Mehr Sicherheit wird zu einem dominanten Thema im Wahljahr 2008
Publiziert am 12. November 2007Rund 12 Monate vor den Wahlen in der Stadt Bern steht ein grosses Wahlkampfthema bereits fest: Sicherheit. Den Boden bereiten seit langem die Meldungen über Raub und Schlägereien, Drogenszene und Vergewaltigung. Vor etwa vier Jahren wurde ein Velofahrer in der Postgasse fast zu Tode geprügelt, mit Folgen, die ihn bis ans Lebensende ständig begleiten. Ein Fanal. Die Stadt war schockiert, ein Protestmarsch folgte. Und dann ging die Sache wieder vergessen.
Die Verlautbarungen und Vorstösse der SVP halten die Problematik in den Schlagzeilen. Zuletzt mit der Ausschaffungsinitiative. Inhaltlich will diese straffällige Ausländer ausschaffen – obwohl das schon heute möglich ist -, beim Publikum klingt aber einmal mehr noch etwas anderes an: Sicherheit, präziser: der Mangel an Sicherheit.
Vollends ins Zentrum der Diskussion rückte die Sicherheit nach dem Krawall-Samstag vom 6. Oktober, als eine unbewilligte Kundgebung von autonomen Gruppierungen den bewilligten Marsch der SVP vom Bärengraben bis zum Bundesplatz verhinderte. Die Polizei war mit einem zu kleinen Aufgebot präsent und erntete in der Folge massive Kritik, ebenso Polizeidirektor Stephan Hügli.
Vor Monatsfrist trat ein überparteiliches Komitee “Für ein Bern, in dem wir uns wohl fühlen” an die Öffentlichkeit. Motto: “Jitze längts”. Mit einer Petition fordert es u.a., dass unbewilligte Demonstrationen nicht mehr geduldet werden. Letzte Woche stiess die CVP nach mit einer Resolution “Damit Bern sicherer wird”. Und jetzt kündigt FDP-Stadtrat Philippe Müller eine Volksinitiative “Für mehr Sicherheit in der Stadt Bern” an. Diese fordert die Aufstockung des Polizeicorps um 37 Stellen und eine höhere Präsenz an den neuralgischen Stellen.
Der Zeitpunkt dieser Ankündigung ist geschickt gewählt, das Thema bewegt und wird so weiterhin eines bleiben. Die Volksinitiative soll im Januar lanciert werden. Sie hat gute Chancen, im Nu genügend Unterschriften zusammenzubringen. Womöglich können die Stadtberner noch im Wahljahr 2008 darüber abstimmen. Das müsste das Ziel des Initianten sein. Philippe Müller hat ein Flair für publikumswirksame Auftritte. Ihm dieses Mal Populismus und Eigennutz vorzuwerfen greift aber zu kurz. Er nahm sich bei der möglichen Auswechslung von Gemeinderat Stephan Hügli, die die FDP diskutiert, bereits aus dem Rennen.
Sicherheit ist nicht per se ein Thema der bürgerlichen Parteien. Die GFL fällt schon seit mindestens drei Jahren mit teilweise abweichenden Meinungen zur RGM-Stossrichtung auf. Der Positionsbezug der SP, gerade nach ihrem Aderlass bei den Nationalratswahlen, darf mit Spannung erwartet werden. Wenn sie keine glaubwürdigen Antworten und Konzepte findet, bleibt sie bis zum Wahltermin von Ende November 2008 angeschlagen. Das Thema Sicherheit ist die Achillesferse der SP.
Mark Balsiger
Ich weiss, dass diese Frage delikat ist, dennoch: Was raten Sie der FDP Bern in Sachen Hügli?
Diese Frage ist delikat, trotzdem: Was raten sie der FDP in Sachen Hügli?
Mich interessiert die Ausgangslage auf der rot-grünen Seite. Stadtpräsident Alexander Tschäppät machte ja beispielsweise nicht immer einen souveränen Eindruck.
‘@ Kay
Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, die FDP über diesen Kanal zu beraten. Eine kurzse Auslegeordnung sei aber versucht:
Stephan Hüglis Interesse, in die Exekutive zu gelangen, ist langjährig und bekannt. Im Frühjahr 2004 schaffte er die Nomination nicht. Als Nachfolger von Kurt Wasserfallen hat ihn seine Partei hingegen nominiert. Das war im Januar 2007, im März wurde er gewählt, mit einem knappen Vorsprung auf Reto Nause (cvp).
Hügli war Fraktionschef der FDP. Wir dürfen davon ausgehen, dass diese Schlüsselfunktion mit Bedacht vergeben wird. Dass aber ein guter Fraktionschef automatisch auch ein guter Exekutivpolitiker wird, ist offen. Hügli wusste von Anbeginn, dass die SVP auf ihn Jagd machen wird. Gleichzeitig blieben ihm eineinhalb Jahre, sich zu positionieren und zu profilieren. Mit einem auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Leistungsausweis sowie dem “bisher” im Rücken hätte er bei den Gesamterneuerungswahlen im November 2008 nicht zittern müssen. Ich schreibe fast nur im Konjuktiv, was einiges klärt…
Seit dem Krawall-Samstag vom 6. Oktober ist alles anders, für viele ist Hügli pesona non grata, das Bashing, das teilweise betrieben wird, finde ich allerdings degoutant. Selbst nach den offensichtlichen Fehlern des Demonstrationstages hätte er mit einer souveränen Kommunikationstrategie viel Übel abgewenden können.
Hügli geht angeschlagen in das Wahljahr 2008.
Wenn ihn seine Partei fallenlässt – das wäre vermutlich Ende Januar bei der Nominationsveranstaltung der Fall -, bleibt der Stadtregierung für die restlichen elf Monate eine “lahme Ente”. Das ist aus einer Gesamtsicht problematisch. Die Besserwisser, die es auch FDP-intern gibt, müssten Farbe bekennen – und kandidieren. Getreu der Wendung: Jetzt müssen die Bessermacher ran. Ob es jemanden echt gelüstet, auf Grund der vertrackten Situation anzutreten, zuerst Stephan Hügli intern herauszufordern und dann auch noch in ein langes Wahljahr mit ungewissem Ausgang zu gehen? Ich zweifle.
In der Presse war von offener Drogenszene und Gruppen bettelnder Rumänen aus Italien die Rede. Hier von Raub, Schlägereien und Vergewaltigung. Die Gewaltszenen vom 6. Oktober 2007 sind auch noch im Kopf. Die Stadt Bern scheint mir ein sehr gefährliches Pflaster zu sein. Meine gelegentlichen Besuche der Stadt haben mir wohl ein völlig falsches Bild vermittelt. Ob die angeführten, bis Ende Jahr befristeten, Massnahmen Bern sicher machen? Vorsichtshalber habe ich einmal Bernbesuche bis auf weiteres gestrichen.
‘@ J.C. Ihre Vorsichtsmassnahme scheint mir übertrieben, Bern ist kein gefährliches Pflaster. Die Massierung von negativen Nachrichten haben dieses Bild gezeichnet. Es zeigt die Realität nicht genau. Bis Ende Jahr ein restriktiveres Regime gegenüber der Drogenszene einzuführen ist ein Versuch wert. In der Hoffnung, das Polizeicorps könne und wolle die zusätzlich anfallenden Stunden leisten. Nach den Bemütigungen im Nachgang des 6. Oktober ist die Stimmung dort nicht gut. Entsprechend dürfte es auch an der Motivation fehlen.
Nach Rücksprache mit Adrian Zurbriggen, Leiter der Stadtredaktion der “Berner Zeitung”, übernehmen wir hier einen Teil seines Kommentars vom 13. November 2007 über das Ansinnen der Stadtregierung, bis Ende Jahr die Polizeipräsenz massiv zu erhöhen.
Titel des Kommentars: “Opium fürs Publikum”
“Das [die erhöhte Polizeipräsenz] ist für den Moment eine gute Lösung, die Sicherheitslage hat sich in den letzten Wochen verschärft. Doch es ist nur eine Lösung auf Zeit. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass der Gemeinderat damit weniger auf die Situation in der Stadt reagiert als auf die lauter werdende Kritik seiner Politik: Gewerbler gründen Komitess, nationale Medien thematisieren Berns ‘Verslumung’, eine angekündigte Volksinitiative will mehr Polizei erzwingen. Und nächstes Jahr wird gewählt.
Der Gemeinderat wird den Beweis noch erbringen müssen, dass die kurzfristige Erhöhung der Polizeipräsenz mehr ist als Opium fürs Stimmvolk.”
ADRIAN ZURBRIGGEN, BERNER ZEITUNG
‘@ lotus vorerst exgüsé für die späte Reaktion meinerseits. Ich kämpfe seit einer Woche gegen die Viren, und habe Ihre Frage vorübergehend übersehen.
Nun, die Ausgangslage der rot-grünen Seite im Gemeinderat scheint klar zu sein. Edith Olibeth hat zwar ofiziell noch nicht bekanntgegeben, dass sie wieder antritt. Wir dürfen aber davon ausgehen. Von Stadtpräsident Alex Tschäppät ist bekannt, dass er nächstes Jahr wieder kandidieren wird. Das bekräftige er ja auch im “Bund”-Interview von gestern. Bekannt ist auch, dass er im Jahr 2012 aufhören will. Er habe das seiner Lebenspartnerin versprochen, sagte er einmal.
Regula Rytz schliesslich wird zweifellos wieder antreten. Seitens der GFL (Grüne Freie Liste; für Nicht-Berner: das ist grüne Partei, die vor rund 20 Jahren u.a. aus einer Absplitterung des Freisinns entstand) wird man wohl niemanden ins Rennen schicken. Man wolle Regula Rytz, die bislang eine pragmatische Politik betrieben habe, nicht angreifen, hiess es diese Woche seitens der GFL-Spitze.
Damit dürfte das Trio Olibeth/Tschäppät/Rytz gesetzt sein.
‘@ Mark Balsiger
Danke. Und welche Rolle spielen die Grün-Liberalen im Kanton Bern? Sie haben ja inzwischen auch eine Kantonalpartei gegründet. Wenn man die Erfolge, die sie in Zürich schon feiern konnten, sieht: kann das auch in Bern passieren?