Tages-Anzeiger: Konzernspitze ist mit ihrem Kallschlag auf dem Holzweg
Publiziert am 26. Mai 2009Rund 200 Angestellte des “Tages-Anzeiger” haben zur Mittagszeit gegen die bevorstehende Massenentlassung demonstriert. Insgesamt sollen 50 Vollzeitstellen abgebaut werden, ab Morgen beginnen die Entlassungsgespräche. Im Moment weiss angeblich noch keiner der Redaktoren, wen es trifft.
Die Frage, die sich stellt: Weshalb hat die Belegschaft so lange gewartet mit ihrer Manifestation? Es hätte Möglichkeiten gegeben, früher druckvoll auf die drohenden Entlassungen aufmerksam zu machen. Beispielsweise an der Generalversammlung der Tamedia vom 12. Mai.
Mehr als 200 Redaktorinnen und Redaktoren hätten ihre Arbeit für zwei Stunden niederlegen können, um zum Kongresshaus zu pilgern. Spalier stehend hätten sie auf ihre Situation hingewiesen. Jeder einzelne Aktionär wäre nur in den Saal gekommen, wenn er diesen eindrucksvollen Aufmarsch hautnah gespürt hätte.
Genug der Kritik an der Belegschaft, weil: was abgeht, ist dramatisch. Und der Weg, den die Konzernspitze um Verwaltungsrätspräsident Pietro Supino und CEO Martin Kall der Tamedia einschlägt, ist ein Holzweg.
Es gäbe anstelle des Kahlschlags bessere Optionen:
1. Die satten Gewinne von “20Minuten” – pro Jahr sind es 25 Millionen Franken – könnten zu einem Teil für eine Quersubvention verwendet werden.
2. Das zweite Pendlerblatt “News”, auf das niemand, aber auch wirklich niemand gewartet hat, zudem die eigenen Zeitungen konkurrenziert, ja kannibalisiert, könnte eingestellt werden. Niemand, aber auch wirklich niemand würde “News” eine Träne nachweinen.
3. Die Online-Redaktion ist mit 40 Stellen überdotiert. Dort gäbe es Verlagerungsmöglichkeiten.
Gerade in der Krise sollte Tamedia auch in Qualitätsmedien investieren. Gerade Tamedia hat viel, viel Geld. Gerade Tamedia ist dank der Übernahme von Espace Media Groupe in Bern und Edipresse in der Romandie bestens aufgestellt für die Zukunft.
Tamedia hätte eine Chance, ein echtes Bekenntnis für gut gemachten Kaufzeitungen abzugeben. Gerade jetzt! Es würde sich langfristig auszahlen.
Mark Balsiger
Fotos Tagi-Demonstration: blickonline
Ich bin mit Mark Balsiger einverstanden, dass “News” niemand eine Träne nachweinen würde. Ob die Online-Redaktion überbesetzt ist, kann ich nicht beurteilen. auf Grund der Fehler, die dort öfters mal passieren, ist sie mindestens qualitätsmässig nicht auf dem besten Stand.
Eine andere Frage ist, ob es wirklich in Zürich und Bern eine eigene Redaktion braucht für die Inland- und Auslandberichterstattung. Wie viele Inland- und Auslandthemen gibt es, die tatsächlich von Zürich betrachtet anders aussehen als von Bern? Und kann man diese Optiken nicht auch mit weniger Journalisten aufrechterhalten?
Ich bin der Letzte, der bei der Qualität der Zeitungen sparen will. Vor allem finde ich es wichtig, dass es pro Stadt bzw. Region mehr als eine redaktionell unabhängige Zeitung gibt.
Ob hingegen Quantität (mehr Journalisten) immer auch mit Qualität (besserE Artikel) einhergeht, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht hat die Stellenkürzung auch zur Folge, dass sich die Journalisten bei ihren Recherchen wieder etwas mehr in den Hintern klemmen müssen.
[…] “Tages-Anzeiger” werden 50 bis 60 Vollzeitstellen abgebaut. Damit ist Tamedia auf dem Holzweg, geht ihn aber unbeirrt […]
[…] Zukunft des “Tages-Anzeiger” war hier wiederholt Thema, darum verbreite ich den Aufruf der Redaktion gerne […]