Urs Schwallers Vorteil gegenüber Pelli
Publiziert am 13. August 2009Die Katze ist aus dem Sack: Ständerat Urs Schwaller (FR) will Bundesrat werden. Ohne sein Ja wäre die Couchepin-Ersatzwahl für die CVP zu einem aussichtslosen und vermutlich auch imageschädigenden Unterfangen geworden. Was, wenn bloss Nationalrat Dominique de Buman (FR) angetreten wäre, der sich letzte Woche mit seinem Vorprellen parteiintern zu Buhmann gemacht hat?
Mit Schwaller steigt der Wägste und Beste der Christlichdemokraten in den Ring. Er wurde bereits vor rund drei Jahren genannt, als es um die Nachfolge von Joseph Deiss ging. Damals liess er Parteipräsidentin Doris Leuthard den Vortritt. Bei der denkwürdigen Abwahl von Christoph Blocher im Dezember 2007 wäre Schwaller Bundesrat worden, wenn Eveline Widmer-Schlumpf verzichtet hätte.
Der Präsident der CVP/EVP/glp-Fraktion hat nun die letzte Chance, konsequenterweise packt er sie. Die einstimmige Nomination Schwallers durch die CVP/EVP/glp-Fraktion ist eine reine Formsache. Ebenso, dass er als alleiniger Kandidat ins Rennen geschickt wird. De Buman wird so regelrecht abgestraft, was dieser zu 100 Prozent auf die eigene Kappe nehmen muss.
Mit Schwallers Schritt nach vorne schliessen sich bei der CVP die Reihen, es kehrtwieder Ruhe ein. Ganz im Gegensatz zur FDP, wo nach den Pelli-Pirouetten vom Montag plötzlich viele Parteimitglieder öffentlich mitreden und kritisieren – Schelte allenthalben anstelle von one voice, one goal. Die FDP steht die nächsten Wochen vor einer Zerreissprobe – ausgelöst von ihrem eigenen Parteipräsidenten.
Ich wage hier zwei Prognosen:
1. Wenn sich im Showdown vom 16. September Schwaller und Pelli gegenüberstehen, hat Schwaller als Vertreter eines welschen Kantons einen leichten Vorteil. Die Romands im eidgenössischen Parlament dürften ihm eher die Stimme geben als dem Tessiner Pelli (58).
2. Stehen sich am Schluss Schwaller und Didier Burkhalter (49) gegenüber, ist der Neuenburger im Vorteil. Er ist definitiv ein Romand, wohlgelitten, breit abgestützt von links bis rechts, und er hat viel Exekutiverfahrung. Zudem verkörpert er das, was die FDP schon lange fordert: einen Generationswechsel und – jüngere Bundesräte.
Nicht zu vergessen: Die FDP (17,7%) hat eher Anspruch auf einen zweiten Sitz als die CVP (14,5%). Das zeigen die Wähleranteile, die die beiden Parteien bei den Nationalratswahlen errungen haben. Die Arithmetik ist seit 1959 der wichtigste Faktor für die Besetzung der Bundesratssitze. Es gibt keine Veranlassung, jetzt davon abzuweichen.
Mark Balsiger
Foto Urs Schwaller: Reuters
Wahlgremium ist – wie gemeinhin bekannt – die eidg. Bundesversammlung. Da gehört in die Arithmetik zwingend auch der Ständerat hineingerechnet.
Und dann sind die Ansprüche umgekehrt: Nimmt man die Fraktionen als Basis, ist der Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz der CVP mit insgesamt 52 Mitgliedern deutlich grösser als jener der FDP mit lediglich 47 Mitgliedern.
Rechnet man bei der CVP die Mitglieder der glp sowie der evp weg, muss man dies konsequenterweise auch bei der FDP mit den Liberalen tun.
‘@ open society
Widerspruch, gleich dreifach:
– Die Wähleransteile der Nationalratswahlen sollen sich im Bundesrat spiegeln. Das macht Sinn – und wird seit 1959 so gehandhabt. Mit Erfolg.
– Fraktionsgemeinschaften werden alle vier Jahre wieder neu ausgehandelt. Sie bilden die Wählerstärke nicht ab.
– Auf nationaler Ebene haben FDP und Liberale fusioniert – das schleckt keine Geiss weg. Folglich hinkt der Vergleich mit der Fraktion CVP/EVP/glp.
Das mit den Wähleranteilen würde ich jetzt nicht unbedingt überbewerten. Bundesratswahlen besitzen keine Automatismen. Die Blocher-Wahl war ja in erster Linie das Resultat einer Erpressung, und darauf eingegangen ist ja auch nur die FDP. SP und CVP wählten mehrheitlich Ruth Metzler. Erst recht nicht auf die Situation einer Legislatur bezogen, sonst hätte ja die SVP 1999 einen zweiten Sitz erhalten.
Entscheidender scheinen mir zwei Faktoren zu sein: Einerseits die Romand-Frage – da bin ich völlig einverstanden mit Ihrer Analyse. Andererseits die SP-Tauglichkeit der freinsinnigen Kandidaturen: Die SVP wird – spätestens im letzten Wahlgang – sowieso FDP wählen. Diese Konstellation ist schon nahe am absoluten Mehr, und wenn die FDP-Kandidaturen für die SP Schwaller-Äquivalent sind, wird es sicher genügend Sozis geben, die es sich mit der FDP in Hinblick auf den Leuenberger-Rücktritt nicht verscherzen wollen.
Ich bin mit Ihrer Analyse einverstanden. Pelli ist für mich der einzigen Tessiner, der ein Kandidatur anstreben kann. Aber ist er keiner Romand. Ich nehme an, dass das Tessin nach zehn Jahren Pause weiterhin warten muss. Schade.
Zwei Bemerkungen meinerseits:
1) Sollten die Grünen keinen Kandidaten aufstellen, so wie man auch deren Präsident dieses Wochenende sagen hörte, dürfte Schwaller eher Chancen haben. Chancen haben die Grünen ohnehin kaum, die Frage ist nur, zu welchem Zeitpunkt sie eine allfällige Kandidatur zugunsten eines anderen Kandidaten zurückziehen (oder ob es nicht zu spät sein wird…)
2) Unter der Bundeshauskuppel gilt häufig ja auch noch das Motto «vor der Wahl ist vor der Wahl», will heissen: Wie reagieren FDP.Die Liberalen auf den möglichen Boykott ihres Kandidaten durch die SP anlässlich der nächsten Wahl eines SP-Bundesrats?
‘@ Mark Balsiger
Fraktionsgemeinschaften: mehrere Parteien können aufgrund ihrer gemeinsamen Ausrichtung politisch relevante Institutionen (namentlich Fraktionsgemeinschaften) bilden. Hier die EVP und die glp nicht in Rechnung mit einzubeziehen, kann man zwar dem Prinzip zuliebe machen, muss man aber nicht. Wie ich aber bereits geschrieben habe, ergibt sich eine stärkere Vertretung auch ohne Berücksichtigung der beiden kleinen Parteien.
Es ist allgemein anerkannt, dass die Fusion zwischen FDP und Liberalen nur stattfand, um den zweiten BR-Sitz der FDP zu retten. Auch das schleckt keine Geiss weg.
@ Titus Sprenger
Ich sehe das Problem zwischen SP und FDP überhaupt nicht. Im Gegenteil! Irgendwann (persönlich lieber gestern als heute) wird wohl auch Bundesrat Leuenberger seinen Rücktritt bekannt geben. Die SP wird Mühe haben, den Anspruch der Grünen abzuwehren.
Die SVP wird gegen die SP ohne mit der Wimper zu zucken einen zweiten (dritten) Bundesrats-Sitz einfordern und von der FDP Gefolgschaft verlangen.
Da dürfte die SP froh sein, im bürgerlichen Lager wenigstens noch einen verlässlichen und SVP-unabhängigen Partner zu haben.
‘@ open society
Hier die aktuelle Verteilung der 246 Sitze:
65 SVP
51 SP
47 FDP-Liberale
52 CVP/EVP/glp
24 GPS/CSP/PdA
6 BDP
1 fraktionslos (EDU)
Zur Hypothese, dass Bundesrat Moritz Leuenberger zurücktritt:
SVP/FDP können gemeinsam keinen zweiten (dritten) Sitz erobern. Inhaltlich würde die BDP vielleicht mitspielen, doch schmälert sie dadurch zugleich die Wiederwahl ihrer eigenen Bundesrätin.
Die C-Fraktion wird offiziell dieses Vorgehen kaum unterstützen, schon gar nicht dann, wenn sie jetzt die Unterstützung der SP erhält.
SP und die C-Fraktion bringen es auch auf keine Mehrheit. Die Grünen werden sich gut überlegen müssen, ob sie das Risiko einer Nicht-SP-Wahl und stattdessen einer SVP-Wahl in Kauf nehmen wollen.
Anders sieht es jedoch aus, sollte die Grünen und die glp bei den kommenden Wahlen weiter zulegen, währenddem die CVP und vor allem die SP weiter verliert.
‘@ Titus Sprenger
In der aktuellen Verteilung bringt es die CVP auch ohne EVP und glp auf mehr Stimmen als die FDP.Liberalen. SVP und FDP.Liberale bringen es zusammen auf 112 Stimmen. Das links-grüne Lager kann zusammen 75 Sitze auf sich vereinen. Somit dürfte klar sein, dass jede Entscheidung über weitere Bundesratssitze v.a. von der jetzigen CVP/EVP/glp-Fraktion abhängen.
Es sei denn, die SP würde ihre Stimmen unisono einem rechtsbürgerlichen Kandidaten geben. Und damit wird für die SP die inhaltliche Frage virulent: will man weiterhin einen deutlich bürgerlich dominierten Bundesrat, der eben die inhaltlichen Schwerpunkte auch deutlich anders setzt oder will man einen deutlicher in der Mitte positionierten Bundesrat, bei dem auch die SP-Vertreter einmal die Möglichkeit haben, mit ihren Anliegen durchzudringen?
Die Grünen werden das „Spiel mit dem Feuer“ schon aus den selben inhaltlichen Überlegungen nicht mitspielen. Das wäre fahrlässig – zumal die SVP kaum als Ausgleich bei einer grünen Bundesrätin mitspielen würde.
Das mit den nächsten Wahlen ist richtig. Ich hoffe allerdings doch sehr, dass Bundesrat Leuenberger vorher ein Einsehen hat.
Es geht nichts über engagierte – und treue Kommentatoren!
Wie es scheint, werden wir uns nicht einig, wer nun eher Anrecht hat usw. Deshalb ein anderer Anspekt, den open society eben angerissen hat:
“Ich hoffe allerdings […], dass Bundesrat Leuenberger vorher ein Einsehen hat”. Genau das sollte nicht passieren: Moritz Leuenberger soll die Legislatur zu Ende führen, genauso wie Hans Rudolf Merz und Micheline Calmy-Rey. Die – oftmals – taktisch bedingten Rücktritte zwischen den Gesamterneuerungswahlen sind unsäglich. Das zeigen die letzten zwei Monate exemplarisch.
‘@ open society
Ich kann Ihnen nicht folgen: In Kommentar 6 tönen Sie an, die Grünen wollen der SP die Gefolgschaft eher verweigern, um selber einen Sitz im BR zu erobern. In Kommentar 8 wiederum widersprechen Sie dem. Was habe ich falsch verstanden?
‘@ Titus Sprenger
In Kommentar 6 spiele ich auf die kurz-/ mittel- oder langfristig anstehende Ersatzwahl von BR Leuenberger an. Die Grünen werden dann wahrscheinlich selber eine valable Kandidatin ins Rennen schicken.
In Kommentar 8 geht es ausschliesslich um die jetzt anstehende Ersatzwahl von BR Couchepin. Wie Sie richtig schreiben, brauchen die FDP/ Liberalen für die Verteidigung nebst der Unterstützung der SVP noch Stimmen aus anderen Parteien. Und die Grünen werden dies nicht sein.
Dies ist aus meiner Sicht kein Widerspruch.
‘@ Mark Balsiger
Der Rücktritt von Amtsinhabern während der Legislatur, also zwischen den Wahlterminen ist tatsächlich ein grassierendes Übel. Tendenz steigend! Allerdings würde ich gerade bei Bundesräten eine Ausnahme machen.
Die Publizität und Medienaufmerksamkeit ist Ihnen zumindest bei einem Rücktritt eh schon gewiss. Sie brauchen sie nicht mehr. Aber auch den papabili und non wird die mediale Aufmerksamkeit zu teil, wie kaum sonst jemandem aus der Politikszene.
Bundesrätinnen und –räte sollten zurücktreten (können), wenn sich ein neues grosses politisches Geschäft anbahnt, dessen Tragweite so gross ist, dass der derzeitige Bundesrat es seinem Nachfolger überlassen kann, dieses in und durch die Mühlen des politischen Diskurses zu bringen.