Vier Listen für die Stadtberner Regierung – und Alexandre Schmidt braucht einen Wahlverein

Publiziert am 22. Januar 2016

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Die Stadt Bern hat parteipolitisch bewegte Tage hinter sich. Fassen wir kurz zusammen, was sich im Vorfeld der Wahlen in die fünfköpfige Regierung im November 2016 getan hat:

– Die SVP tritt mit einer Fünferliste an. Mit dabei sind der parteilose Jimy Hofer und der Direktor des Tierparks, Bernd Schildger. Zweiterer hat die Parteimitgliedschaft vor ein paar Tagen erlangt.

– Das Grüne Bündnis (GB) verwarf die Idee, schrittweise mit der Grünen Freien Liste (GFL) zu fusionieren. Zudem entschied die Basis, dass es 49 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts höchste Zeit für eine Stadtpräsidentin sei. Diese soll – vorzugsweise – Franziska Teuscher (GB) – oder sonst Ursula Wyss (SP) heissen.

– Der Bernburger und ehemalige Nationalrat Alec von Graffenried (GFL, Foto oben) entschied nach mehreren Monaten des Zauderns, für den Gemeinderat zu kandidieren. Das tat er bereits 2004 einmal. Damals verfehlte er die Wahl (gegenüber Regula Rytz vom GB) um weniger als 20 Stimmen. Das hauchdünne Resultat wurde zu Juristenfutter, was allerdings nicht von Graffenried, sondern andere Kräfte angezettelt hatten.

In der Stadtberner Politik kommen Possen häufiger vor als gerissene Strategien, entsprechend können Entscheidungen wieder umgestossen werden. Trifft dies nicht ein, zeichnet sich eine spannende Ausgangslage ab:

1.  Die Berner Regierung wird im Proporzverfahren gewählt. Entsprechend geht es um Listen bzw. Blöcke, weniger um Köpfe. Mehr als zwei Jahrzehnte lang standen sich bei Wahlen für die Exekutive stets zwei Blöcken gegenüber: Rot-Grün-Mitte (RGM) und die Bürgerlichen. 2012 wurde diese Tradition gebrochen, indem sich erstmals ein dritter Block formierte: Die kleinen Mitteparteien BDP, CVP, EVP und GLP schafften es auf diese Weise, dem Bisherigen Reto Nause (CVP, Foto) die Wahl zu sichern.

Interview mit Reto Nause, Direktor für Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE) © Franziska Scheidegger

Es ist so gut wie sicher, dass dieses Mal vier Blöcke bzw. Listen an den Start gehen werden, nämlich:

– Rot-Grün-Mitte (SP, GB, GFL)
– SVP
– FDP
– Mitte (BDP, CVP, EVP, GLP)

Der Alleingang der SVP bringt die FDP als übliche Listenpartnerin in Bedrängnis. Diese versucht nun, eine breite Mitte-Rechts-Allianz zu schmieden, was aus inhaltlichen Gründen nicht zustande kommen wird. Entsprechend sind die Freisinnigen herausgefordert, eine eigene Liste zusammenzubringen. Nationalrat Christian Wasserfallen und Stadtparteipräsident Philippe Müller werden mit Sicherheit nicht mitmachen, weil sie sonst den eigenen Mann in der Regierung, Alexandre Schmidt (Foto zuunterst), verdrängen würden. Entsprechend wird es darum gehen, einen Wahlverein für Schmidt zusammenzustellen.

2.  Herausfordernd ist auch die Ausgangslage für Reto Nause (CVP). Genauso wie FDP-Schmidt braucht er einen Wahlverein mit Kandidaten von anderen Parteien. Gefährlich werden könnten ihm dabei nur zwei GLP’ler: Nationalrätin Kathrin Bertschy und Grossrat Michael Köpfli. Ihnen wäre es zuzutrauen, Nause vom ersten Rang zu verdrängen. Bei BDP und EVP sind Kampfkandidaturen von diesem Kaliber nicht in Sicht. Nause gilt zwar als Animal Politique, dennoch wäre es möglich, dass er sich nach acht Jahren in der Stadtregierung eine andere berufliche Herausforderung sucht. Kandidiert er nicht mehr, kommt in der Mitte schlagartig Dynamik auf.

3.  Den Leuten der GFL dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, als sich ihr prominentestes Mitglied gestern öffentlich erklärte. Die Kandidatur von Alec von Graffenried mischt RGM auf: Er kann Michael Aebersold (SP) in Schach halten, allenfalls sogar die Bisherige Franziska Teuscher (GB) verdrängen. Dafür müsste er allerdings einen überzeugenden Wahlkampf liefern. Seinen Rücktritt aus dem Nationalrat, den er vor Jahresfrist überraschend gab, könnte ihn bremsen.

Seit Jahren wird immer mal wieder spekuliert, ob die GFL dem RGM-Bündnis den Rücken kehrt – wegen inhaltlichen Differenzen und weil sie seit 2000 immer nur Steigbügelhalterin für SP- und GB-Kandidaturen in den Gemeinderat war. Die Partei wird am nächsten Dienstag darüber entscheiden. Dass sie sich löst, können wir ausschliessen, weil ihr der Mut dazu fehlt. Zudem hat von Graffenried klar gemacht, dass er auf einer RGM-Liste kandidiert. Das hält das Bündnis zusammen, das seit 1992 ziemlich Rost angesetzt hat.

Für einen sicheren Sitz im Gemeinderat (für Nicht-Berner: So heisst die Exekutive) braucht es einen Wähleranteil von 16,7 Prozent. Erfahrungswerte aus den früheren Wahlen zeigen, dass jeweils mehr als 80 Prozent der Stimmen von der eigenen Liste stammen, man wählt Blöcke statt Köpfe – ein Unding, das ich seit nunmehr acht Jahren kritisiere. Mit dem Wechsel vom Proporz- zum Majorzwahlsystem wäre es behoben.

Ein Blick zurück auf die Wahlresultate 2012:

– Rot-Grün-Mitte (RGM): 59,0%
90’309 Listenstimmen
– Bürgerliches Bündnis (SVP/FDP): 22,8%
34’887 Listenstimmen
– Mitte (BDP, CVP, EVP, GLP): 18,2%
27’870 Listenstimmen

Gemeinderatswahlen Stadt Bern 2012: Die Resultate (PDF)

Es ist möglich, dass RGM im November einen vierten Sitz holt. Dafür müsste das rotgrüne Bündnis allerdings deutlich mehr als 60 Prozent erreichen. Wenn die Kandidaten der beiden bürgerlichen Parteien FDP und SVP ähnlich abschneiden wie 2012, erreichen sie auf ihren individuellen Listen zwischen 10 und 13 Prozent (was ihren Resultaten bei den Parlamentswahlen 2012 entspricht). Das reicht nicht für einen Sitz in der Regierung.

Mark Balsiger


Fotos: Berner Zeitung und Der Bund

Alexandre Schmidt, Finanzdirektor Stadt Bern. © Adrian Moser
Alexandre Schmidt, Finanzdirektor Stadt Bern. © Adrian Moser

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