parlament im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr Macht gegenüber der Regierung hat. Und was mich im vorliegenden Fall halt doch freut, ist, dass es der SVP für einmal nicht gelungen ist, den Schwarzen Peter einfach den anderen Parteien zuzuspielen und als alleiniger Verteidiger hehrer Schweizer Mythen dazustehen.

  3. ‘@ Hardy

    Das fällt mir gelegentlich ebenfalls auf: Bei den Jungparteien wird sportlich gekämpft, ab und an gibt es eine Provokation, und dann ist die Sache wieder gegessen. Bei grossen Themen spannen sie aber zusammen, entwickeln gute Projekte.

    Kaum in die Mutterparteien gewechselt, wird das offenbar schwieriger.

    @ Harald Jenk

    Einverstanden. Die SVP schien ohne Kompass unterwegs zu sein. Die Rolle Ihrer Partei, der SP, ist allerdings auch problematisch.

  4. Ich erachte die Rolle der SP nicht als problematisch, sondern ehrlich. Sie wollte endlich etwas gegen die Abzocker unternehmen.

    Komisch ist, dass Forderungen der SP als Erpressung gebrandmarkt werden, aber wenn die SVP Forderungen stellt, dann nimmt dieses Wort niemand in den Mund.

    Die bürgerlichen Parteien und Politiker sind doch allesamt verlogen. Zuerst gibt man sich empört in Bezug auf die Boni-Exzesse und dass der Bund die UBS retten musste.

    Man verspricht, sofort etwas dagegen zu unternehmen, spuckt grosse Töne und dann lässt man Gras über die Sache wachsen und verschiebt auch noch gleich die Abzocker-Initiative auf den Sankt Nimmerleins-Tag.

    Diesmal kann man der SP wirklich nicht den Vorwurf machen, sie hätte kein Profil gehabt oder hätte nicht klar gesagt, was sie will.

    Fragt sich, was dem Normalbürger mehr nützt: der Staatsvertrag mit den USA oder eine Lösung für das “too big to fail” Problem und Massnahmen gegen die Selbstbedienungsmentalität der Manager (insbesondere bei den Banken – aber nicht nur).

  5. ‘@ Hardy
    Über den Handlungsbedarf bezüglich «too big to fail»-Problematik bin ich durchaus mit Ihnen einig. Was mich indes an der Sache stört, ist die versuchte Koppelung eines Themas A mit einem Thema B.

    Gewiss, es geht in beiden Fällen um Banken und um die UBS im Speziellen. Aber an die USA zu liefernde Kundendaten haben doch eigentlich gar nichts mit falschen Anreiz-Systemen bei den Banken zu tun, oder?

    Und was kommt morgen? Was soll morgen miteinander verkoppelt werden?

    Vielleicht, dass die nächste AHV-Revision nur gutgeheissen wird, wenn den Senioren im Rahmen der «Bahn 2030» besondere Vergünstigungen eingeräumt werden? Das ist ebenso grotesk wie das, was die SP in der letzten Session versuchte.

  6. ‘@titus sprenger
    Die SP musste es mit dieser “grotesken” Koppelung probieren. Denn sie wusste, dass die Bürgerlichen gar kein Interesse daran haben, die Banker in die Schranken zu weisen (Lösung des too big to fail-Problems und der Boni).

    Der Einsatz war hoch bei diesen Poker, das gebe ich zu. Aber der Zweck heiligt die Mittel. Und die Absicht der SP war klar kommuniziert und daher transparent.

    Es leigt nun an allen Schweizerinnen und Schweizern zu beurteilen, welche Partei sich nur für sich selbst (SVP), für die Banken (FDP, CVP) oder für die Bevölkerung (SP, Grüne) eingesetzt hat.

    Hoffentlich vergessen das die Wähler/innen nicht bis im Herbst 2011.

  7. ‘@ Hardy
    Warum schafft es ein Thomas Minder, selbst die Bürgerlichen das Fürchten zu lernen und dies mehr oder weniger im Alleingang, sodass alle anderen zu Trittbrettfahrern werden? Warum kommt von einem Privatmann ein solcher vorwärtsgewandter Vorschlag – und nicht von einer vereinigten Linken oder von der so genannten «unheiligen Allianz» (SVP-SP)? Was ist geworden aus dem medienwirksamen Auftritt des Trios Brunner-Hayek-Levrat?

    Bei allem, was heute von irgendeiner Partei zu diesem Thema kommt, fehlt es mir einfach an Glaubwürdigkeit. Zu sehr wurde in der Vergangenheit die Partei in den Vordergrund gestellt – und zwar von links bis rechts. Damit wären wir bei der oben erwähnten Politikverdrossenheit…

  8. ‘@titus sprenger
    und jetzt wird die Initiative von Herr Minder auf die gaaanz lange Bank geschoben. Weil sich die Bürgerlichen fürchten, das Volk könnte JA sagen.

    Mich hat enttäuscht, dass sich Minder von Blocher und Co. für deren dubiose Zwecke einspannen liess.

    Ein SVP-SP Gespann bei Themen wie Abzocker, und Bonisteuer ist doch lächerlich. Die SVP klopft zwar grosse Sprüche, was sie alles gegen die Boniexzesse unternehmen will, meint aber eigentlich genau das Gegenteil.

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