Die neue Qualitätszeitung ist da – oder auch nicht

Publiziert am 19. September 2007

Zuerst kamen die Ständer. Über Nacht. Auch vor unserem Haus. Ein metallenes Etwas, wie ein Bonsai-Notenständer, leicht zu verstellen, leicht zu demolieren. Die Zeitung hingegen, “.ch”, lies: Punkt CeeHaa, kam nicht. Zumindest nicht rechtzeitig. Das sei normal bei Neulancierungen, sagt Bürokollege Suppino.

Im Verlaufe des Morgens ergatterte ich doch noch eine Gazette, irgendwo im Zug zwischen Bern und Zürich. Endlich – das lange angekündigte Blatt, das aus verletztem Stolz in die Welt gesetzt wurde. Ab sofort jeden Morgen in rund 430’000-facher Auflage.

Zuerst musste ich lachen: Das Titelbild mit den beiden Kripsen, die in feinen Anzugen vor dem Bankomat stehen, hat Unterhaltungswert. Die Geschichte dazu, “Business für Kids”, hingegen ist dünn.

Insgesamt kommt das neue Blatt von Sacha Widgorovits sehr unaufgeregt, ja bieder daher. Das ist gut so. Die klare Abgrenzung zu den anderen Blättern im Tabloit-Format war bewusst. Chefredaktor Rolf Leeb schreibt, dass “.ch” eine Qualitätszeitung sei. Aus Mücken wolle man keine Elefanten machen. Man “erkläre unaufgeregt und kompetent”. Zugleich wird auf Kommentare und Analysen verzichtet. Wie also soll da “erklärt” werden? Ich bin gespannt, ganz nach dem Langzeit-Slogan des “Tages-Anzeiger”: Wir bleiben dran.

Die redaktionellen Leistungen sind ohnehin nicht entscheidend. Zeitungen sind heutzutage in erster Linie Trägerinnen von Werbung. Bei Gratis- und Pendlerzeitungen gilt das noch ausgeprägter. Der Kampf um den Werbekuchen wird jetzt noch gnadenloser werden. Und sollten “Tages-Anzeiger”, “Basler Zeitung” und “Berner Zeitung” ihr gemeinsames Gratisprojekt “News” tatsächlich auch noch lancieren, wird uns vermutlich ein Zeitungs- und Inseratekrieg geboten, auf den wir lieber verzichten würden.

Konkurrenz belebt das Geschäft, heisst es. Bei den Gratisblättern hat diese Überzeugung keine Gültigkeit. Sie belebt den Arbeitsmarkt der Medienschaffenden – vorübergehend.

Wenn “News” etwas wirklich Neues bieten will, muss es uns dereinst direkt ans Bett geliefert werden. Am liebsten mit einem Kaffee. Das wäre eine echte Innovation. Suppino ist begeistert.

Ich warte erst einmal den nächsten Morgen ab – vielleicht schafft es “.ch” dieses Mal rechtzeitig vor unsere Haustüre.

Mark Balsiger

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