Watson oder die Herausforderung, packende Geschichten multimedial zu erzählen
Publiziert am 23. Januar 2014Vor 25 Jahren machte Hansi Voigt ein grossartiges, aber damals noch völlig unbekanntes Pop-Duo aus England zu Szenen-Stars. Gestern schob er mit seiner Crew das Newsportal “Watson” ins Netz. Es wurde schon seit mehr als einem Jahr mit Spannung und gehörigem Respekt erwartet. Schlaglicht auf fünf grosse Herausforderungen, die “Watson” meistern muss, um zu reüssieren.
Die Spannung stieg mehr als ein Jahr lang stetig, zumal Chefredaktor Hansi Voigt einige bekannte Namen aus der Medienszene verpflichtet konnte. Kaum war “Watson” vor genau 24 Stunden online gegangen, schwollen zahllose “Good-Luck”- und “Endlich!”-Tweets zu einem tosenden Applaus an. Die Kurznachrichten lassen erkennen, wie die Medien- und Werbe-„Bubble“ auf den Start des neuen Newsportals gewartet hatte. Die mehrheitlich positiven Reaktionen sind ein wichtiges Signal für die Werbewirtschaft – und sie motivieren die Macherinnen und Macher.
Der erste Eindruck: Das Layout ist grosszügig, die Schrift serifenfrei, das neue Newsportal setzt auf Farben und grossformatige Bilder. Dass man scrollen und scrollen und scrollen muss, ist für mich gewöhnungsbedürftig. Noch hat es Bugs und Kinderkrankheiten, aber das ist bei einer Beta-Version normal. Die Kooperation mit “Spiegel Online” (SPON) darf als Trumpf bezeichnet werden; kein anderes Online-Medium im deutschsprachigen Raum ist ähnlich gut.
Das Projekt “Watson”, dem Englischen “what’s on?” – was ist los? – angelehnt, hatte schon lange vor seinem Start eine enorme Beachtung. Das wird auch in Zukunft so bleiben, weil der Verdrängungskampf in der Branche mörderisch ist. “Watson” ist nebst der „Tageswoche“ das erste Portal, das sich nicht auf einen etablierten Medienverlag mit solid eingeführten Zeitungsmarken abstützen kann. Das ist die “grüne Wiese”, die Voigt und sein 60-köpfiges Team (bei 43 Vollzeitstellen) nun beackern können.
“The Next Big Thing”, wie “Watson” im Vorfeld angekündigt worden war, muss grosse Herausforderungen meistern. Ich benenne fünf:
1.) Kapital:
Auch wenn „Watson“ auf die kostenintensive Produktion und Distribution, die Printmedien belasten, verzichten kann, braucht das Portal Geld – viel Geld. Peter Wanner von den AZ Medien in Baden schoss vorerst 20 Millionen Franken für das Start-up ein. Wie lange reicht das? Der Aargauer Verleger gilt als sprunghaft: Kriegt er kalte Füsse, dürfte es für „Watson“ schnell ungemütlich werden. Vier Jahre bis zum erwarteten Break-even sind eine lange Zeit.
2.) Werbung:
Kaufzeitungen finanzieren sich grosso modo über Werbung (zwei Drittel) und Abonnemente (ein Drittel). Der Zugriff auf die Website von „Watson“ ist ohne Barriere möglich, d.h. die Surferinnen und Surfer können die Inhalte gratis konsumieren. “Watson” setzt voll auf die Generation Touchscreen, also Leute, die 16 Stunden am Tag ihre Handys und Tablets mit dem Zeigefinger oder Daumen streicheln. Gerade auf Smartphones ist Bannerwerbung aber unbeliebt. Die Macher müssen folglich Wege finden, um auf andere Art Geld zu verdienen; Stichwort Data-Mining, das massgeschneiderte Werbung ermöglicht. Ob das funktioniert, ist offen.
3.) Konkurrenz:
Bereits die Ankündigung von „Watson“ machte die etablierten Medienhäuser nervös. Sie werden alles daran setzen, das neue Portal auszuhungern. Wie das geht, zeigte Tamedia exemplarisch auf dem damals noch boomenden Markt der Pendlerzeitungen: Kaum hatte Sacha Widgorowits im Herbst 2007 das Gratisblatt „.ch“ (Punkt CH) lanciert, schob der Zürcher Konzern „News“ nach. Auf diese Weise konnte Tamedia dem neuen Konkurrenten viele Werbekunden abspenstig machen und „.ch“ schliesslich die wirtschaftliche Grundlage entziehen. Der Verdrängungskampf war nach 24 Monaten gewonnen und “News” wurde wieder eingestellt.
4.) Inhalt:
Medienkonsumenten sind je länger, je mehr online unterwegs. Längst haben sie ihre Favoriten im Netz: “20min”, SRF News online, “blick”, “Newsnet” (das gemeinsame Newsportal von “Tages-Anzeiger”, “Berner Zeitung”, “Bund” und “Basler Zeitung”) oder NZZ (mit poröser Bezahlschranke), um nur die grössten zu nennen. Realistischerweise hat es keinen Platz mehr für zusätzliche Anbieter, zumal die Platzhirsche alles daran setzen werden, ihre Positionen zu verteidigen. Hat die “Watson”-Redaktion die Fähigkeit, News auf eine andere Art und so attraktiv zu vermitteln, dass das neue Portal journalistisch reüssiert?
5.) Medienschaffende:
Online funktioniert Journalismus komplett anders als Print. Bis das Know-how solid verankert ist, wird noch einige Zeit verstreichen. Die Realität ist, dass es in der Schweiz zu wenig vife Online-Journalisten gibt. Das ist keine Behauptung von mir, sondern von den Sachverständigen aus verschiedenen Medienhäusern; sie sagen es hinter vorgehaltener Hand. Online-Journalismus wird zwar schon seit Jahren an verschiedenen Ausbildungsstätten vermittelt und einige Medienverlage bieten trimediale Praktika an. Das Interesse der Studierenden am Online-“Ding” ist allerdings nicht sehr gross. Und mit Bildstrecken, Hyperlinks und eingebetteten Videos ist es noch lange nicht getan. Online-Journalismus heisst Geschichten multimedial zu erzählen.
Trotz allem glaube ich an die Chance von “Watson”, und das ist eng mit der Person von Hansi Voigt (Foto oben) verknüpft. Niemand in der Schweiz hat so viel Erfahrung im Online-Journalismus wie der Aarauer. Ihm steht nicht das Ego im Wege, er will etwas bewegen, er ist ein kollegialer Chrampfer, der seine Leute motivieren und unermüdlich antreiben kann. Rund 40 davon sind ihm von “20Minuten online” gefolgt – das will etwas heissen.
Voigt hatte als junger Erwachsener einen guten Riecher: Ende der Achtzigerjahre holte er das famose Duo “And All Because The Lady Loves” aus Newcastle in die Schweiz. Als Manager baute er die beiden noch völlig unbekannten Künstlerinnen auf und machte sie zu Szenen-Stars. Das brauchte Idealismus, Chuzpe, Biss und Überzeugungsarbeit. Von all dem braucht Voigt die nächsten Jahre wieder viel – und dazu noch viel, viel Geld. Wenn seine “Watson”-Leute Geschichten so packend und so intensiv erzählen wie “And All Because The Lady Loves” damals, könnte es klappen.
Mark Balsiger
Refresher: Weil es so umwerfend gut ist, sei das Interview, welches “Schweiz-am-Sonntag”-Redaktor Christof Moser vor Jahresfrist mit Hansi Voigt führte, hier nochmals verlinkt:
Ex-Chef von “20Minuten” kritisiert Tamedia (5. Januar 2013)
Medienspiegel (Nachtrag):
Was andere über den Start von “Watson” sagen:
– Was am neuen Nachrichtenportal Watson auffällt
(Tageswoche, David Bauer)
– Whatson, what’s next? (NZZ, Rainer Stadler)
– Was Watson anders macht als die Konkurrenz
(Medienwoche, Nick Lüthi & Ronnie Grob)
– Hello, my name is Watson (Mediaschneider, Sean Pfister)
– Watson – ein neues Produkt in der Schweize Medienlandschaft
(SRF/”Echo der Zeit”, Klaus Bonanomi)
– Watson – ein Bild-HuffPost-Buzzfeed-Mix (ausgeheckt, Julian Heck)
– Wer ist Holmes? Der Star heisst Watson
(Die Trendblogger, Christian Simon)
– Der Publizist als Dampfkochtopf (Tagi/Bund, Jean-Martin Büttner)
– Wieso mich Watson (zunächst) alt aussehen liess
(eigenwach, Carmen Epp)
Fotos:
– “Watson”-Logo: svenruoss.ch
– Hansi Voigt: medienwoche.ch
“What is on” …. ein tolle, starke und der Zeit angepasste multimediale Inhaltsplattform. Ich glaube an diese Plattform, da Sie den “Digital Natives” endich Ihre gestalterische Erwartung vermittelt und befriedigt. Es ist keine “ePaper-Uebersetzung” eines klassischen Verlegers.
Mir macht mehr Sorgen, wie sich Watson refinanzieren will. Wir wissen zwischenzeitlich, dass es grössere Märkte als die Deutschschweiz dafür braucht um hier rentabel zu arbeiten. Da ich Watson aber auch eine “Reader Society” im DACH Raum einräume, könnte sich das vielleicht in drei bis fünf Jahren rechnen.
Hat Watson aber ein so langen Atem? Bei mir ist auf jedenfall watson.ch in der Favoritenliste zu oberst gespeichert (dabei bin ich wohlgemerkt ein Digital Immigrant). Besser als 20 Minuten online ist dies allemal und viel attraktiver gelayoutet, würde der traditionelle Verleger dazu sagen.
Viel Glück, Hansi Voigt und Team.
P.S. Beim Musikgeschmack sind wir nicht auf der gleichen Wellen Länge.
Über die Musik reden wir beim nächsten Espresso, Theo Blau.
Ich bin verblüfft über die fast durchwegs positive, ja überschwengliche Resonanz, die “Watson” bei der Medien- und Werbeleute ausgelöst hat. Es scheint fast, als habe man dieses Portal sehnlichst erwartet.
Und wie hältst du es als Digital Immigrant mit dem Scrollen? Ich finde es auch am Tag 6 seit dem Start noch gewöhnungsbedürftig.
Watson ist irritierend. Vielleicht liegt es an der grossspurigen Ankündigung, verknüpft mit dem widersprüchlichen Produkt, dass letztlich auf die Leserschaft losgelassen wurde. Da hilft es meines Erachtens auch wenig, wenn das Ganze das Label “Beta” spendiert bekommt.
Die Gestaltung ist subjektiv gesagt hässlich, objektiv betrachtet missglückt. Dass viele Medienschaffende geifernd nach einem Medium für die Digital Natives greifen, sagt viel über die wirkliche Kompetenz dieser Leute aus, was Mediendesign im Internet betrifft. Die ist wohl nicht gerade hoch.
Watson wirft riesige Schlagzeilen, ein Haufen Farbe, ziellose zusammengewürfelte Agenturfotos in einen grossen Topf, rührt kräftig um und ergiesst das alles struktur- und konzeptlos auf eine Webseite. Dass dabei unnötig viel gescrollt werden muss, ist noch das kleinste Übel. Die typografische Gestaltung gefällt mir nicht: zu viele Schriften, zu viele Textfarben, viel zu hoher Grauwert. Die Anordnung der einzelnen Beiträge auf der Startseite ist derart schrecklich, dass nur nach genauem Hinschauen erkenntlich wird, welches Bild zu welcher Schlagzeile, welcher Lead zu welchem Artikel gehört.
Warum müssen Schlagzeilen so riesig sein? Solche Webseiten kranken daran, dass sie mobile first gestaltet wurden, sprich: eigentlich nur für mobile Endgeräte mit kleinen Bildschirmen optimal sind. Die überdimensionierten Fotos wirken zwar keck, aber wer so grosse Fotos verwenden will, muss diese auch entsprechend schiessen. Da gibt es einfach zu viel Bildmaterial, das vom Sujet her schlicht nicht für diese Dimensionen gemacht wurde. Zudem sind viele Fotos grauenhaft zugeschnitten.
Dann wird die multimediale Aufbereitung der Artikel löblich erwähnt. Aber Entschuldigung: Das Anreichern von Text mit ein paar Bildern und Youtube-Clips ist nun wirklich nichts Aufregendes. Das läuft auf jedem 08/15-Blog schon seit 10 Jahren so.
Es ist ja schön, wenn Hansi Voigt sagt, dass ihm Klickzahlen völlig egal sind. Warum dann jeder Artikel mit den üblichen Social-Buttons übersät wird, ist mir ein Rätsel. Oder anders gesagt: Da steckt zu viel Widerspruch drin.
Inhaltlich kann ich zu Watson noch nicht viel sagen. Bisher konnte mich die Aufmachung noch nicht hinreissen, viele Artikel zu lesen. Auf den ersten Blick scheinen aber belanglose Blödelbeiträge auf Blick-Niveau die Überhand zu haben.
Wer im Netz eine ansprechende, wirklich multimediale und inhaltliche brillante Reportage lesen will, dem sei das Podlatchikov-Special der NZZ empfohlen:
http://iouri-in-sotschi.nzz.ch