Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf könnte Systemwechsel auslösen

Publiziert am 04. Juli 2010

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (bdp) habe “gute Wiederwahlchancen”, schreibt Patrick Feuz, der Bundeshauschef von “Tages-Anzeiger” und “Bund”. Das liege an ihrer Popularität und den “Machtstrategien von CVP und FDP”.

Das Abwahlrisiko für Widmer-Schlumpf sinkt (“Bund”, 03.07.2010; PDF)

Die “liberale Allianz” der Mitteparteien BDP, CVP und FDP will bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats im Dezember 2011 ihre vier Sitze verteidigen. Doris Leuthard (cvp) und Didier Burkhalter (fdp) sind unbestritten, wenn in den nächsten 17 Monaten nicht noch Gravierendes passiert. Was hingegen mit Widmer-Schlumpf und dem zweiten FDP-Sitz (derzeit Hans-Rudolf Merz) geschieht, ist meines Erachtens völlig offen – “Machtstrategien” hin oder her.

Wie es scheint, wollen die Mitte-Strategen der SVP den zweiten Bundesratssitz so lange verwehren, bis Widmer-Schlumpf (Foto) selber zurücktritt. Das ist eine Kampfansage, die die Volkspartei noch so gerne annehmen wird. Nichts spielt ihr mehr in die Hände als der Umstand, mit 28,9 Prozent Wähleranteil nur einen Bundesrat stellen zu dürfen, während die FDP 15,8 Prozent erreicht und die BDP klar unter der 5-Prozent-Marke bleibt.

Das Festhalten an Widmer-Schlumpf bzw. deren Wiederwahl wäre ein Spiel mit dem Feuer. Es ist möglich, dass die SVP gerade deswegen bei den Nationalratswahlen im Oktober 2011 nochmals kräftig zulegt. Wird ihr der zweite Bundesratssitz vorenthalten, zieht sie womöglich Ueli Maurer zurück, radikalisiert ihre Reihen weiter und beschränkt sich auf Obstruktion.

Eine völlig andere Option, die im Nachgang zu den eidgenössischen Wahlen Auftrieb erhalten könnte, wäre eine Mitte-Rechts-Regierung. Die bürgerlichen Parteien verständigen sich darauf, die SP auszuschliessen und die sieben Sitze unter sich zu verteilen (z.B. 3 SVP, 2 FDP, 1 CVP, 1 BDP).

Die Abwahl von Christoph Blocher im Dezember 2007 löste ein politisches Erdbeben aus. Die Wiederwahl seiner Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf im Dezember 2011 könnte ein weit gravierenderes Erdbeben auslösen: die Abkehr von einer Regierung, in der alle grossen Parteien vertreten sind.

Es gibt prominente Politbeobachter, die inzwischen einen Wechsel des Regierungssystems als valable Option bezeichnen. Ich oute mich als Verfechter der arithmetischen Konkordanz: Die Schweiz ist seit 1959 sehr gut gefahren damit. Sie kann es sich nicht leisten, die SVP oder die SP in die “Opposition” zu jagen. Die politische Stabilitität, der wichtigste Standortfaktor überhaupt, wäre nicht mehr gewährleistet.


Foto Eveline Widmer-Schlumpf: tagesanzeiger.ch

6 Replies to “Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf könnte Systemwechsel auslösen”

  1. Diesen Kommentar mussten wir aufgrund von Spamattacken nachträglich wieder einfügen. Er stammt von Christian Schenkel (7. Juli 2010, 12.04 Uhr):

    Der Begriff “Konkordanz” kommt vom lat. “concordare” (“übereinstimmen”). Eine bloss arithmetische Konkordanz, die nicht auch von inhaltlichen Übereinstimmungen getragen wird, kann die Zukunft der Schweiz nicht sein.

    Eine handlungsfähige Regierung muss am gleichen Strick ziehen können. Ob das mit einer rein arithmetischen Konkordanz möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Gleichfalls zweifle ich daran, dass die SVP noch signifikant an Wählern zulegen kann. Ihr Potenzial ist mehr oder weniger ausgeschöpft.

  2. ‘@ Christian Schenkel

    Ich wiederhole mich: Die Abkehr von der arithmetischen Konkordanz wäre ein Kulturwandel. Dafür ist die Schweiz bzw. ihr System noch nicht reif.

    Die Risiken, eine der beiden grössten Partei nicht in der Landesregierung vertreten zu haben, sind gross. Sie können vieles blockieren.

    Mehrheiten werden weiterhin von Fall zu Fall möglich, mit unterschiedlichen Kooperationen. Das ist typisch schweizerisch.

    Schliesslich zur SVP: Ich gehe davon aus, dass sie in der Romandie und in der Zentralschweiz noch wachsen kann.

  3. ‘@ Mark

    Betreffend dem zusätzlichen Wählerpotenzial der SVP können wir ja nur spekulieren. Da wird das nächste Jahr mehr Klarheit bringen.

    Interessant finde ich vielmehr den viel beschworenen, politischen Kulturwandel. Er soll den Weg für eine Regierungsreform ebnen. Doch wie sieht ein solcher Kulturwandel aus? Was sind seine Ursachen? Woran erkennen wir ihn? Und was ist, wenn wir schon mitten in einem politischen Kulturwandel sind: http://edemokratie.ch/schweizer-regierungsreform-netzwerkgesellschaft/

  4. Ich bin völlig einverstanden mit dem System der arithmetischen Konkordanz. Zusammenarbeiten zu können ist nämlich Stärke, “Links-Rechts”-Grabenkrieg dagegen Schwäche. Letzterer dient einzig und allein der politischen Profilneurose. Und davon haben wir im Moment schon eher zu viel.

  5. ‘@ Mark A. Saxer

    Grundsätzlich inverstanden, man darf von Profilneurose sprechen. Die Profilierungsversuche der Bundesratsmitglieder sind zu einem rechten Teil hausgemacht. Auch weil es um das politische Überleben geht.

    Gleichzeitig sind die Bundesratsmitglieder inzwischen die wichtigsten Schlachtrösser der Parteien, wie ich sie zu nennen pflege. Das hat auch mit dem veränderten Mediensystem zu tun. Der Fokus ist stark, zu stark auf der Regierung statt den Parteispitzen.

  6. Durch Verzicht Grösse zeigen !

    Frau BR Widmer-Schlumpf hat in den vergangenen 4 Jahren als Bundesrätin überzeugt!
    Ihre Wahl 2007 erfolgte für Aussenstehende aufgrund nicht nachvollziehbarer Abläufe und polarisiert seit ihrem Ausschluss aus der SVP die politischen Kräfte im Parlament dermassen, dass wichtige Sachgeschäfte zeitlich wie auch inhaltlich arg leiden!

    Vorausgesetzt die prognostizierten Parteistärken werden in den bevorstehenden NR- und SR-Wahlen bestätigt, erreicht die BDP bei weitem nicht Bundesratsstärke.

    Damit endlich hinsichtlich dem Konkordanz-Geplänkel wieder Ruhe einkehrt und sich die gewählte Classe Politique auf’s lösungsorientierte Politisieren (genau für diese Aufgabe werden die Damen und Herren doch nach Bern gewählt!) konzentrieren kann, empfehle ich Eveline Widmer-Schlumpf Grösse zu zeigen und nach den Parlamentswahlen im Oktober ihren Verzicht auf eine Wiederwahl in den Bundesrat zu erklären. Sie würden unserer Schweiz einen grossartigen Dienst erweisen!!

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