Wenn ein Leitartikel von 45 Wirtschaftsführern unterzeichnet wird

Publiziert am 08. November 2013

Wer die aktuelle Ausgabe der “Handelszeitung” in Händen hält, kommt ins Staunen: Auf der Frontseite prangt ein “Manifest für eine zukunftsfähige Schweiz”. Verfasst wurde es von Chefredaktor Stefan Barmettler, unterzeichnet von 45 Wirtschaftsführern. Jürg Bucher (Präsident Valiant) fehlt genauso wenig wie Magdalena Martullo (CEO Ems-Gruppe) und Tito Tettamanti. Auch der Name des ehemaligen Bankers Konrad Hummler scheint erstaunlicherweise auf. Das ist ein Steilpass für die 1:12-Promotoren, deren Initiative dem Wirtschaftsstandort Schweiz zweifellos zusetzen würde.

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Dass Medien für oder gegen eine Abstimmungsvorlage Stellung beziehen, gehört zu einer funktionierenden Demokratie. Gerade Leitartikel, die die überzeugendsten Argumente aufgreifen und mit Souplesse geschrieben sind, tragen zur Meinungsbildung bei. Was die “Handelszeitung” nun aber vorlegt, hat es in der Vergangenheit vermutlich noch nie gegeben; zumindest erinnere ich mich an keinen vergleichbaren Fall. Eine Trennung zwischen dem redaktionellen Teil und dem gekauften Raum ist nicht erkennbar. In meinem Umfeld wurde prompt die Frage aufgeworfen, ob die Wirtschaftsführer dieses “Inserat” bezahlen mussten.

Barmettler verneint auf Anfrage. Für ihn ist die 1:12-Abstimmung vom 24. November “die wichtigste Abstimmung der letzten 20 Jahre. Diese ausserordentliche Abstimmung war für mich Anlass, ausserordentlich zu reagieren”, erklärt er. NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler nennt diesen Effort auf Twitter “eine Aktion im Positionierungskampf der Medien”. Seine These wird gestützt durch den Umstand, dass die “Handelszeitung” ihr Manifest über das kostenpflichtige Portal von “News Aktuell” verbreiten liess.

Oliver Classen, ehemaliger Journalist und heute bei der “Erklärung von Bern” tätig, kritisiert die “Handelszeitung” scharf: “Peinliche Parteipresse: Wo bleibt eigentlich der Shitstorm?”, fragt er auf Twitter.

Bei aller Sympathie für engagierten Journalismus und klare Positionsbezüge: Ich finde die Verquickung zwischen einem Leitartikel und den Unterschriften von 45 Akteuren, egal aus welchem Lager sie auch sein mögen, sehr irritierend.

Mark Balsiger

 

Nachtrag vom Montag, 11. November 2013:
– Interessant: In der NZZ sowie der “Finanz und Wirtschaft” wurde das Manifest der “Handeslzeitung” ebenfalls publiziert – als Inserat. Bezahlt hat die “Handelszeitung”.
– Inzwischen hat auch das Branchenportal “Persönlich” das Thema aufgegriffen. Im Interview spricht Chefredaktor Stefan Barmettler darüber, wie er bei dieser Aktion vorging und wen ihn beeindruckte:

 


Foto Handelszeitung: Cla Martin Caflisch

7 Replies to “Wenn ein Leitartikel von 45 Wirtschaftsführern unterzeichnet wird”

  1. Von der 1:12-Initiative wären direkt etwa 4500 Manager betroffen. Die einen würden die Schweiz verlassen, andere ihre Bezüge auf raffinierte Weise doch erhalten. Dafür gäbe es Möglichkeiten, liess ich mir von Sachverständigen glaubhaft erklären. Die Steuerausfälle und Mindereinnahmen der Sozialwerke wären aber enorm.

    Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Summen, die sich gewisse Leute als “Lohn” zuschatzen, empfinde ich als schändlich und moralisch nicht vertretbar. Mit einem Ja ein Zeichen zu setzen funktioniert indessen nicht.

  2. Auf Twitter haben sich einige Diskussionsansätze ergeben. Doch es ist wie immer: Plötzlich reisst der Dialog ab, das Thema ist abgehakt. Schade – einmal mehr. Hier auf dem Blog wäre genug Platz gewesen, um zu diskutieren.

    Ein Kollege brachte als Vergleich den Effort der “Annabelle”, die sich vor Jahresfrist für eine Frauenquote eingesetzt hatte, ein.

    Zur Erinnerung:

    http://bit.ly/1fp8dVg

  3. bevor die initative gestartet wurde, waren immer die zu hohen löhne in der schweiz für firmen ein argument (oder drohnung) ins ausland zu ziehen. jetzt glauben die gleichen, das ihre zu hohen löhne in ländern, wo das lohnniveau tiefer ist, als gerechtfertigt.

    möglich, dass zum beispiel wohnraum günstiger würde, falls all die reichen abziehen. zudem können wir die sorge um sozialwerke und steuerausfälle, aus dem mund der initativgegner nicht ganz ernst nehmen. den heute schon unternehmen sie alles um steuern zu sparen.

    im übrigen würde, das geld, das übrig bleibt, sich nicht einfach in luft auflösen. zum schluss: glaubhafte sachverständige kennen wir auch.

  4. der minder-initiative habe ich zugestimmt. bei der 1:12-initiative kann man auch ohne 45 sogenannte wirtschaftsführer schön locker bleiben, sie wird sowohl am stände- als auch am volksmehr klar scheitern. das problem der initiative ist der absender.

  5. Es ging mir in diesem Post um die doch eigentümliche Verquickung eines “Manifests” mit einem Leitartikel. Die Pro- und Contra-Debatte zur 1:12-Initiative wird auf anderen Kanälen geführt. Aber seis drum.

  6. Der Anteil der Gegner dieser Initiative in der Redaktion der HandelsZeitung ist etwa so hoch wie der Anteil der Befürworter in den Redaktionsräumen der WoZ. Insofern beinhaltet dieser Positionsbezug nichts Neues oder Überraschendes.

    Diese Aktion erscheint mir etwa gleich wirksam, wie wenn die WoZ auf ihrer Titelseite 45 Unterschriften von Kulturschaffenden publiziert hätte. Betrachtet man die angesprochene Leserschaft, ist es in beiden Fällen Wasser in die Aare getragen. Oder braucht ein HandelsZeitung-Leser tatsächlich noch für ein Nein und ein WoZ-Leser für ein Ja überzeugt zu werden?

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