Wir sind ein Volk von Zeitungslesern
Publiziert am 08. September 2009Was habe ich mir vom 1. Dezember 2008 bis Mitte Mai dieses Jahres den Mund fusselig geredet, um gegen das Aus der Traditionszeitung “Der Bund” anzukämpfen. Mitunter hatte ich den Eindruck, dass wir vom Komitee “Rettet den Bund” ziemlich schräg in der Landschaft standen.
“Holzmedien sind doch dem Tod geweiht”, spotteten viele, “was kämpft ihr für dieses ausgehungerte Blatt”. “Tageszeitungen sind Dinosaurer” wussten andere, “die Zeitungsleser sterben aus”. Den Vogel abgeschossen hat zweifellos Hanspeter Lebrument, der Präsident des Verbands Schweizer Presse. In einem Interview mit “Le Temps” zweifelte er die Zukunft der gedruckten Zeitung an.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Branchenkenner – Verlagsleute und Medienschaffende – Totengräber und Defaitisten sind. Bei den zahllosen Diskussionen sagte ich jeweils zu Beginn, dass wir ein Volk von Zeitungslesern seien. Neun von zehn Meschen haben regelmässig eine Tages-, Wochen- oder Sonntagszeitung in den Händen.
Die neuste Erhebung der AG für Werbemedienforschung (WEMF) zeigt auf, dass die Leserzahlen in den letzten 12 Monaten stabil geblieben sind. Die Einschätzung der NZZ:
Gratis- und Sonntagstitel erreichen mehr Leser (NZZ, PDF)
Es gäbe also in den Verlagshäusern gute Gründe, eine Flasche aufzutun und etwas optimitischer in die Zukunft zu blicken. Das ermöglichte vermutlich auch innovative Lösungen, weil: die Tageszeitungen müssen sich anders positionieren. Das ist klar.
Mit Relaunches, wie sie “Tages-Anzeiger”, NZZ und “Blick” in den nächsten Wochen umsetzen, ist es nicht getan. Die Schwerpunkte müssen anders gesetzt werden, die Tageszeitung sollte das tun, was sie am besten kann. Sachverständige beten seit Monaten gebetsmühlenartig herunter, was zu den Kernaufgaben der Tageszeitung von Morgen gehört, so sie übermorgen noch eine Existenzberechtigung haben will: Gewichtung, Einordnung, Analyse, Hintergrund, Reportage.
Der Wettlauf mit den Onlineportalen ist nicht zu gewinnen, auch wenn es die Tageszeitungen in fiebrigem Tempo zu versuchen scheinen. Er beschädigt bloss das Renomée der Printmedien, die einen Qualitätsanspruch haben.
Im aktuellen “Magazin” werden drei ausländische Tageszeitungen porträtiert, die diesem neuen Anspruch gerecht werden wollen.
Mark Balsiger
Tja, die “Werbeikone” Frank Bodin meinte dazu heute Morgen auf DRS 3: «Zeitungen von heute sind die Steintafeln von morgen.»
Gleiche Erhebung – ungleiche Einschätzung
persoenlich.com schreibt:
“Wochentitel bleiben ebenfalls stabil
Bei den meisten Titeln zeigen die Leserzahlen nach oben. Wie zum Beispiel das “NZZ Folio” (+27’’000) oder die “Weltwoche“. In der letzten Erhebung noch rückläufig, konnte das Blatt von Roger Köppel die Leserzahl stabilisieren und weist 348’000 Leser auf.”
Die NZZ schreibt:
“Keine positive Bilanz ziehen kann die «Weltwoche», welche sowohl gegenüber 2008 (–7%) wie auch gegenüber 2004 (–21%) deutlich Leserinnen und Leser verlor.”
Ich teile die Einschätzung voll und ganz.
Alles, was mit dem Begriff „news“ in seinem weitesten Sinne zu tun hat, hat in Printmedien nichts mehr zu suchen. Wie Mark Balsiger richtig schreibt, ist der Wettlauf mit den Online-Portalen nicht zu gewinnen. Dies, weil einerseits die Aufbereitungs- und Distributionszeit einfach wegfällt. Andererseits aber auch aus Gewohnheit. Denn der Punkt des Newsempfanges wird verändert. Wenn ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, news online per Handy zu lesen, dann greife ich nicht mehr zum papierenen Medium – schlicht aus Gewohnheit.
Aber Analyse, Einschätzung und Einordnung werden in der Fülle der Neuigkeiten immer wichtiger. Wenn diese Qualität haben, haben sie auch in einer, vielleicht auch zwei Wochen noch eine Berechtigung. Und dafür zahle ich auch. Wenn das Ganze zum einfachen Abspeichern im eigenen Medienarchiv –der Gewohnheit halber- auch noch elektronisch verfügbar ist, umso besser.
‘@ J.C.
Inzwischen habe ich die Präzisierung zur Hand: Ihre beiden Quellen beziehen sich auf unterschiedliche Vergleiche.
Richtig ist: Die “Weltwoche” hat gegenüber dem Vorjahr 7 Prozent verloren. Im Vergleich zur 1. Mach Basic von diesem Jahr gewann Roger Köppels Blatt hingegen 3000 Leser hinzu. Das entspricht einem Plus von knapp einem Prozent.
Es geht nichts über die Fokussierung auf die gute Entwicklung von Auflagezahlen.