SP und FDP holen schon jetzt Anlauf, um 2011 zu den Gewinnern zu gehören

Publiziert am 14. Oktober 2009

Ich unterrichte dieser Tage in Luzern am MAZ, der Schweizer Journalistenschule. Das Modul heisst “Politisches System Schweiz”. Frontalunterricht ist mir ein Greuel, ich mag die Interaktion, den Diskurs. Entsprechend lud ich heute zwei Schlüsselfiguren der Schweizer Politik ein: SP-Präsident Christian Levrat (oben) und der Generalsekretär der FDP.Die Liberalen Stefan Brupbacher (unten).

Levrat wie Brupbacher arbeiten schon seit geraumer Zeit auf dasselbe Ziel hin: die eidgenössischen Wahlen 2011. Einer zu einem Teil im Rampenlicht der Medien, der andere praktisch immer im Hintergrund. Beiden ist gemeinsam: sie müssen gewinnen. Beide liefen am MAZ zur Hochform auf. Diese Energie werden sie auch die nächsten zwei Jahre brauchen.

Zur Erinnerung: Die FDP Schweiz hat seit 1983 kontinuierlich Wähleranteile verloren, die SP büsste im Oktober 2007 satte 3,8 Prozent ein. Eine Schlappe von historischem Ausmass.

Wir sprachen mit den beiden Gästen über die Bundesratswahlen vor Monatsfrist, aber auch über ihre Absichten und Schwerpunkte in den nächsten Jahren, Levrat am Morgen, Brupbacher am Nachmittag. Der Inhalt dieser Gespräche unterliegt der Chatham House Rule, d.h. alles bleibt vertraulich – so verlockend es wäre, hier Details anzustossen.

Versuchen wir doch herauszudestillieren, wie die beiden Parteien wieder auf die Siegerstrasse zurückkehren könnten. Ein paar hingeworfene Fragen zur Anregung:

– Schadet der SP die Nähe zu den Gewerkschaften?
– Weshalb verliert sie in ihren Hochburgen, den Städten wie Basel, Bern und Genf. Und wieso verliert sie, obwohl die sozialen Fragen inzwischen wieder stärker gewichtet werden?
– Was taugen die beiden neuen Volksinitiativen (Mindestlohn, erneuerbare Energien)?

– Sind die Bundesräte Leuenberger und Merz eine Hypothek für beide Parteien?

– Kann es sich die FDP leisten, das Thema Ökologie weiterhin kaum zu bewirtschaften?
– Was ist ihr bei ihrem Verhältnis zu SVP, Banken und Pharmaindustrie zu raten?
– Wie kommt sie vom Image weg, eine kalte Juristenpartei zu sein?

Was meinen Sie? Die Diskussion ist – notabene zum 300. Beitrag auf diesem Blog – eröffnet.

Fotos: Mark Balsiger

6 Replies to “SP und FDP holen schon jetzt Anlauf, um 2011 zu den Gewinnern zu gehören”

  1. Viele Fragen, deshalb konzentriere ich mich aus Zeitmangel auf deren zwei:

    Sind die Bundesräte Leuenberger und Merz eine Hypothek für die beiden Parteien? So kurios es klingen mag:
    Leuenberger: Ja.
    Merz: Nein.
    Merz ist aufgrund des Lybien-Debakels (derzeit) nur für sich selber eine Hypothek. Kommt es zu Retorsions-Massnahmen, hat er nicht mal schlechte Karten.
    Leuenberger hingegen ist einfach bereits zu lange in Bern. Er wird mittlerweilen mehr als philosophierender Sesselkleber wahrgenommen, denn als Bundesrat. Tritt er ab, eröffnet er der Partei zumindest eine willkommene Plattform.

    Kann sich die FDP leisten, das Thema Ökologie weiterhin kaum zu bewirtschaften?
    Faktenbasiert müsste man da wohl “Ja” antworten. Populistisch ist mit diesem modernen Glaubensbekenntnis derzeit leider immer noch ein Blumentopf zu gewinnen.

    Die FDP müsste sich aber v.a. auf ihre freisinnigen Stärken und damit auf ihre Gründerväter berufen. Wo ist die Stimme des Zürcher Freisinns in seinem besten, liberalen Sinne? Wo sind denn die herausragenden Köpfe, die der Partei und damit dem Land einst den Stempel aufgedrückt haben?

  2. Aus aktuellem Anlass:
    Ich versuche sonst, eigene Gedanken zu formulieren. Das untenstehende Zitat passt aber wie die Faust aufs Auge. Deshalb gestatte ich mir ausnahmsweise, die Online-Ausgabe des Tagi zu zitieren und diese Aussage in die Diskussion einzubringen:

    Zweite Erkenntnis: Sozialdemokrat Jositsch überflügelt seinen Kontrahenten punkto Lohn deutlich. Für SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti bestätigt das «die Entwicklung, dass sich SP-Politiker in Behörden und Ämtern ihre Posten gesichert haben». Es sei vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass die Arbeiter – einst die Stammwählerschaft der SP – der Partei zunehmend den Rücken kehrten. «Der Büezer kann sich mit solchen Grossverdienern nicht identifizieren.»

    Quelle: Tagesanzeiger, online http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Bauer-und-Professor-lassen-sich-fuerstlich-entloehnen/story/30969821

  3. Eine Frage ist auch, was die Niederlagen bewirken. Wenn die Angst vor Verlust an Wähleranteilen förmlich zu riechen ist, wird es schwierig. Die Partei verliert an Selbstbewusstsein und Ausstrahlungskraft. Schnell kann Machterhalt zum obersten Gebot werden. Der Weg zum Eindruck, Machterhalt komme vor Profilierung, ist dann kurz und damit einhergehend der reale Verlust an Wähleranteilen.

  4. Vorab herzliche Gratulation zum 300. Beitrag!

    @ open society
    Die Diskussion um die aktuellen Gehälter der beiden Kanidaten ist deshalb nicht richtig, weil sich beide ihr Gehalt nicht ausgesucht haben. Warum im fraglichen Artikel ausgeblendet wird, wieviel Daniel Jositsch alleine schon als Nationalrat verdient (das dürfte nämlich auch schon ein mittleres Einkommen betreffen), ist mir unerklärlich. Auch hierauf kann er keinen Einfluss nehmen.

    Anders sähe es aus, wenn sie beide sich selber ein Gehalt geben könnten.

    Offen bleibt auch, was denn die beiden mit ihren Gehähltern machen. Verprassen sie es oder spenden sie grosszügig an karitative Institutionen?

    Kurz: Diese Diskussion ist mir zu einseitig.

    Allerdings – und nun mache ich einen Bogen zum eigentlichen Thema – es hat schon was, dass viele SP-Politiker eher etwas «Elitäres» haben und manchem einfachen Büezer fremd sind, währenddem manch hemdsärmeliger SVP-Politiker dem Büezer näher steht.

    Mit dem Bekenntnis von Moritz Leuenberger dieses Wochenende zur EU dürfte auch diese Frage (wieder) zunehmend an Bedeutung gewinnen.

    Damit vergrössert sich der Spagat noch mehr, welcher die SP zwischen urban und sozial denkenden Menschen und dem einfachen «Büezertum» macht. Aus meiner Sicht muss sich die SP nun daran machen, beides miteinander zu verbinden und aufzeigen, weshalb und warum das Eine ohne das Andere nicht geht. Dann könnte sie gewinnen.

    Denn die beiden Initiativen bringen wenig Neues, sind wenig kreativ. Bezüglich erneuerbarer Energien versucht man zu verhindern, nicht noch mehr Wähler gegenüber den Grünen und den Grünliberalen zu verlieren. Sich dafür zu engagieren ist schon fast Pflichtprogramm. Allerdings glaube ich nicht, dass die SP deswegen neue Wähler gewinnt. Sie wird höchstens einige nicht verlieren.

    Auch die Mindestlohn-Initiative ist Pflichtprogramm, um die bisherige Kompetenz für Soziales zu bestätigen. Auch das wird wohl kaum zu mehr Wählern führen, obschon sie im Grundsatz auch Zustimmung bei anderen Wählern finden wird.

    So ganz im Allgemeinen: Es fehlt a) an «knackigen» Themen (wobei der Beitritt zur EU eines ist) und b) es fehlt an herausragenden Persönlichkeiten. Einige Wechsel im vielbeachteten Bundesrat könnte das «Gesicht» einiger Parteien massgeblich verändern.

  5. ‘@ Titus Sprenger
    Dass der Tagi die Mandatseinkommen nicht erwähnt, ist das eine. Dass der Tagi dies überhaupt so aufzieht, ist das andere. Da dies aber eine andere Baustelle wäre, lassen wir die.

    Zum Stichwort „elitär“: die SP hat seit Jahr(-zehnt)en mit Abstand den höchsten Anteil an Akademikern unter ihren Wählern. Selects belegt, dass seit 1995 der Anteil dieser Gruppe konstant bei 25 bis 26% liegt. Beinahe 10 Prozentpunkte vor der nächsten Partei. Soziologisch gilt als gesichert, dass eine universitäre Schulbildung (tendenziell) höhere Einkommen generiert. Die sozialdemokratische Politik akzentuiert aber Themen, welche für höhere Einkommensschichten tendenziell nicht (oder zumindest weniger) zutreffen.
    Oder etwas plakativer: die SP macht mit Themen für ein Elektorat Politik, welches davon nicht selbst betroffen ist. Karitative Politik als Gewissensberuhigung?

  6. ‘@ open society
    Treffend formuliert. Was die Schlussfrage betrifft: Natürlich ist das Gewissensberuhigung. Das sehe ich aber überhaupt nicht negativ, im Gegenteil. Es sollte unser aller Gewissen beunruhigen, wenns anderen nicht wenigstens gleich gut geht.

    Sie meinen aber wohl eher, ob «das Engagement zur Gewissensberuhigung» (sprich: die politische Arbeit) authentisch und ehrlich gemeint ist. Mehrheitlich wohl schon.

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