Wenn zwei sendungsbewusste Spaltpilze ein wenig über ihr Bild der Schweiz streiten

Publiziert am 21. Februar 2014

Die Abstimmung zur Masseneinwanderungs-Initiative vom 9. Februar hat unser Land in zwei gleich grosse Schweizen gespaltet – in die Flughafenschweiz und die Igelschweiz. Vordringlich wäre deshalb eine Debatte, die die beiden Lager zusammenführt. Die “Arena” von heute Abend setzte auf das Gegenteil: Nachdem vor Wochenfrist die Parteipräsidenten ihre Ratlosigkeit wortreich erklären konnten, liess sie heute die beiden Ex-Bundesräte Micheline Calmy-Rey und Christoph Blocher aufeinander los.

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Die meisten europäischen Staaten
verfügen über ein zentrales Element, das sie eint und Identität stiftet: eine gemeinsame Sprache. Nicht so die Schweiz. Sie wuchs trotzdem zu einer vielfältigen Einheit zusammen, weil

– der Druck von aussen zeitweise enorm war (u.a. Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, Bismarck, Hitler);
– Mythen und die 1891 eingeführte Bundesfeier die innere Kohäsion stärkte;
– bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Schweizer Geschichte geklittert wurde.

Der Prozess, bis die Schweizer sich als Schweizer fühlten, dauerte vermutlich gegen 100 Jahre. Die Schweiz ist eine Willensnation. Sie war agil, die Leute sind fleissig und bescheiden, Minoritäten wurden schrittweise eingebunden. Das zeigt sich exemplarisch an der Zusammensetzung der Landesregierung: 1891 erhielten die Verlierer des Sonderbundskriegs von 1847, die Katholisch-Konservativen (die heutige CVP), ihren ersten Bundesrat, 1929 war die SVP an der Reihe, 1943 schliesslich die SP. Auf pragmatische Art und Weise hat man sich in diesem Land immer zusammengerauft und gemeinsam Lösungen erarbeitet.

Die Emanzipation von der Geschichtsklitterung, die die Überlebenschancen unseres Landes verbesserten, setzte erst mit dem Bergier-Bericht in den Neunzigerjahren ein. Die Verklärung der Vergangenheit gehört allerdings immer noch zu unserer DNA, der Rütlischwur bleibt ein populärer Referenzpunkt, auch wenn seine Existenz historisch nicht belegt ist. Gessler und die Habsburgern von damals wurden inzwischen von den “Vögten aus Brüssel” abgelöst. Es sind dankbare Feindbilder, die das “Wir und die Anderen” zementieren.

Und was hat dieser kleine Exkurs mit dem Duell Micheline Calmy-Rey (68) vs. Christoph Blocher (73), das heute Abend in der “Arena” lief, zu tun? Er lässt erkennen, was man in der fragilen Phase, in der unser Land derzeit steckt, besser bleiben lassen sollte. Der Schweizerische Weg betont nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame.

Das Line-up der “Arena” war falsch zusammengestellt: Calmy-Rey und Blocher sind zwar faszinierende Persönlichkeiten und gewiefte Debattierer. Aber sie sind Spaltpilze, unversöhnlich und verletzend. Nur schon ihre physische Präsenz in der Fernsehsendung entwickelt Kräfte, die den Graben zwischen den beiden Schweizen noch vertieft. Und dies obwohl der Schlagabtausch der beiden Ex-Bundesräte ausblieb.

Calmy-Rey und Blocher stritten ein wenig über ihr Bild der Schweiz, der Erkenntnisgewinn tendierte allerdings gegen Null. Der Fokus lag wie schon vor Wochenfrist bei der Abstimmung vom 9. Februar; es war erneut eine Chropfleerete. Erst ganz am Schluss wagte man einen Blick in die Zukunft. Dazu hätte man nicht zwei sendungsbewusste Ex-Magistraten im Pensionsalter einladen müssen, eine Runde mit jüngeren Denkern hätte vermutlich mehr gebracht. Katja Gentinetta oder Nicola Forster vom Think-Tank Foraus, um nur zwei Namen zu nennen.

Mark Balsiger

Fotomontage Christoph Blocher & Micheline Calmy-Rey: SRF

 

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