Vom Schneemann und der Amerikanisierung

Publiziert am 03. August 2007

Der Videoclip ging letzte Woche um die Welt: Ein Schneemann fragte, ob sein Sohn trotz der Folgen des Klimawandels überleben werde. Die letzte Einstellung ist herzerweichend: Schneemanns Junior blickt mit grossen Kulleraugen in die Kamera. Millionen von Menschen haben diese Seuqenz inzwischen gesehen. Achtzehn Sekunden, die berühren.

Das Internet- und Video-Portal „Youtube“ machte die Verbreitung dieses Clips zum Kinderspiel. Er wurde an der ersten digitalen Debatte mit den demokratischen Präsidentschaftsanwärtern gezeigt. Hillary Clinton und ihre sieben Konkurrenten mussten des Schneemanns Frage live beantworten. Der Nachrichtensender CNN übertrug die Debatte mit den eingespielten Video-Fragen.

Das ist eine gelungene Form von Bürgerjournalismus, weil er Desinteressierte weckt. Tausende von Amerikanern nahmen die Herausforderung an, selber einen Videoclip zu produzieren, die originellsten wurden ausgewählt. Keine Frage, die erste digitale Debatte stellt eine Innovation im Wahlkampf dar. Und wie immer in den USA, ist eine Mischung aus Inhalten und Emotionen, Show und cleverem Marketing. Für uns republikanisch-zurückhaltende Schweizer ist diese Art Wahlkampf überzeichnet und fremd. Deswegen bedienen wir uns, wie bei jeder Innovation, schnell dem negativ besetzten Etikett „Amerikanisierung“ und lehnen sie ab.

Auch bei uns hat sich der Wahlkampf in den letzten 20 Jahren stark verändert. Früher reichten Versammlungen im „Bären“, die dauerhafte Beachtung der Parteiblätter und Plakate, um die eigene Klientel wachzurütteln. Inzwischen ist der Wahlkampf zu einer vielschichtigen Aufgabe geworden. Die Parteibindungen haben sich stark gelöst, der Wechselwähler wird umschwärmt, Verbände, Non-Profit-Organisationen und Bürgerbewegungen nehmen immer mehr an Bedeutung zu.

Die entscheidende Macht aber haben die Medien, die untereinander in einem gnadenlosen Verdrängungskampf stehen, übernommen. Sie diktieren das Tempo, sie diktieren, was Thema ist, sie diktieren, wer auftreten darf und wer totgeschwiegen wird. Wer sich den Gesetzen der so genannten Mediokratie anpasst, hat eine Chance. Die mehr als 400 Nationalrats-Kandidierenden des Kantons Bern können sich noch bis zum Wahltermin vom 21. Oktober in dieser Disziplin üben.

Mark Balsiger

P.S.  Dieser Beitrag wurde auf Anfrage des “Bieler Tagblatt” geschrieben und dort in der Ausgabe vom 3. August 2007 publiziert.

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