Zürichs Stapi Elmar Ledergerber geht, wie er gekommen ist: überraschend
Publiziert am 22. Oktober 2008Vor ein paar Tagen wurde er zum zweitbesten Bürgermeister weltweit erkoren, heute gab er seine Demission bekannt. Elmar Ledergerber überraschte mit seiner Ankündigung, im nächsten Frühling als Stadtpräsident von Zürich zurückzutreten, alle.
Ledergerber gehört in der Schweiz zur raren Spezies der Vollblutpolitiker. Er war immer mit Elan bei der Sache, eloquent, witzig und charmant, umsichtig und gerissen. Er wirkte volksnah und hatte offensichtlich Spass am politisieren. Während seiner Zeit als Nationalrat gehörte er zu den stärksten Vertretern der SP-Fraktion. Dank ihm, Peter Bodenmann (VS) und Rudolf Strahm (BE) hatte die SP in den neunziger Jahren Wirtschaftskompetenz.
Zuweilen ging Ledergerber aber auch das Temperament durch. Unvergessen wie er von “Ökoterror” sprach, als der VCS gegen ein neues Stadion in Zürich rekurrierte. Solche verbale Misstritte trüben die Bilanz des Machers. Verschiedentlich wird ihm auch von Leuten aus seinem Umfeld vorgeworfen, dass er den Boden unter den Füssen verloren habe.
Elmar Ledergerber hatte Bundesratsformat. Im Jahre 1995 wäre er ein möglicher Nachfolger von Otto Stich gewesen. Das Rennen war damals aber schon zu Ende, bevor es richtig begonnen hatte. Die Zürcher Genossen nominierten Moritz Leuenberger, der sich dann auch in der Fraktion und in der Bundesversammlung durchsetzte.
Ein Coup wurde im Jahre 2002 gelandet: Als Stadtpräsident Josef Estermann seinen Rücktritt als Stadtpräsident bekanntgab, wurde Ledergerber gleichentags als Nachfolger aus dem Hut gezaubert. Dieser Schachzug von Parteipräsident Koni Löpfe überrumpelte alle anderen Akteure, ebenso die eigene Partei. Das Vorgehen sorgte intern für rote Köpfe, der Erfolg gab dem gewieften Strategen Löpfe aber Recht.
Die FDP scheint von der Cleverness Löpfes gelernt zu haben: Bereits hat sie Stadträtin Kathrin Martelli heute als Nachfolgerin nominiert. Überraschend kommt dieser Entscheid nicht, das Tempo hingegen schon. Ihr Malus: Sie gehört schon lange zur Stadtregierung – seit 1994.
Martelli wird sich vermutlich mit SP-Stadtrat Martin Waser duellieren. Ein anderer Name, der auch fallen dürfte: Martin Naef, Kantonsrat und bis Anfang Jahr Parteipräsident der SP des Kantons Zürich. Gewählt wird voraussichtlich Anfang Februar 2009.
Foto Elmar Ledergerber: www.sf.tv
Kathrin Martelli hätte die Kandidatin sein können, mit welcher die FDP tatsächlich eine kleine Chance bei diesem Rennen gehabt hätte. Als sie fürs Letzigrundstadium einstand, erhielt sie über die Parteigrenzen hinaus Anerkennung.
Doch diesen Bonus hat sie sich wohl längst wieder verspielt, z.B. mit dem Durchzwängen wollen der Kongresshausvorlage, die in der präsentierten Form nicht mehrheitsfähig sein konnte. Und zuletzt hat sie die Kritiker des Winkelwiese-Ausverkaufs – eine knapp 3000m2 grosse Parzelle in der Zürcher Altstadt, die an einen Privaten für ein Villenprojekt abgetreten werden soll – pauschal als Neider diffamiert. So holt man sich kaum Wählerstimmen ausserhalb des eigenen Lagers. Ihre Heimbasis aber ist in der Stadt Zürich inzwischen sehr klein. Die ehemals staatstragende FDP belegt mit ihren 12% nur noch den 4. Rang unter den Stadtzürcher Parteien (s. Grafik).
Martin Waser wird nach seinem eben erst erfolgten Wechsel ins Sozialdepartement eher nicht antreten. Die SP tut wohl gut daran, eine Neue oder einen Neuen ins Rennen zu schicken. Bei einer Einervakanz kann die SP in der Stadt Zürich eigentlich nur gewinnen. (Zur Erinnerung: die Grüne Ruth Genner holte 60.4% der Stimmen.) Das gibt der SP eine gute Startposition für 2010. Dann muss sie nämlich mindestens einen weitere Newcomer reinbringen, wenn sie wiederum vier der neun Sitze beanspruchen will.
‘@ Andreas Kyriacou
Danke fürs Mitdenken. Es ist sicher so, dass sich die SP als klar stärkste Partei mehr erlauben kann als alle anderen. Bloss: wer drängt sich ausserhalb der bisherigen Stadtratsmitglieder und dem erwähnten Martin Naef auf, der auch gute Wahlchancen hätte? Wir sind gespannt, wenn die Printmedien bis morgen ausgraben.
Übrigens: die Grafiken auf Ihrer Site sind doch ziemlich zusammengestaucht – schade.
wer drängt sich ausserhalb der bisherigen Stadtratsmitglieder und dem erwähnten Martin Naef auf, der auch gute Wahlchancen hätte?
Martin Naef ist sicher kein schlechter Tipp. Ich würd’ aber den doppelten Betrag auf Corinne Mauch setzen, die – wie praktisch – eben erst Fraktionspräsidentin geworden ist und ebenfalls zum sozialdemokratischen Inner Circle gehört. Ausserdem ist sie eine fleissige und kompetente Parlamentarierin. Und mit einer Frau anzutreten wäre angesichts des heutigen 3:1-Verhältnisses von SP-Männchen zu SP-Weibchen im Stadtrat wohl nicht falsch – und eine passende Antwort auf die Nomination von Kathrin Martelli.
Zu den Grafiken: Die erste lässt sich durch Anwählen vergrössern. Aber ich weiss, ich sollte mal ein besseres Tool zur Einbindung von Bildern verwenden…
Tja, Online-Nachrichten statt Blogs müsste man lesen…
Fest steht, dass sich die amtierenden SP- Stadträte Esther Maurer, Robert Neukomm und Martin Waser nicht um den Posten bemühen werden, berichtet 20 Min.
Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Dass Robert “Bobby” Neukomm und Esther Maurer nicht in Frage kommen, war jedem Beobachter schon vorher klar. Die Absage Wasers hingegen finde ich überraschend.
Die Redaktion von “20Minuten online” kriegt zehn Punkte für die schnellste Umfrage.
Spiel um Zeit und Macht
Nach derzeitigem Erkenntnisstand tritt von den bisherigen SP-Vertretern im Stadtrat niemand an. Die Wahlchancen für einen Aussenstehenden sind naturgemäss schlechter. Frau Martelli hat eine lange Exekutiverfahrung und besitzt deshalb eine grosse Popularität. Ob sich die von Andreas Kyriacou erwähnten Marginalien in sinkenden Wählerstimmen niederschlagen, darf zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.
Hypothese: sollte sich die SVP eingestehen, dass sie realistischerweise (ob mit oder ohne Mauro Tuena) eine Chance im Null-Komma-Prozent-Bereich haben und Frau Martelli unterstützen, dann wird es zumindest spannend. Sollte die CVP zur selben Einsicht gelangen, dann stelle ich mal die Prognose, dass die SP einen der derzeit Amtierenden bekniet.
Schön wäre es natürlich, wenn sich die SVP und die CVP solange bedeckt halten, bis die SP ihren offiziellen Kandidaten nominiert hat. Scharen sich beide Parteien dann hinter Frau Martelli, könnte es für die SP in ihrer unbestrittenen Hochburg eng werden.
‘@open society
Natürlich gibt es zu fast allen der acht verbleibenden Bisherigen eine ganze Palette an Meinungen. Sicher ist aber, dass bei den Freisinnigen sowohl Vollenwyder wie auch Martelli polarisieren – und zwar auch in den eigenen Reihen. Die Kandidatur von Martelli lässt wohl nicht unwichtige freisinnige Geldquellen versiegen und wird zur Folge haben, dass ein Teil der Basis einfach zu Hause bleibt, so wie dies bei der letzten Ersatzwahl geschah, wo der jungfreisinnige Kandidat eine deutliche Schlappe einfuhr.
Mittelinks wird Martelli kaum verzeihen, dass sie sich – wohl aus Ärger wegen dem Ausbremsen des Zürcher Stadionprojekts – für die Fiala-Initiative zur Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts hatte einspannen lassen. (Im Moment drängeln sich Freisinnige ja nur so auf, um im Nein-Komitee mitzumachen und so den Reputationsschaden für die Partei in Grenzen zu halten.)
Wenn die SP nicht einen schwerwiegenden Fehler begeht, z.B. durch die schnelle Eingemeindung und Nomination von Daniel Jositsch – ich halte diese Spekulation allerdings für eine Zeitungsente – läuft sie bei dieser Wahl durch.
Noch zur SVP: Natürlich wird die antreten: Martelli ist als Stadträtin ja bereits gewählt, also bleibt auf dem Stimmzettel auf der Zeile für die Ersatzwahl eines Stadtratsmitglieds Platz für einen neuen Namen. FDP und SVP wären wohl schlecht beraten, wenn sie nicht ein Päckchen schnüren würden: Martelli fürs Präsidium, einen SVP-ler als 9. Mitglied. Im Duett anzutreten hat aber natürlich den Nachteil, dass Mittewähler wiederum nach links gedrängt werden, so wie dies bei der letzten Ersatzwahl geschah.
Eine interessante These, die Sie da entwerfen, open socienty. Martin Waser als einziger der drei bisherigen SP-Mitglieder und längere Zeit als Ledergerber-Nachfolger genannt, müsste also bekniet werden. Bei einem Ja würde seine Glaubwürdigkeit leiden. On verra.
Mit seltener Schärfe bringt der “Tages-Anzeiger” von heute das Dilemma der SP auf den Punkt: “In der Gemeinderatsfraktion gibt es mehr Hinterbänkler als Bänke. Und wer redet, hat oft nicht viel zu sagen.”
Jositsch – vergessen wir das! Der wechselt doch nach rund einem Jahr auf der nationalen Ebene, die er kräftig aufmischt, nicht wieder in die Stadt. Dafür ist er zu jung, dafür hat er ganz andere Optionen.
Andere Quereinsteigerinnen? Das Interesse bzw. Reservoir dürfte sehr bescheiden sein.
Eine Stadtpräsidentin wäre wünschenswert, egal welches Parteibuch sie nun hat. Kathrin Martelli hat im Moment gute Karten. Dass sich die SP bis am 2. Dezember Zeit lässt, erachte ich als Fehler. Die Zeit drängt.
[…] Nun ist die Katze endlich aus dem Sack: Die SP der Stadt Zürich nominierte gestern Abend Corine Mauch (48, oben) als Kandidatin fürs Stadtpräsidium. Ein Schwarztreffer für Mitblogger Andreas Kyriacou, der schon am 22. Oktober auf sie setzte. […]