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Keine Frage: 36 liberale Berner SVPler haben am Montag einen Coup gelandet. Ihre Entschlossenheit kam überraschend. Jahrelang konnte man ihnen auf der Nase herumtanzen, sie mit Spott und Hohn übergiessen; stets duckten sie sich und schwiegen meistens zähneknirschend. Gleichzeitig profitierte die Partei von ihrem Spagat. Mit dem Rauswurf der Bündner Kantonalpartei platzte nun einigen Bernern aber der Kragen.
Das dezidierte Vorgehen bringt den Abtrünnigen viele Sympathien ein – nicht zuletzt seitens der Medien. Es kommt noch mehr Bewegung in die Parteienlandschaft, und die Leitfigur Blocher wähnen viele bereits auf dem Weg in die Versenkung. Hoffnung keimt auf. Kombiniert mit dem Frust, der sich jahrelang aufgestaut hat, kann daraus eine dynamische Bewegung entstehen.
Dynamik und einen langen Atem wird es brauchen, um einer neuen Partei Leben einzuhauchen. Auf gesamtschweizerischer Ebene sehe ich keinen Platz für eine neue liberal-bürgerliche Volkspartei. Die drei traditionellen bürgerlichen Parteien beackern dieses Feld seit jeher. Alle drei sind föderalistisch gewachsen, entsprechend unterschiedlich sind die Kantonalsektionen positioniert. In den meisten Kantonen käme eine neue Gruppierung den bestehenden Parteien ins Gehege. Zudem müsste sie Strukturen aufbauen. Das bedeutet Knochenarbeit – wer kann und will sie in unserem ausgeprägten Milizsystem leisten?
Fraktionsstärke dank Christian Waber von der EDU?
Ein wichtiger Etappenerfolg wäre eine eigene Fraktion auf eidgenössischer Ebene. Dafür stehen vier liberale SVP-Nationalräte bereit: Ursula Haller und Hans Grunder aus dem Kanton Bern, Brigitta Gadient und Hansjörg Hassler aus dem Kanton Graubünden. Nach einem fünften Mitstreiter wird gesucht, und das schon ziemlich lange. Der Berner EDU-Nationalrat Christian Waber könnte dem Quartett aus der Patsche helfen. Waber kehrte der SVP-Fraktion nach der „Schäfli“-Werbewalze den Rücken und politisiert seither alleine.
Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Ohne Fraktion schwindet der Einfluss unter der Bundeshauskuppel praktisch auf Null. Fraktionslosen ist das Mitarbeiten in den Kommissionen untersagt, sie erhalten auch kaum Redezeit während den Sessionen. Dazu kommt der Faktor Geld: Eine fünfköpfige Fraktion erhält pro Jahr insgesamt etwa 180’000 Franken. Ein fünfter Kompagnon muss also her, und das noch vor der Herbstsession.
Graubünden: Wahlsystem kommt gemässigten Kandidaten entgegen
Im Kanton Graubünden präsentiert sich die Situation komfortabler: Praktisch alle bekannten Mandatsträger gehörten bis am letzten Sonntag zum liberalen Flügel der SVP. Sie stehen in der Tradition der Bündner Demokraten, die bis zur Fusion mit der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) im Jahre 1971 existierten. Der Rauswurf aus der Mutterpartei gibt der neuen Bündner Gruppierung einen Märtyrerbonus. Dank viel Medienpräsenz und einer klaren Abgrenzung von der SVP Schweiz dürfte sie Neumitglieder anziehen.
Entscheidend sind aber die nächsten kantonalen Wahlen. Diese finden bereits im Frühling 2009 statt. Die neue liberal-bürgerliche Partei müsste auf Anhieb deutlich mehr als nur Fraktionsstärke erreichen (5 Sitze), alles andere wäre ein herber Rückschlag. In Graubünden wird das Parlament traditionell nach dem Majorzsystem gewählt. Das bedeutet, dass jeder Kandidat in seinem Wahlkreis eine Mehrheit erreichen muss. Dieses System bevorzugt die gemässigten Kräfte. Zudem wäre es psychologisch wichtig, dass die neue Partei einen ihrer beiden Sitze im Regierungsrat halten kann.
Bern: Neue Partei kann mehrere Tausend Mitglieder gewinnen
Im Kanton Bern ist die SVP die mit Abstand mächtigste Kraft. Sie bestimmt, salopp ausgedrückt, wo Gott hockt, und das schon seit mehr als 80 Jahren. In vielen Dörfern und Regionen gab es lange Zeit gar keine Alternative zur Volkspartei. Das hat den Kanton stark geprägt – bis heute. Die Berner Sektion ist mit 20’000 Mitgliedern die grösste Kantonalpartei der Schweiz. Der Coup der Abtrünnigen spaltet sie. Wie tief dieser Spalt geht, werden die nächsten Wochen zeigen.
Im Spätsommer dürfte im Kanton Bern die neue liberal-bürgerliche Partei gegründet werden. Wenn sie geschickt vorgeht, kann sie innerhalb weniger Monate mehrere Tausend Mitglieder gewinnen. Das gäbe ihr ein solides Fundament. Von den Abtrünnigen eignen sich sechs als formidable Identifikationsfiguren, die in verschiedenen Regionen des heterogenen Kantons zuhause sind: Ständerat Werner Luginbühl (Oberland), die beiden Nationalräte Ursula Haller (Thun) und Hans Grunder (Emmental), Regierungsrat Urs Gasche (Fraubrunnen) sowie Grossrat Heinz Siegenthaler (Seeland), bis vor wenigen Wochen Fraktionschef. Sie alle gelten als grundehrliche, eigenständige und integre Persönlichkeiten. Der sechste im Bunde ist – Samuel Schmid. Von der SVP-Basis wird er geschätzt, zum Teil sogar verehrt. Für sie ist er „üse Sämu“. Schmid verkörpert die lange Tradition des Berner SVP-Sitzes im Bundesrat, die 1929 mit dem legendären Rudolf „Rüedu“ Minger begonnen hatte.
Die Berner SVP hat seit Jahren punktuell andere Parolen gefasst als die Mutterpartei – vor allem in Fragen der aussenpolitischen Öffnung. Die liberal-bürgerliche Nachfolgepartei müsste diesen Kurs fortsetzen. Das reicht auf die Dauer aber kaum: Auch in anderen Politikfeldern braucht es eine klare Abgrenzung von der SVP. Inhaltlich käme sie damit wiederum der FDP sehr nahe, das schleckt keine Geiss weg. Die beiden entscheidenden Unterschiede zwischen diesen beiden Parteien lägen aber in ihrer Herkunft – und ihrer „Duftnote“.
Der Kanton Bern ist mentalitätsmässig ein Agrarkanton geblieben
Die FDP des Kantons Bern ist in den letzten 20 Jahren zu einer Elitepartei geworden. Dieser Tage strich sie in einem Communiqué heraus, dass sie „die Partei der Unternehmer“ sei. Das trifft zweifellos zu, sie ist aber auch die „Partei der Individualisten“, wie Kantonalpräsident Johannes Matyassy sich schon mehrfach ausdrückte. Die Freisinnigen fallen zudem mit ihrem Habitus auf. Dieser kontrastiert mit dem Selbstverständnis der anderen Bürgerlichen.
Die neue liberal-bürgerliche Partei kann reüssieren, wenn sie den richtigen Duft verströmt. Sie müsste eine Partei werden, die in breiten Teilen der bürgerlichen Bevölkerung Sympathien geniesst. Der Kanton Bern ist mentalitätsmässig ein Agrarkanton geblieben, der Bruch mit der Landwirtschaft wäre deshalb fatal. Ähnlich wichtig ist es, wie die abtrünnigen SVP-Mitglieder in den nächsten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit auftreten. Der Charme handgestrickter Kommunikation ist schnell einmal verflogen.
Mark Balsiger
Der Webauftritt der abtrünnigen Berner SVP-Mitglieder:
http://www.resolution-svp.ch/
Fotos: keystone