Zum “Niedergang” der SVP

Publiziert am 17. Dezember 2011

Neunzehn Jahrelang hat die SVP ihre Gegnerinnen und Gegner immer wieder gedemütigt. Das hinterliess tiefe Spuren. Umso stärker muss die Befriedigung sein, die sich zum Teil in Schadenfreude oder Häme auswächst, dass die Volkspartei seit Wochen einen schlechten Lauf hat.

Solche Reaktionen sind menschlich. In der aktuellen SVP-Debatte wird die dreifache Niederlage allerdings überzeichnet:

–  Natürlich hat die SVP bei den Nationalratswahlen Federn lassen müssen. Mit einem Minus von 2.3 Wählerprozenten verlor sie nach einer 20-jährigen Wachstumsphase erstmals wieder. Aber auch alle anderen grossen Parteien büssten Wähleranteile ein, die FDP beispielsweise 2.6, die CVP 2.2 Prozentpunkte. Die SVP ist so gross wie die beiden Traditionsparteien zusammen.

–  Der Sturm aufs Stöckli war in erster Linie ein Propaganda-Feldzug. Schon bei seiner Ankündigung im April war klar, dass daraus nichts wird. Überraschend ist einzig, dass die ohnehin schon kleine SVP-Deputation im Ständerat mit einem Minus von 2 Sitzen noch geschwächt wurde.

–  Ein Fall Zuppiger, dessen volle Tragweite noch nicht bekannt ist, hätte jeder anderen Partei auch passieren können. Kein potenzieller Bundesratskandidat wird von den eigenen Leuten durchleuchtet; das entspricht nicht den Gepflogenheiten in der Schweiz und ist im Grundsatz auch richtig.

Die Verstrickungen der Familie Blocher mit der “Basler Zeitung” und das konsequente Abstreiten einer Beteiligung durch den Übervater unterspülen die Glaubwürdigkeit Blochers. Und weil Blocher die SVP wie kein anderer verkörpert, weiterhin der Kristallisationspunkt und mächtigste Agitator ist, wird mit dieser absurden Geschichte auch die Partei in Mitleidenschaft gezogen. Die Frage ist: Richtet sie einen irreparablen Schaden an? Mich übermannen Zweifel.

SVP ist schon einmal aus dem Tritt geraten

Der „Niedergang“ der SVP, der nun prognostiziert wird, ist herbeigeschrieben und -geredet. Dass die Blocher-Partei aus dem Tritt geraten kann, erlebte man 2008, nachdem ihr Anführer aus dem Bundesrat geworfen worden war. Die SVP konnte sich nach einem Jahr aber wieder aufrappeln und zog danach das gewohnte Powerplay auf.

Die Führungstroika Blocher-Brunner-Baader mag erstmals härter kritisiert werden – Köpfe werden deswegen keine rollen. Sie sind unerlässlich und das wissen die Kritiker auch. Ob die Volkspartei Ueli Maurer aus dem Bundesrat abziehen wird, entscheidet sie am 28. Januar. Es käme einer grossen Überraschung gleich, wenn sie diesen Schritt beschliessen würde. Zu wichtig ist der direkte Draht in die Landesregierung, zu erfolgreich das Doppelspiel Regierungsverantwortung/”Opposition”, das in früheren Dekaden von der SP genauso betrieben worden war.

Wie schwierig die Einflussnahme ohne Bundesratsbeteiligung ist, wissen nur die Sozialdemokraten. Sie waren von 1954 bis 1959, als die Zauberformel vorbereitet und schliesslich installiert wurde, vorübergehend bundesratslos. Aus dem erhofften “Jungbrunnen der Opposition” (SP-Parteipräsident Walther Bringolf) wurde nichts.

Doch zurück zur SVP: Aufschluss über ihren Formstand und ihre innere Kohäsion werden die kantonalen Wahlen und St. Gallen, Schwyz, Thurgau und Uri geben, die im Frühjahr 2012 stattfinden. Gut möglich, dass sie in diesen konservativen Kantonen weiter wachsen – und dann ist der “Niedergang” flugs wieder vergessen.

Mark Balsiger
Updates und weitere Analysen:

Der SVP-Zyklus ist am Ende (17.04.2012, Interview, Newsnet)
Das Märchen vom Niedergang der SVP (21.04.2012, Daniel Bochsler, Sonntag)


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Foto Christoph Blocher: keystone

One Reply to “Zum “Niedergang” der SVP”

  1. Ich bin grundsätzlich sehr einverstanden mit dieser Analyse, möchte zwei Bemerkungen anfügen:
    1.) Die SVP hat ja schon seit ein paar Jahren ihr Wählerpotential mehr oder weniger abgerufen. Ein weiteres Wachstum wäre also im größeren Stile nur möglich, wenn das Wählerpotential ausgeweitet werden könnte – was sich wohl nicht so einfach gestaltet, weil mögliche Wählergruppen auch von den verschiedenen Mitteparteien angesprochen werden und wohl nur über eine Lockerung des klaren Kurses in gewissen Fragen erreicht werden könnten.
    2.) Der “Sturm auf das Stöckli” war schlechte Propaganda, wenn von Anfang an klar war, dass ein Erfolg undenkbar ist. Es gab Kandidaturen, die aussichtslos waren (z.B. Blocher). Aber Brunner und Giezedanner waren m.E. nicht angetreten, um Publicity zu machen. Das waren echte Niederlagen für die SVP.

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