Von politischem Lärm und echter Wirkung

Publiziert am 21. September 2011

FDP und CVP gewinnen mit Abstand am meisten Abstimmungen an der Urne und im eidgenössischen Parlament. Das ist bekannt und kann mit Fleiss jederzeit nachgeprüft werden. Neu hingegen ist, dass die oft beklagte Polarisierung medial komplett überzeichnet wird. Eine Untersuchung über die letzten zehn Jahre zeigt nämlich auf, dass die Wirkung des Parlaments im Gesetzgebungsprozess konstant geblieben ist.

Lesebeispiel: Die SVP (dunkelgrün) erzielte im Jahr 2001 von 100% erfassten indexierten Punkten 18%, im Jahr 2010 waren es 17%.

Viele Freunde und Feinde der SVP sind überzeugt, dass diese Partei die Deutungshoheit über alle Politikfeldern erlangt hat. Tatsache ist, dass sie zwischen 1991 und 2007 ihren Wähleranteil um satte 17 Prozentpunkte heraufschrauben konnte. Für Schweizer Verhältnisse waren die Wahlerfolge der SVP von 2003 und 2007 spektakulär.

Dass die SVP in der Medienarena den Ton angibt, ist seit der EWR-Abstimmungsschlacht von anno 1992 nicht zu überhören. Mehrere Studien kamen in den letzten Jahren zum Schluss, dass die Volkspartei am meisten mediale Beachtung erhält. Dabei ist der Tenor in den Kommentaren zwar meistens negativ, was zur Küchentisch-Hypothese führt: Es ist egal, ob positiv oder negativ über die SVP berichtet wird, Hauptsache: sie ist Thema.

Die Forscher von gfs.bern haben nun die Wirkung des Parlaments der Jahre 2000 bis 2010 untersucht. Berücksichtigt wurden alle 98 Volksabstimmungen in dieser Zeitspanne sowie 114 relevante Geschäfte, mit denen sich National- und Ständerat auseinandergesetzt hatten. Die Vermutungen, dass die Polarisierung zugenommen und selbst die Arbeit in den Kommissionen erfasst hat, konnte dabei nicht bestätigt werden. Kurz: Die Wirkung, die das Parlament in den Gesetzgebungsprozessen erreichte, ist so gut wie eh und je.

Verblüffend: Die Jahre 2008 und 2009 gehörten aus “gesetzgeberischer Sicht zu den produktivsten”, heisst es in der Forschungsarbeit von gfs.bern. Das ist angesichts des Furors von damals eine Überraschung. Wir erinnern uns: Christoph Blocher wurde als Bundesrat abgewählt, die Hexenjagd auf seine Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf begann, die SVP Schweiz schloss ihre Bündner Kantonalsektion aus, die “netten SVPler” spalteten sich zur BDP ab, das Trommelfeuer zermürbte schliesslich Samuel Schmid, zuerst halber SVP-, dann noch für ein paar Monate BDP-Bundesrat.

Just in dieser Phase der selbstdeklarierten “Opposition” der SVP und dem Lärm, der damals veranstaltet wurde, erreichte das Parlament überdurchschnittlich viel Konstruktives. Die gescheiterte 11. AHV-Revision, die immer wieder als Beispiel der totalen Polarisierung erwähnt wird, war eine spektakuläre und medial aufgebauschte Ausnahme. (Eine unheilige Allianz von SVP, SP und Grünen versenkte im Herbst 2010 die 11. AHV-Revision in der Schlussabstimmung aus taktischen Gründen.)

Lesebeispiel: Insgesamt ist die FDP die Partei, die mit 475 Punkten knapp vor der CVP die stärkste Kraft beim Gesetzgebungsprozess in den letzten zehn Jahren war. SP und SVP folgen auf den weiteren Rängen.

 

Spannend ist im Weiteren, dass CVP und FDP bei der gesetzgeberischen Arbeit eine konstant hohe Wirkung erzielen – obwohl ihre Wähleranteile und Sitze seit vielen Jahren sukzessive schwinden. Die SVP wiederum kann ihren elektoralen Erfolg in keiner Weise in eine verstärkte Wirkung umsetzen. Veranschaulicht: Die FDP.Liberalen erreichen mit einem Wähleranteil von 17.7 Prozent 548 indexierte Wirkungspunkte. Die SVP mit 28.9 Prozent hingegen nur 361 Punkte. Befunde, die beruhigen – oder beunruhigen.

Mark Balsiger

Der gesamte Bericht sowie die hochauflösenden Grafiken von gfs.bern zum Herunterladen:

– Bericht: Parlamentswirkung 2000 bis 2010 (PDF)
– Grafik: Parteien pro Jahr (JPG)
– Grafik: Parteien summiert (JPG)

 

Grafiken: gfs.bern

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