Die SVP von heute ist in der Rolle der SP von damals – selbst verschuldet

Publiziert am 14. November 2008

Kaum hatte Samuel Schmid mit seinen berührenden Auftritten angekündigt, auf Ende Jahr zurückzutreten, begann der Furor. Akteure skizzieren Anforderungsprofile, lassen Versuchsballone steigen oder werfen Nebelgranaten, Bedingungen werden in Mikrofone diktiert und Drohungen ausgestossen.

Business as usual? Nein, nicht ganz. Für einmal geht es um mehr.

Versuchen wir, die Ausgangslage aus einer historischen Warte auszuleuchten. Völlig unbestritten ist nur etwas: das Departement, das der Schmid-Nachfolger erben darf, ist das VBS. Eine Rochade können wir ausschliessen. Einerseits stehen die Bundesräte Leuenberger, Couchepin und Merz im Spätherbst ihrer Karriere. Spätestens im Dezember 2011 werden sie zurücktreten, darum kommt für sie ein Wechsel nicht mehr in Frage.

Andererseits sind Doris Leuthard und Eveline Widmer-Schlumpf erst seit Sommer 2006 bzw. Januar 2008 in der Landesregierung. Ein Departementswechsel macht für sie keinen Sinn, gerade auch vor dem Hintergrund der Finanzkrise mit ihren Auswirkungen, die wir erst teilweise erahnen können. Micheline Calmy-Rey, um das Septett zu komplettieren, kann man sich im VBS nicht vorstellen.

Das VBS steht also zur Disposition. Es hülfe zweifellos, wenn das neue Mitglied des Bundesrats mehr als nur eine Ahnung hat von Militär und Sicherheit. Ein höherer Offiziersgrad kann ein Vorteil sein, wenn man von den “Generälen” in der Schweizer Armee, die zum Teil immer noch über dem Teppich schweben, ernst(er) genommen werden will. Ein Zivildienstler oder Gefreiter hätte es ungleich schwerer.

Ein Plus wäre sicher die ausgewiesene Tätigkeit als Sicherheitspolitiker oder als Militär- und Sicherheitsdirektor eines Kantons. Die Betonung liegt auf “ausgewiesen”. Es gibt in den beiden Sicherheitspolitischen Kommissionen (SiK) Mitglieder, die von Verteidigung und Sicherheit noch nicht viel verstanden haben.

Die arithmetische Konkordanz gibt es erst seit 1959

Die SVP reklamiert den frei werdenden Sitz für sich. Das ist grundsätzlich ihr gutes Recht, mit einem Wähleranteil von 28,9 Prozent ist sie mit Abstand die stärkste Partei. Es gibt allerdings zwei Gründe, die es zu bedenken gilt:

Erstens hat die Volkspartei nach einem langen und gehässigen Rachefeldzug Eveline Widmer-Schlumpf aus der Partei ausgeschlossen. Genau jene Widmer-Schlumpf, die die SVP-Spitze zuvor während Jahren immer wieder als mögliche Bundesratskandidatin genannt hatte.

Mit dem Ausschluss Widmer-Schlumpfs kam es zur Spaltung der SVP. Die BDP wurde in der Folge gegründet und so auch zur neuen politischen Heimat von Samuel Schmid, dem zweiten SVP-Bundesrat. Im Verlaufe der letzten elf Monate hat die SVP der politischen Kultur unseres Landes ireparablen Schaden zugefügt. Dass sie nicht mehr im Bundesrat vertreten ist, hat sie sich selbst eingebrockt.

Zweitens ist die arithmetische Konkordanz, die dieser Tage oft bemüht wird, vergleichsweise jung. Von 1848 bis 1959 bildete die Zusammensetzung des Bundesrats die Bevölkerung nicht ab. Das geschah erst mit der Installierung der Zauberformel (2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP), die 2003 mit der Wahl Christoph Blochers als zweitem SVP-Vertreter gesprengt wurde.

Wer weder die Interessen des Landes glaubwürdig vertritt noch die Konsenskultur pflegt, hat im Bundesrat nichts zu suchen. Diese Erfahrung musste die SP machen: Obwohl sie seit der Einführung des Proporzwahlsystems 1919 zu den drei wählerstärksten Parteien gehört, erhielt sie erst während des Zweiten Weltkriegs einen Sitz, 1959 schliesslich einen zweiten zugesprochen. Von den 1920er-Jahren an stellte sie immer und immer wieder Bundesratskandidaten – erfolglos.

Die Situation der SP von damals darf man mit der SVP von heute vergleichen. Die SP bekannte sich bis 1929 nicht zur Landesverteidigung – und blieb deshalb draussen vor der Tür. Es gibt heute keine zwingenden Gründe, die SVP trotz ihrer permanenten Obstruktionspolitik bereits wieder mit einem Bundesratssitz zu belohnen. Sie soll, so die Argumentationslinie gewisser Akteure, noch etwas warten und unter Beweis stellen, dass sie Werte wie Anstand und Fairplay auch kennt.

3 Replies to “Die SVP von heute ist in der Rolle der SP von damals – selbst verschuldet”

  1. Nagelprobe zwischen Wahn und Wirklichkeit

    Die SVP hat im Prinzip drei Möglichkeiten: Sie kann erstens Alt-Bundesrat C. Blocher als Kandidaten portieren, zweitens einen anderen hardliner und drittens und letztens einen Konsenskandidaten, also einen als „moderat“ bekannten Exponenten.

    Die Szenarien sind schnell erzählt: die Wahlchancen von Variante 1 und Variante 2 sind gegen null tendierend. Variante 1 oder 2 auch nur ernsthaft in Erwägung zu ziehen, bedeutet, dem Wahn erlegen zu sein. Dem Wahn nämlich, dass sich die Vereinigte Bundesversammlung so sehr vor den mittlerweilen noch 25% Wähler fürchtet, dass sie diese K…. schlucken, pardon diesen Affront akzeptieren würde. Alternativ liesse sich das Ganze noch als Wahnvorstellung deuten, die Rolle in der Opposition werde es dann schon richten. Stammtischpolemik also.

    Bliebe Variante drei: ein Moderater und damit Wählbarer. Dies hätte auch mittelfristig erhebliche Auswirkungen: Wie Mark Balsiger richtigerweise schreibt, werden die Bundesräte Leuenberger, Couchepin und Merz wohl demnächst zurücktreten. Nach dem Anciennitätsprinzip wären zuerst Calmy-Rey, dann Leuthard, sodann Widmer-Schlumpf an der Reihe bei der Departementswahl. Es gibt aus derzeitiger Aussensicht keinen realistischen Grund für die drei Bundesrätinnen, die Departemente zu wechseln. Also würde bei einem Rücktritt von BR Leuenberger vermutlich das von der SVP langersehnte Infrastruktur-Departement UVEK endlich, (endlich!) frei. Bringt nun die SVP einen Moderaten und damit Wählbaren zur Wahl, hat sie gute Chancen, dieses Departement bei einem Rücktritt zu erobern. Das VBS wäre dann quasi die Aufwärmübung.

    Die SVP weiss um diese Zusammenhänge. Sie wird sich entscheiden müssen. Entscheiden zwischen einem Weg zurück in die Wirklichkeit, wo auch andere demokratische Kräfte eine Wählerbasis und damit eine Legitimation haben. Eine Schweiz, in welcher die Spielregeln der Demokratie geachtet werden und der politische Gegner zwar Gegner aber nicht Abtritt ist.

    Oder sie entschliesst sich für den Weg des Wahns. Den Weg weg von Gesellschaft und Wirklichkeit, den Weg desjenigen, der um die alleinseeligmachende Wahrheit zu wissen glaubt. Um als weidwund geschossener Bär in der Einöde zu verenden; irgendwo in den einsamen und zerklüfteten Höhen, wo das Wetter schnell umschlägt.

    Wir werden sehen.

  2. Davon ausgehend, dass sich die SVP mit realitätsfremden Nominationen selber in der Oppositionsrolle behalten will, muss ich Ihrer Schlussfolgerung widersprechen:
    Es stimmt, die SP der Zwanziger-Jahre lässt sich durchaus mit der aktuellen SVP vergleichen (sie haben noch die Parallelen mit den inneren Differenzen bezüglich Anpassungswille vergessen).

    Bezüglich Bundesrats-Beteiligung bestehen aber wesentliche Differenzen:

    – Es gab von der rechten Seite nie die Losung “Bekennt euch zur Landesverteidigung, dann kommt ihr in den Bundesrat”. Die SP musste ihren Weg selber finden, und der Bundesratssitz kommt dann auch erst ein Jahrzehnt nach dem Bekenntnis zur Armee. Nobs wird erst nach 4 Kriegsjahren für die innere Ruhe gewählt (vermutlich auch vor dem Hintergrund der sozialen Spannungen Ende des 1. Weltkrieges).

    – Auch 1943 waren die Differenzen zwischen Rechts und Links wesentlich grösser, als es die Differenzen zwischen Rechts und Rechtsaussen heute sind.

    – Die Konkordanz im heutigen Sinne (inhaltlich, nicht aritmetisch), entsteht erst in den 50er-Jahren – zwischen dem Bundesrats-Austritt der SP 1953, und der Erkenntnis im Bürgerlichen Lager, dass 30% der Schweizer Bevölkerung andere Grundwerte haben und trotzdem an der Schweiz mitarbeiten wollen. Vor der Zauberformel gab es keinen Grundlegenden Wandel bei der Minderheit, sondern bei der Mehrheit.

    Ich bin der Meinung, dass man von einem Bundesrat – sei er SVP, SP oder wem auch immer – verlangen kann, dass er in erster Linie Bundesrat und nicht Parteivertreter oder gar Parteichef ist – ebenso dass er sich als einer von sieben Bundesräten versteht, und nicht als einzige, der dieses Amt verdient hat und die anderen sechs nur im Weg stehen. Diesbezüglich hat sich Blocher disqualifiziert, und es gibt einige SVP-Leute bei denen man berechtigerweise anzweifeln kann, dass sie diesem Kriterium genügen können.

    Aber Kriterien wie ‘die Interessen des Landes glaubwürdig vertreten’ beinhalten einen Einzig-Wahre-Politische-Grundhaltung-Anspruch – welcher die Schweiz vor 1959 gespalten und blockiert hat. Diesen Fehler des Bürgerblocks sollten wir nicht wiederholen, erst recht nicht mit der Begründung, dass die SP diesen Fehler auch erdulden müssten.

  3. Gehen Sie hin und laden Sie Freunde zum Eile mit Weile Spiel ein. Lassen Sie alle reihum im Uhrzeigersinn würfeln, nach einer gewürfelten Fünf eine Spielfigur auf die Bank setzen und dann rechts herumlaufend versuchen, die Zieltreppe und den Himmel zu erreichen. Ohne vorherige Ankündigung laufen Sie aber, nach einer gewürfelten Fünf, anstatt rechts mit Ihrer Spielfigur links herum. Was wird wohl mit der Spielrunde geschehen?

    Nein, ich habe mich mit diesem Beitrag nicht im Blog geirrt. Was hat aber mein Eile mit Weile Vorschlag mit den Bundesratswahlen zu tun? Nun mit der Annahme der Einladung haben Ihre Gäste sich bereit erklärt zum Eile mit Weile Spiel nach den allgemein bekannten Spielregeln. Genauso ist es in der Politik. Wer der Einladung folgt, sich an der Wahl eines Bundesrat zu beteiligen, erklärt sich bereit, nach den geltenden Spielregeln zu agieren. Dazu gehören in unserem Land in Bezug auf den Bundesrat u.a. Konkordanz – so verstanden, dass die wichtigsten politischen Parteien, die zugleich die Regierung bilden, aufgrund eines breiten Basiskonsenses die anstehenden politischen Aufgaben auf dem Verhandlungswege lösen – und das Kollegialitätsprinzip. Aus der Konkordanz als Spielregel folgt, dass einer wichtigen politischen Kraft – was bei einem Wähleranteil von 25 bis 30 Prozent sicher gegeben ist – grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden muss, sich an der Regierung zu beteiligen. Das heisst, es kann nicht von vornherein sämtlichen Kandidaten dieser Partei die Bereitschaft, sich an die Spielregeln zu halten, pauschal abgesprochen werden. Das ist bei jedem Einzelnen zu prüfen. Anderseits haben sich auch die Bundesratskandidaten und ihre Partei an die geltenden Spielregeln zu halten, nämlich u.a.: An das Wahlverfahren (Mehrheit der Bundesversammlung) und die Verpflichtung zum Kollegialitätsprinzip nach Annahme der Wahl.

    Damit ein Eile mit Weile Spiel gespielt werden kann, ist nicht zwingend erforderlich, dass rechts herumgelaufen wird. Es geht grundsätzlich auch links herum. Genauso ist es mit den politischen Spielregeln der Konkordanz und Kollegialität. Es gibt andere funktionierende politische Systeme auf der Welt, die kommen ohne diese beiden Prinzipien aus. Entscheidend ist aber sowohl im Eile mit Weile Spiel, als auch in der Politik, dass die geltenden Spielregeln vor Spielbeginn im dafür vorgesehenen Verfahren – in der schweizerischen Politik wird für wesentliche Entscheide auf den Willen der Mehrheit aller sich beteiligenden Stimmberechtigten abgestellt – festgelegt werden. Während des Spiels sollen die Spielregeln durch einen einzelnen Spieler allein, in Umgebung des vorgesehenen Verfahrens, nicht abgeändert werden. Sie zweifeln daran oder sehen den Grund nicht ein? Nun, dann gehen Sie hin und laden Sie Freude zum Eile mit Weile Spiel ein und……

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