Mit einem Zufallsmehr entschied das Parlament im Kanton Graubünden, das Stimmrechtsalter bei 18 zu belassen. 45 Nein gegen 44 Ja lautete das Verdikt gestern Abend. Nicht weniger als 31 Volksvertreter waren zur vorgerückten Stunde bereits nicht mehr im Ratsaal.
Das Nein aus Chur ist praktisch irrelevant. Die Glarner Landsgemeinde entschied Anfang Mai, das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre zu reduzieren, letzte Woche folgte das Parlament im Kanton Bern. Noch diesen Sommer wird das Pendant in Basel-Stadt über dasselbe Thema debattieren und auch auf eidgenössischer Ebene wurde eine parlamentarische Initiative in Aussicht gestellt, die das Stimmrechtsalter 16 auf Bundesebene verlangt.
Die Welle ist ins Rollen geraten, aufzuhalten ist sie nicht mehr. Das Churer Nein ist ein Kampf gegen die Gezeiten. Ähnlich wie bei den Rauchverboten in Bars und Restaurants wird sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren Stimmrechtsalter 16 durchsetzen. Vorerst nur auf kantonaler Ebene, später womöglich auch auf nationaler Ebene. Und das ist auch gut so.
Auch wenn die Mehrheit der Jugendlichen apolitisch ist: Die Senkung von 18 auf 16 Jahre ist ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung. Revolutionär wäre Stimmrechtsalter 0, ein Vorstoss, der verschiedentlich (wieder) auf dem Tisch liegt. Flankierend müssen nun die Lehrpläne zügig angepasst werden. „Politische Bildung“ wie der ehemalige Staatskundeunterricht heute heisst, gehört aber vor allem auch vermehrt in die Ausbildung angehender Lehrpersonen.
Stimmrechtsalter 16 ist kein Wahlkampfschlager, aber ein sympathischer Versuch von mehrheitlich jungen SP-Mitgliedern, im Wahljahr zu punkten. Dass ein beachtlicher Teil der jungen Erstwähler sich der SVP zuwenden, haben sie vermutlich ausgeblendet. Die “liebe Manne und Froue” der SVP in den Parlamenten Berns und Graubündens allerdings auch. Sonst hätten sie womöglich nicht Nein gestimmt.
Mark Balsiger