Weshalb sich immer mehr Leute um Wahlen foutieren
Publiziert am 10. März 2025«Wahlen sind eine Sternstunde der Demokratie.» So formulierte es vor vielen Jahren einmal ein Student von mir. Ein schöner Satz. Doch der Stern leuchtet deutlich schwächer als früher.
Bei den kantonalen Wahlen in Solothurn von gestern betrug die Wahlbeteilung 35 Prozent – ein neuer Tiefstwert. Dasselbe Bild zeigte sich vor Wochenfrist im Kanton Wallis.
Noch nie machten so wenig Walliserinnen und Solothurner von der Möglichkeit Gebrauch, die Regierung und das Parlament im eigenen Kanton zu wählen.
Die Politikwissenschaft unterteilt die Nicht-Wählerinnen und -Wähler in verschiedene Gruppen, etwa:
💠 die zufriedenen Desinteressierten
💠 die Inkompetenten
💠 die sozial Isolierten
Doch weshalb sinkt die Wahlbeteiligung? Ein paar Ansätze:
💬 Das Verständnis für Politik wird in den Schulen zu wenig vermittelt. Ich höre von meinen Studierenden immer wieder, dass auf der Stufe Sek oder Gymi Lehrpersonen vor ihnen standen, die Politik trocken und abstrakt, zuweilen sogar lustlos vermittelt hatten.
💬 Politik ist kompliziert, präziser: Politikerinnen und Politiker schaffen es oft nicht, ihr Tun verständlich zu erklären.
💬 Die Informations- und Vermittlungsleistung der Medien wird immer bescheidener, weil ihre Ressourcen seit 25 Jahren schwinden.
💬 Der Anteil der Menschen, die keine Nachrichten mehr aufnehmen (die sogenannten News-Deprivierten), nimmt zu.
💬 Es geht bei Wahlen um wenig. Auf Sachebene können wir alle paar Monate abstimmen, d.h. beispielsweise Entscheidungen des Parlaments mit einem Referendum kippen.
Eine ergänzende Vermutung: Seit sich die geopolitische Lage destabilisiert hat und die Kanäle mit «Shit» geflutet werden (Steve Bannon), ziehen sich viele Leute zurück ins Schneckenhaus. Der Lärm hat sie ermüdet und sie kapseln sich deshalb aus Selbstschutz ab. Wie sollen solche Menschen wissen, welche Parteien im Wahlkreis Olten-Gösgen zur Verfügung stehen oder welche Auswirkungen der doppelte Pukelsheim auf die Sitzverteilung im Wallis hat?
Die tiefe Wahlbeteiligung, eine Form der A-là-carte-Demokratie, macht mir Sorgen. Klar ist: Nur gut informierte Menschen können überlegte Entscheidungen an der Urne treffen. Im Umkehrschluss sind sie: Wahlvieh.