Roberto Zanetti auf den Spuren seines Ziehvaters Ernst “Aschi” Leuenberger

roberto_zanetti1_200_regierungsrot Am Abend des 24. April 2005 hätte wohl niemand auch nur einen roten Rappen darauf gewettet, dass Roberto Zanetti (sp, Foto) jemals wieder auf der politischen Bühne erscheint. Damals wurde Zanetti im zweiten Wahlgang als Solothurner Regierungsrat abgewählt – ein bitterer Moment für ihn und seine Partei.

Schuld an der Abwahl war die Pro-Facile-Spendenaffäre rund um den Finanzjongleur Dieter Behring. Sie belastete in der ersten Phase Zanetti und die Basler Ständerätin Anita Fetz schwer. Später blieb an den Vorwürfen juristisch nichts mehr hängen.

Zanetti gelang in diesem Jahr ein Comeback in zwei Schüben: Im Frühling wurde er mit einem Glanzresultat in den Kantonsrat gewählt. Er holte 60 Prozent Stimmen mehr als die Zweitplatzierte der SP, notabene eine Bisherige. Über das Wochenende nun nominierten die Sozialdemokraten Zanetti für die Ständeratsersatzwahl vom 29. November. Dabei gilt es, den Sitz von Ernst “Aschi” Leuenberger (sp), der im Sommer an einem Krebsleiden starb, neu zu besetzen.

Damit ist Roberto Zanetti endgültig zurück im Rampenlicht: Am Parteitag in Oensingen setzte er sich schon im ersten Wahlgang gegen Nationalrätin Bea Heim durch. So erhält die Überzeugung von Bloggerkollege und SP-Mitglied Hardy Jäggi Auftrieb, der schon am 11. Juli prophezeite, dass für die SP nur Zanetti die Kohlen aus dem Feuer holen könne.

Ein dritter möglicher Kandidat, Boris Banga, Stadtpräsident von Grenchen und 2007 als Nationalrat abgewählt, mochte sich am Parteitag nicht mit den anderen messen. Er wäre interessiert gewesen, wenn die SP Solothurn auf eine parteiinterne Kampfwahl verzichtet hätte.

Wie “Phönix aus der Asche” – so würdigten die regionalen Medien Zanettis Nomination. Er gilt als “animal politique”: 1990 bis 2000 war er Gemeindepräsident von Gerlafingen, 1993 bis 1999 Kantonsrat, im Oktober 1999 gelang ihm der Sprung in den Nationalrat. Beim selben Wahltermin schaffte sein Ziehvater Ernst Leuenberger den Wechsel vom National- in den Ständerat.

Zanetti konnte sich in der SP-Bundeshausfraktion nicht durchsetzen, und auch im Nationalrat war es ihm unwohl. Es gäbe “im Nationalrat zu viele Haie”, soll er einmal gesagt haben. Im Kanton Solothurn wird die Politik, salopp ausgedrückt, traditionell in der Beiz gemacht. Nicht aber in Bundesbern. Daran konnte oder wollte sich Zanetti nicht gewöhnen. Deswegen war “Röbu”, wie er von vielen genannt wird, froh, als er im Juni 2003 in einer Ersatzwahl Regierungsrat wurde.

ernst_leuenberger1_small200_nzz1Ernst “Aschi” Leuenberger (Foto) war klug, volksnah und wortgewaltig, ein unermüdlicher Kämpfer mit einem grossen Herzen. Er genoss quer durch alle politischen Lager viel Respekt und Achtung. Politiker von seinem Holz gibt es nur alle 20 Jahre. Zanetti ist ein langjähriger Begleiter Leuenbergers, in der Partei wie im SEV, der Gewerkschaft der Eisenbahner. Sollte er Ende November den Sprung in den Ständerat schaffen, wäre die Überraschung ähnlich gross wie 1999, als sich Leuenberger gegen das FDP-CVP-Päckli Rolf Büttiker/Anna Mannhart durchsetzte.

Morgen Dienstag bestimmt die CVP, wen sie ins Rennen um den zweiten Ständeratssitz neben Rolf Büttiker (fdp, seit 1991 im Stöckli), schickt. Es kommt dabei zu einem Zweikampf zwischen Nationalrätin Elvira Bader und Roland Fürst, Kantonsrat und Direktor der Handelskammer Solothurn.

Fürst ist zudem designierter Kantonsratspräsident und auf einer der beiden CVP-Nationalratslisten erster Ersatz. Gut möglich, dass sich seine Karriere Richtung Bundesbern entwickelt.

Die Ausgangslage ist klar: Der Kanton Solothurn ist grundsätzlich bürgerlich dominiert. Erhält die CVP-Kandidatur seitens der FDP-Parteibasis überzeugenden Sukkurs, wird es für Zanetti sehr, sehr schwer.

Mark Balsiger

Foto Roberto Zanetti: regierungsrot.ch
Foto Ernst Leuenberger: nzz.ch

Claude Longchamp zu den Basler Wahlen: “Rot-Grün politisiert undogmatisch”

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In der siebenköpfigen Regierung von Basel-Stadt behält Rot-Grün die Mehrheit. Eva Herzog (SP) machte ein Glanzresultat, gefolgt vom Grünen Guy Morin. Die beiden neuen SP-Männer Christoph Brutschin und Hans-Peter Wessels schafften das absolute Mehr klar. Wiedergewählt wurden die Bisherigen von CVP und LDP, Carlo Conti und Christoph Eymann. Hanspeter Gass (FDP) hingegen schaffte die Wiederwahl nicht und muss in einen zweiten Wahlgang. Der SVP-Kandidat Patrick Hafner hatte keine Chance.

Das die knappe Zusammenfassung des gestrigen Wahltages in Basel. Was lässt sich darauf lesen? Ich befragte Claude Longchamp, Politikwissenschaftler und Leiter des Instituts gfs.bern.

Claude Longchamp, die Basler Regierung bleibt in rot-grüner Hand, obwohl die SP mit zwei Neuen angetreten ist. Wie interpretieren Sie das überaus klare Ergebnis?

In Basel gibt es keine Wendestimmung. Rot-Grün hat sich sachpolitisch erneuert und pragmatisch ausgerichtet. Umgekehrt ist man in Basel von einem bürgerlichen Block weit entfernt, weil CVP/FDP/LDP und SVP tief zerstritten sind.

Patrick Hafner von der SVP ist weit abgeschlagen auf Platz 8 gelandet. Weshalb kommt die Volkspartei bei Exekutivwahlen auch mit einem konzilianten Kandidaten nicht auf einen grünen Zweig?

Personen sind das eine, parteipolitische Konstellationen das andere. Alleine aus der Minderheit antreten, ist politisch gesehen ziemlich aussichtslos. Zudem: Die SVP legte zwar im Vergleich zu den letzten kantonalen Wahlen vor vier Jahren zu, das Bestergebnis der Nationalratswahlen 2007 verfehlte sie angesichts der verringerten Mobilisierung deutlich.

Auffallend ist, dass das rot-grüne Quartett in der Regierung die letzten vier Jahre einen sehr moderaten Kurs gefahren ist und sogar Steuersenkungen eingeleitet hat. Sind die Linken in Basel verkappte Bürgerliche?

Ach nein, Rot-Grün politisiert in Basel modern, urban und sozialökologisch. Die Positionen werden indessen nicht dogmatisch eingenommen, um eine konsensorientierte Politik betreiben zu können. In der Steuerfrage hat sich die Kantonsregierung die programmatische Weiterentwicklung der Linken in verschiedenen Städte zu Eigen gemacht.

Als gouvernementale Kraft hat die SP klar gewonnen, bei den Parlamentswahlen hingegen 2,6 Prozent verloren. Ein Zufall?

Die SP hat in den letzten eineinhalb Jahren viele Wahlen verloren. Die Wählerrückgänge waren vor allem auf dem Land beträchtlich. Da wurde Rot-Grün sogar geschwächt. In den Städten ist die Situation anders. Entscheidend ist dort vielmehr, woher die grünliberalen Wähler kommen.

Wie können sich die Wahlresultate in Basel-Stadt auf die kommunalen Wahlen in den Städten Biel und Bern auswirken? Darüber sprechen wir im Wahlbistro mit Claude Longchamp – und Sie können mitdiskutieren.

Interview: Mark Balsiger
Foto von Claude Longchamp: www.gfsbern.ch

Wahlen in Basel-Stadt, wo die Linken die besseren Bürgerlichen sind

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An diesem Wochenende bestellt Basel-Stadt die Regierung und das Parlament neu. Ein echter Wahlkampf hat in den letzten Wochen und Monaten kaum stattgefunden. Das hat verschiedene Gründe:

1. Anstand statt Konfrontation: In Basel ist der Umgang unter den Politisierenden traditionell sehr höflich. Wer einmal eine Debatte im Grossen Rat verfolgt hat, wird das bestätigen. Das Intermezzo mit der SVP-Vorkämpferin Angelika Zanolari, die vor ein paar Jahren einen konfrontativ-lauten Stil ins Parlament brachte, ist Geschichte.

2. Devensive Bürgerliche: Für die Regierungsratswahlen wollten die bürgerlichen Bündnispartner CVP, FDP und LDP den als gemässigt eingestuften SVP-Kandidaten Patrick Hafner nicht mit an Bord nehmen. Die Hemmungen sind weiterhin gross, zusammen mit der Volkspartei anzutreten, und auch sonst ist nur wenig Kitt vorhanden unter den Bürgerlichen. Dabei müssten sie angreifen, nachdem sie vor vier Jahren einen Sitz verloren haben, der das Pendel nach links ausschlagen liess. Die Zusammensetzung der siebenköpfigen Regierung seit 2004: 3 SP,1 Grüner, 1 CVP, 1 FDP, 1 Liberaler.

Die SVP ist in den letzten 12 Jahren zur zweitstärksten Kraft hinter der SP herangewachsen. Wie in vielen anderen Wahlkreisen hat sie aber auch in Basel Mühe, in die Regierung zu kommen. Es wäre eine grosse Überraschung, wenn ihr das am Sonntag gelingen würde.

CVP, FDP und LDP begnügen sich offensichtlich damit, ihre drei bisherigen Regierungsräte (Carlo Conti, CVP, Hanspeter Gass, FDP, Christoph Eymann, Liberale) bestätigen zu lassen. Dabei wären die Chancen für einen Angriff auf die rot-grüne Mehrheit intakt gewesen: Die SP muss nämlich eine Doppelvakanz neu besetzen. Bei der Nomination sprang sie über ihren eigenen Schatten und machte die Geschlechterfrage nicht zum entscheidenden Kriterium. Sie schickt mit Christoph Brutschin und Hans-Peter Wessels zwei Männer ins Rennen, zwei sichere Werte, die Wirtschaftskompetenz mitbringen.

Der rot-grün dominierten Regierung wird attestiert, in den letzten vier Jahren pragmatisch gearbeitet zu haben. Sie schaffte es, die staatliche Pensionskasse zu sanieren und sie gleiste Steuersenkungen auf. Es ist deshalb kaum ein Zufall, dass die “Basler Zeitung” schrieb, die Linken seien die “besseren Bürgerlichen”.

3. Parlamentswahlen interessieren nicht: Wenn es auf kantonaler Stufe überhaupt echte Wahlkämpfe gibt, werden diese um Regierungsratssitze ausgetragen. Bei Parlamentswahlen ist das nicht der Fall, es herrscht faktisch ein kaum überblickbares Jekami. In Basel-Stadt wurden nicht weniger als 829 Kandidierende angemeldet. Der Grosse Rat zählt neu noch 100 statt wie bisher 130 Mitglieder. Einige Bisherige müssen zwar um ihre Wiederwahl bangen, mehrere unter ihnen werden am Sonntagabend lange Gesichter machen. Das war bei den Parlamentsverkleinerungen in den Kantonen Bern, Solothurn, Aargau und St. Gallen nicht anders.

Die Wiederwahl der vier Bisherigen Eva Herzog (SP), Guy Morin (Grüne), Carlo Conti (CVP) und Christoph Eymann (Liberale) gilt als sicher. Bei Hanspeter Gass (FDP) trifft das, so die Auguren in Basel, nach seinen ersten zwei Regierungsjahren nicht zu. Es ist möglich, dass bei einem zweiten Wahlgang die Karten neu gemischt werden. Schafft es Gass im ersten Anlauf, einer der beiden Sozialdemokraten aber nicht, dürften die Bürgerlichen Morgenluft wittern.

Am Sonntagabend darf man gespannt nach Basel blicken. Es sind die ersten Wahlen in einer grossen Schweizer Stadt seit den eidgenössischen Wahlen vor elf Monaten. (BS ist ein Stadtkanton, ein Exgüsé nach Riehen und Bettingen.) Dabei interessiert insbesondere das Abschneiden von SP und SVP. Die SP, weil sie vor Jahresfrist eine historische Schlappe eingefangen hat und seither bei den kantonalen Wahlen in St. Gallen und Schwyz Federn lassen musste. Die SVP, weil sie seit der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat, dem angekündigten Oppositionskurs und der Abspaltung der BDP noch nicht wieder Tritt gefasst hat.

Gespannt sein darf man auf das Abschneiden der Grünliberalen, die erstmals antreten. Dass Sie im Rathaus einziehen, gilt als sicher. Die entscheidende Frage ist, wem sie Wähleranteile abzwacken. Gefährdet sind primär SP, FDP, Liberale sowie die Demokratisch-Soziale Partei (DSP), eine Abspaltung der SP.

Das Ergebnis der Grünliberalen, die sich womöglich im urbanen Raum etablieren, kann ein Signal sein für kommunale Wahlen in anderen Städten. Am 28. September in Biel, am 30. November in Bern.

Das Ergebnis der Basler Wahlen wird am Montagmorgen hier und im Wahlbistro von Meinungsforscher Claude Longchamp analysiert.

Foto: baz.ch

Ein Kampf gegen die Gezeiten

Mit einem Zufallsmehr entschied das Parlament im Kanton Graubünden, das Stimmrechtsalter bei 18 zu belassen. 45 Nein gegen 44 Ja lautete das Verdikt gestern Abend. Nicht weniger als 31 Volksvertreter waren zur vorgerückten Stunde bereits nicht mehr im Ratsaal.

Das Nein aus Chur ist praktisch irrelevant. Die Glarner Landsgemeinde entschied Anfang Mai, das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre zu reduzieren, letzte Woche folgte das Parlament im Kanton Bern. Noch diesen Sommer wird das Pendant in Basel-Stadt über dasselbe Thema debattieren und auch auf eidgenössischer Ebene wurde eine parlamentarische Initiative in Aussicht gestellt, die das Stimmrechtsalter 16 auf Bundesebene verlangt.

Die Welle ist ins Rollen geraten, aufzuhalten ist sie nicht mehr. Das Churer Nein ist ein Kampf gegen die Gezeiten. Ähnlich wie bei den Rauchverboten in Bars und Restaurants wird sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren Stimmrechtsalter 16 durchsetzen. Vorerst nur auf kantonaler Ebene, später womöglich auch auf nationaler Ebene. Und das ist auch gut so.

Auch wenn die Mehrheit der Jugendlichen apolitisch ist: Die Senkung von 18 auf 16 Jahre ist ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung. Revolutionär wäre Stimmrechtsalter 0, ein Vorstoss, der verschiedentlich (wieder) auf dem Tisch liegt. Flankierend müssen nun die Lehrpläne zügig angepasst werden. „Politische Bildung“ wie der ehemalige Staatskundeunterricht heute heisst, gehört aber vor allem auch vermehrt in die Ausbildung angehender Lehrpersonen.

Stimmrechtsalter 16 ist kein Wahlkampfschlager, aber ein sympathischer Versuch von mehrheitlich jungen SP-Mitgliedern, im Wahljahr zu punkten. Dass ein beachtlicher Teil der jungen Erstwähler sich der SVP zuwenden, haben sie vermutlich ausgeblendet. Die “liebe Manne und Froue” der SVP in den Parlamenten Berns und Graubündens allerdings auch. Sonst hätten sie womöglich nicht Nein gestimmt.

Mark Balsiger