Die Nagelprobe für Toni Brunner

Im St. Galler Ständeratswahlkampf ist plötzlich Pfeffer drin: Die gestern angekündigte Kandidatur von Toni Brunner (svp) macht es möglich. Er ist der einzige aus den Reihen seiner Partei, der eine Wahlchance hat. Brunner ist populär, populistisch und dennoch sympathisch, er wirkt jugendlich und sitzt doch schon seit 12 Jahren im Nationalrat. 1995 wurde er, damals gerade 21-jährig, bereits gewählt. In der mit 63 Mitglieder grössten Bundeshausfraktion ist er heute der zweitjüngste, gleichzeitig aber einer der Amtsältesten.

Seit geraumer Zeit ist Brunner Vize-Präsident der SVP Schweiz und gilt als möglicher Nachfolger von Ueli Maurer. Seine Ständerats-Kandidatur ist eine echte Nagelprobe für ihn. Einfach nur mitmachen, um ebenfalls im medialen Scheinwerferlicht zu stehen, reicht nicht mehr aus. Der Druck auf Brunner ist gross. Die SVP St. Gallen ist in wenigen Jahren zur wählerstärksten Partei geworden – ein exemplarisches Beispiel für den schnellen Aufstieg dieser Partei, der vor allem zulasten der CVP ging. Genauso wie die Kantone Luzern oder Schwyz war St. Gallen während Jahrzehnten eine CVP-Hochburg, in der die Katholisch-Konservativen faktisch das alleinige Sagen hatten.

Sollte Toni Brunner nicht gewählt werden, verliert er sein Winner-Image und damit womöglich die Chance, Maurer als Parteipräsident zu beerben. Er ist laut seiner Partei „nicht die bürgerliche Alternative, sondern der einzige bürgerliche Kandidat“. Bei der CVP und FDP, die ihre Bisherigen ins Rennen schicken, Eugen David und Erika Forster, wird man diesen rhetorischen Klimmzug zur Kenntnis genommen haben. Beide sind moderate Bürgerliche, die in der Kleinen Kammer den Dialog und Kompromiss suchen. So, wie man sich das von Ständeratsmitgliedern gewöhnt ist.

Von der Zersplitterung der bürgerlichen Stimmen könnte die Kandidatin der SP, Kathrin Hilber, profitieren. Die Regierungspräsidentin ist populär und mehrheitsfähig. Auf diesen Vierkampf dürfen wir uns freuen. Umso besser, wenn es nicht nur um Persönlichkeiten geht, sondern auch um einen echten Austausch verschiedener politischer Konzepte.

Mark Balsiger

Ein Popstar auf dem Rütli

Während Jahrzehnten war die Glaubwürdigkeit das wichtigste Gut der Politik. Inzwischen ist es die mediale Aufmerksamkeit. Nur wer in den Medien stattfindet, hat eine Chance überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit ist unerbittlich. Das führt nicht selten zu einem symbiotischen Verhältnis von Politik und Medien.

Die Flut an echten und vermeintlichen News überrollt uns Konsumentinnen und Konsumenten. Die Medien, nicht nur diejenigen, die primär knackige Schlagzeilen, Bilder und damit Emotionen verbreiten, sind selber zu mächtigen Akteuren geworden. Auf den Redaktionen entscheidet oftmals nicht die Relevanz, was Thema wird, sondern was die Konkurrenz bringt. Dieser Mechanismus verschärft das Tempo, was kaum mehr Reflexion und Analyse ermöglicht. Die fiebrige Hatz nach Primeurs, höheren Auflagen und Einschaltquoten führt mitunter zu einem Hype und schliesslich zu einem Overkill, der das Publikum irritiert zurücklässt.

Die Recherche im Archiv der Schweizer Mediendatenbank zeigt: Zum Schlagwort „Rütli“ sind in der Zeitspanne vom 1. Mai bis zum 31. Juli nicht weniger als 1142 Artikel aufgeführt. Die Rütlifeier 2007 ist auch ein Lehrstück über die neue Logik der Medien. Morgen Sonntag wird das nächste Kapitel geschrieben, wenn die Glatzköpfe das Rütli in Beschlag nehmen – und sich vor vielen Kameralinsen produzieren dürfen.

Für die meisten Schweizerinnen und Schweizer ist das Rütli die Wiege der Nation, auch wenn das historisch nicht belegt werden kann. Für SVP-Präsident Ueli Maurer hingegen ist es eine „Wiese mit Kuhfladen“, eine Aussage, die sich als Bumerang entpuppt: Am 24. Juli 2005 sprach nämlich Bundesrat Christoph Blocher auf dem Rütli – vor mehr als Tausend Gästen, die seine Rede beklatschten.

Sicher ist, dass das Rütli in den letzten Wochen zu einer noch grösseren Projektionsfläche wurde. Es ist die Hauptbühne eines bislang ereignisarmen Wahljahres. Vielen Akteuren kommt das Gezänk über die Feier an einer derart symbolträchtigen und mythisch verklärten Stätte entgegen. Der Diskurs war im Nu emotional aufgeladen. Bei der Aussetzung des AHV-Mischindexes wäre das sehr viel schwieriger geworden.

Keine Frage, die 1.-August-Feier auf dem Rütli ist ein Wahlschlager. Micheline Calmy-Rey hat binnen weniger Wochen das ureigene Terrain der SVP erobert. Das war kein Husarenstreich, sie schaffte es mit einer Mischung aus sicherem Instinkt, Raffinesse, der ihr eigenen Hartnäckigkeit sowie mit der Unterstützung einiger Medien. Am 1. August hatte sie einen „triumphalen Auftritt“, titelte sogar die zurückhaltende „Neue Zürcher Zeitung“, und wurde gefeiert wie ein Popstar.

Die Inszenierung und Symbolisierung der Politik ist weiter fortgeschritten als viele glaubten. Bundesratsmitglieder sind heute die wichtigsten Köpfe ihrer Parteien, das Trennende wird betont, die Personalisierung weiter vorangetrieben. Bis vor wenigen Jahren zeigte sich der Sonderfall Schweiz wenigstens noch in der Ausprägung des Wahlkampfs. Tempi passati. Unser Land ist auch in dieser Hinsicht normal geworden.

Mark Balsiger

P.S.  Dieser Text ist als “Tribüne” in der Tageszeitung “Der Bund” vom 4. August 2007 erschienen. Er wurde auf Anfrage der Redaktion geschrieben.

Vom Schneemann und der Amerikanisierung

Der Videoclip ging letzte Woche um die Welt: Ein Schneemann fragte, ob sein Sohn trotz der Folgen des Klimawandels überleben werde. Die letzte Einstellung ist herzerweichend: Schneemanns Junior blickt mit grossen Kulleraugen in die Kamera. Millionen von Menschen haben diese Seuqenz inzwischen gesehen. Achtzehn Sekunden, die berühren.

Das Internet- und Video-Portal „Youtube“ machte die Verbreitung dieses Clips zum Kinderspiel. Er wurde an der ersten digitalen Debatte mit den demokratischen Präsidentschaftsanwärtern gezeigt. Hillary Clinton und ihre sieben Konkurrenten mussten des Schneemanns Frage live beantworten. Der Nachrichtensender CNN übertrug die Debatte mit den eingespielten Video-Fragen.

Das ist eine gelungene Form von Bürgerjournalismus, weil er Desinteressierte weckt. Tausende von Amerikanern nahmen die Herausforderung an, selber einen Videoclip zu produzieren, die originellsten wurden ausgewählt. Keine Frage, die erste digitale Debatte stellt eine Innovation im Wahlkampf dar. Und wie immer in den USA, ist eine Mischung aus Inhalten und Emotionen, Show und cleverem Marketing. Für uns republikanisch-zurückhaltende Schweizer ist diese Art Wahlkampf überzeichnet und fremd. Deswegen bedienen wir uns, wie bei jeder Innovation, schnell dem negativ besetzten Etikett „Amerikanisierung“ und lehnen sie ab.

Auch bei uns hat sich der Wahlkampf in den letzten 20 Jahren stark verändert. Früher reichten Versammlungen im „Bären“, die dauerhafte Beachtung der Parteiblätter und Plakate, um die eigene Klientel wachzurütteln. Inzwischen ist der Wahlkampf zu einer vielschichtigen Aufgabe geworden. Die Parteibindungen haben sich stark gelöst, der Wechselwähler wird umschwärmt, Verbände, Non-Profit-Organisationen und Bürgerbewegungen nehmen immer mehr an Bedeutung zu.

Die entscheidende Macht aber haben die Medien, die untereinander in einem gnadenlosen Verdrängungskampf stehen, übernommen. Sie diktieren das Tempo, sie diktieren, was Thema ist, sie diktieren, wer auftreten darf und wer totgeschwiegen wird. Wer sich den Gesetzen der so genannten Mediokratie anpasst, hat eine Chance. Die mehr als 400 Nationalrats-Kandidierenden des Kantons Bern können sich noch bis zum Wahltermin vom 21. Oktober in dieser Disziplin üben.

Mark Balsiger

P.S.  Dieser Beitrag wurde auf Anfrage des “Bieler Tagblatt” geschrieben und dort in der Ausgabe vom 3. August 2007 publiziert.

Mörgeli, unser aller Müllmann

Eine Glosse

Wahlkampf mit Abfall – kein Problem. Einer Sommerserie von „TeleZüri“ sei Dank. Der Privatsender begleitete Prominente, Missen, Schlagersternchen und Dreckwerfer bei ausgefallenen Tätigkeiten.

Christoph Mörgeli, Medizinhistoriker am Tropfe von Väterchen Staat, rakröhrender* Infanterist mit viel Erfahrung im Schützengraben und scharfen Schuss, Wunschschwiegersohn fast aller Mütter Helvetiens, Kolumnen schreibender Verdauungsregulator, agent provocateur für die Sache des Guten, Bauchredner von Christoph B. und Nationalrat der Volkspartei, hat für einmal sein Konfirmanden-Outfit gegen ein oranges Übergwändli eingetauscht und ging auf Ghüdertour. Quer durch „Downtown Switzerland“. Dieses Oeuvre wird uns am 1. August präsentiert – zwischen Fahnenschwung, zweitem Cervelat und den kahl geschorenen Patridioten, die die News der nächsten Tage dominieren werden.

„Für mich ist Müllmann eine ausgezeichnete Wahl“, findet Mörgeli. Kein Wunder, in der heutigen Ausgabe von „20Minuten“ ist er auf der Frontseite abgebildet. Gleich viermal. Und immer mit seinem angeborenen Grinsen. So viel Gratiswerbung hat in diesem Wahljahr noch kaum ein Kandidat erhalten. Gratulation auch an Tamedia: Das ist Konzernjournalismus, der mindestens bis zum Uetliberg hinauf stinkt.

Bern, heute Morgen im 9i-Tram: Ein Mann mittleren Alters greift nach einer Gratiszeitung, betrachtet die vier Fotos und meint zu seinem Kollegen nebenan: „E lueg, dr Mörgeli aus Ghüdermaa! Jitze hett dä ändlech sini wahri Beruefig gfunge.“

Mark Balsiger

* Für alle Frauen, Zivis, Pazifisten und Nicht-Schweizer: Das Rakrohr ist die Paradewaffe des Infanteristen.

Vom Neid in den eigenen Reihen

Reto Nause in einem Gratisblatt, wo er sich über die abgesenkten Pflastersteine der Berner Altstadt mokiert. Reto Nause in fast allen Tageszeitungen, wo er zum Angriff gegen die FDP-Doppelvertretung im Bundesrat bläst. Reto Nause im Fernsehen, wo er erklärt, weshalb seine CVP nun auch noch eine Wirtschaftspartei sein will.

Nause auf vielen Kanälen, er beherrscht die Schlagzeilen: Unermüdlich weibelt und wirbelt er für seine Partei – und für sich selbst. Ersteres ist normal, das gehört zu seiner Funktion als Generalsekretär, gerade in einem Wahljahr. Zweiteres sollte man ihm nicht verargen, die meisten Kandidaten schauen vor allem für sich.

Die Medienpräsenz Nauses ist enorm, die Kritik lässt nicht auf sich warten. Sie kommt auch aus den eigenen Reihen. Aber selbstverständlich getraut sich niemand, mit dem eigenen Namen hinzustehen. Das ist feige und typisch – und bei allen Parteien anzutreffen. Die gefährlichsten Gegner finden sich fast immer in den eigenen Reihen. Es sind Heckenschützen, oftmals Defätisten und kleinkrämerische Neider in korrekt gebügelten, karierten Hemden. Wehe, wenn einer nicht ganz der helvetischen Durchschnittsnorm entspricht, Ambitionen hat und auch noch offen dazu steht!

Ich beobachte Reto Nause seit nunmehr 15 Jahren. Er kämpft wie ein Löwe und ohne sich zu schonen. Seit sechs Jahren als Generalsekretär. Früher, damals noch als Student, für die Aargauer CVP. Stets steht er unter Hochspannung. „Ideengenerator“, „Euro-Turbo“, “Verpackungskünstler” oder „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“ – schon viele Etiketten wurden ihm verpasst. Meistens mit einer Mischung aus Bewunderung und leisem Spott. Mitunter sind seine Strategien nicht fertig gedacht, einzelne Aktionen waren in den Augen einiger Beobachter sauglatt. Aber Nause hat zwei Qualitäten, die ich bei vielen Politikern und Parteifunktionären vermisse: Biss und Leidenschaft.

Eben hat er im Kanton Bern mit 50 Getreuen „Die Liberalsozialen“ aus der Taufe gehoben. Klar, das ist ein Griff in die politische Trickkiste. Der Begriff „liberal“, ohnehin schon schwammig, wird seit geraumer Zeit strapaziert, dürfte aber ziehen. Sicher ist: Mit einer zusätzlichen Liste, die nicht nach CVP und Katholizismus riecht, lassen sich am 21. Oktober ein paar Tausend zusätzliche Stimmen generieren.

Vielleicht reicht das unter dem Strich, um der CVP-Stammliste, die mit den „Liberalsozialen“ eine Listenverbindung eingehen wird, den einzigen Sitz zu sichern. Der wackelt nämlich bedenklich, mehr noch als 1999 und 2003. Norbert Hochreuteners Sitz soll gesichert werden – darum gehts bei den „Liberalsozialen“. Vorläufig. Erst sekundär geht es auch um Nauses eigene Ambitionen. Er spekuliert auf einen Sitz in der Stadtberner Regierung. Doch davon später.

Mark Balsiger

P.S.  Um dem Verdacht von zu viel Nähe entgegenzutreten: Es trifft nicht zu, dass meine Agentur je ein Mandat aus den Bereichen Kampagne, Medienarbeit, Wahlkampf oder Werbung der CVP Schweiz erhalten hätte. Es trifft aber zu, dass ich mich seit 2002 etwa zweimal pro Jahr mit Reto Nause auf ein Bier treffe.

Fulvio Pelli: Die Ambitionen begraben – oder nur vorübergehend zurückgestellt?

FDP-Präsident Fulvio Pelli (56) habe seine Ambitionen auf einen Bundesratssitz begraben. Das sagte er gestern gegenüber Radio RSI. Es wäre nicht konsequent, wenn er eine Verjüngung der Landesregierung fordere, sich aber gleichzeitig um die Nachfolge von Bundesrat Pascal Couchepin bemühen würde.

Diese Ankündigung kommt nicht von ungefähr. Am Mittwoch hatte die FDP bekannt gemacht, dass Couchepin bei den Gesamterneuerungswahlen im Dezember nochmals antreten, die Legislaturperiode 2007-2011 aber vermutlich nicht beenden würde. Eine Frage, die sich ab sofort stellt: Wer soll auf Couchepin folgen? Periodisch wird sich die Medienschar auf die möglichen Nachfolger und Interessierten stürzen. Unter ihnen gilt die goldene Regel: Wer sich zu früh bewegt, ist weg vom Fenster.

Pelli ist gescheit – und clever dazu. Mit seinem „No“ zum richtigen Zeitpunkt entzieht er sich diesen „Kaffeesatz“-Geschichten – und nimmt sich aus dem Schussfeld. Sollte die FDP bei den Nationalratswahlen im Oktober erneut Wähleranteile verlieren, muss er vermutlich sein Präsidialamt abgeben. Vier Jahre später könnte er immer noch Dick Marty als  Ständerat ablösen.

Kann sich die FDP aber behaupten, bessert sich auch die Ausgangslage Pellis wieder. Klar ist nämlich, dass die Nachfolge von Pascal Couchepin aus der lateinischen Schweiz stammen muss. Dort ist die Personaldecke dünn: Die Langzeitkandidatin Marina Masoni (TI) ist nach ihrer Abwahl als Regierungsrätin kein Thema mehr, der shooting star der „Radicaux“, Pierre Maudet – im Frühjahr in die Regierung Genfs gewählt – noch zu jung. Zudem hat er sich mit der Abschaffung der direkten Bundessteuer FDP-intern einige Feinde geschaffen.

Aus heutiger Sicht bleiben nur zwei Anwärter übrig: Didier Burkhalter (NE) und… Fulvio Pelli. Wenn bei Couchepins Rücktritt auf Ende 2008 oder 2009 Not am Manne ist, dürfte er wie Phönix aus der Asche steigen.

Mark Balsiger

Von Bundesrat Pascal Couchepins halber Zusatzrunde und ganzen Rückziehern

Pascal Couchepin möchte also 2008 nochmals Bundespräsident werden. Wer will es ihm verargen. Mit seinem Entscheid, bei den Gesamterneuerungswahlen erneut anzutreten, beginnt sich die Ausgangslage für den 12. Dezember zu klären. Die FDP hat mit der eilends einberufenen Medienkonferenz auf die Kampfansage der CVP reagiert. Couchepin selber war nicht zugegen, sondern noch auf Dienstreise in Japan. Bitterböse der Kommentar in der „Südostschweiz“ von heute:

„Die FDP klammert sich lieber ebenso fantasielos wie berechnend an die Macht, als dass sie sich mutig zeigen und auf neue Bundesratsköpfe setzen würde.“

Couchepins Entscheid gibt der eigenen Partei in den nächsten Monate etwas mehr Ruhe und Luft. Einerseits werden bisherige Bundesräte nicht abgewählt – Ruth Metzler war vor dreieinhalb Jahren eine Ausnahme, weil  die SVP den Einzug ihres starken Mannes ultimativ forderte – und damit auch durchdrang. Christoph Blocher wurde auch dank den Stimmen von vielen FDP- und mehreren CVP-Parlamentariern gewählt.

Andererseits können sich mögliche Couchepin-Nachfolger in Position bringen: Im Vordergrund dürften Didier Burkhalter (NE) und… Fulvio Pelli (TI) stehen. Wenn die FDP allerdings bei den Nationalratswahlen erneut Wähleranteile verliert, wackelt der Sitz des Parteipräsidenten – und damit müsste er wohl auch seine eigenen Ambitionen begraben. Bundesratskarrieren lassen sich nicht planen – die grosse Ausnahme war… Pascal Couchepin!

Couchepin riskiert mit seiner Ankündigung, die nächste Legislatur nicht mehr zu beenden, zu einer lahmen Ente zu werden. Was das bedeutet, hat der Fall von Tony „lame duck“ Blair die letzten 12 Monate vor seinem Abgang aufgezeigt. Womöglich macht nun der Begriff “halber Bundesrat” erneut die Runde.

Zurück zur CVP: Nachdem sie am Wochenende einen cleveren Schachzug gemacht hatte, wurde sie bereits wieder konziliant und nimmt damit dem eigenen Angriff die Kraft. Schon haben sich die ersten CVP-Parlamentarier zu Wort gemeldet, die der FDP ihre Unterstützung zusagen. Man wähle doch keine amtierenden Bundesräte ab, lautet die Begründung. Generalsekretär Reto Nause wird sich die Haare raufen.

Mark Balsiger

Säbelrasseln für Fortgeschrittene

Plötzlich wird zum Angriff geblasen: Die CVP will im Dezember wieder zwei Sitze im Bundesrat. Dreieinhalb Jahre lang hiess es unisono und gebetsmühlenartig, dieses Ziel werde erst im Jahr 2011 wieder angepeilt. Die Verletzungen der Abwahl Ruth Metzlers gingen tief, ein Wähleranteil von nur noch 14,4 Prozent bei den Nationalratswahlen 2003 liess die Christlichdemokraten einen Reformprozess anstossen.

Offiziell wird die Offensive so begründet: Der Bundesrat verschleppe u.a. das von Wirtschaftsministerin Doris Leuthard (CVP) angeschlagene Tempo zur Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Folglich brauche es mehr Mitte in der Landesregierung. „Jetzt reichts“, sagten sie Generalsekretär Reto Nause und die Parteileitung der CVP. Eine knappe Medienmitteilung am Freitagabend, ergänzt von einer E-Card, die prominent auf der Website platziert wurde, bereitete den Boden. Der Text:

„Mit mehr CVP Bundesräten könnten die Handelshemmnisse aus dem Weg geräumt werden, an denen die heutige Mehrheit im Bundesrat festhält. Weitersagen!“

Die Sonntagsausgabe der „Südostschweiz“ machte den Angriff publik, die Agenturen zogen nach. Heute thematisieren Schweizer Radio DRS und viele Tageszeitungen die Wende – vom “Blick” bis zur NZZ. So wird dieser dünnen Geschichte ein beachtlicher Resonanzkörper verliehen. So generiert man die entscheidende Öffentlichkeit. So rasselt man mit dem Säbel.

Das Timing stimmt: Zufälligerweise hat das Sommerloch begonnen, zufälligerweise sind die Redaktionen ferienhalber schwächer dotiert und deshalb noch empfänglicher für ein solches Thema. Zufällig berichten Journalisten lieber über den echten oder vermeintlichen Sesseltanz im Bundesrat als über komplexe Dossiers.

Besonders herausgefordert ist die FDP, weil: Der CVP-Angriff richtet sich klar gegen sie. In der medialen Wahrnehmung wackelt der zweite FDP-Bundesratssitz am stärksten, dort ist die Nervosität grösser als anderswo. Die SP spielt ein wenig Schiedsrichter, die Grünen kokettieren weiterhin ein wenig mit einem eigenen Sitz, die Liberalen werden ein wenig mehr umschwärmt.

In den nächsten Tagen wird die Geschichte weitergeschrieben. Die Sommerpause ist noch lang. Ironie beiseite: Wenn durch diesen Schachzug eine echte Debatte angestossen wird und der Wahlkampf endlich auf Touren kommt, wäre das eine gute Entwicklung.
Mark Balsiger

Die Mär vom wirkungsvollen Strassenwahlkampf

In Wahljahren setzen Parteipräsidenten die Latte hoch. Offiziell. Das hat Tradition. Als Beispiel mag hier Irène Marti Anliker dienen, die Kantonalpräsidentin der Berner SP. Gestern Abend nannte sie die Ziele der Partei: zu den bisherigen acht Nationalratsmandaten ein neuntes im Berner Jura erobern und Ständerätin Simonetta Sommaruga „mit dem besten Wahlresultat“ bestätigen.

Zweiteres wird am 21. Oktober geschehen. Sommaruga hat sich seit ihrem Quereinstieg in die Politik den Ruf einer ausgesprochen dossiersicheren, sachlichen und moderaten Sozialdemokratin erarbeitet. Sie geniesst bis weit ins bürgerliche Lager viel Sympathie.

Der Sitzgewinn im Nationalrat hingegen ist ein frommer Wunsch. Die SP hat seit langem ein Mobilisierungsproblem, nicht nur, wenn soziale Themen weniger Gewicht haben. Keine andere Partei schöpft ihr Wählerpotenzial so schlecht aus wie die SP. Wenn die Wirtschaft boomt, akzentuiert sich dieses Problem noch. „Wir werden deshalb im Wahlherbst auf die Strasse gehen“, kündigte Marti Anliker an.

Das Bestreben ist sympathisch, bloss: Der Strassenwahlkampf taugt nicht, um Wählerstimmen zu generieren. Vor allem dann nicht, wenn ohne Strategie und Herzblut vorgegangen wird. Ein paar Mal für wenige Stunden Flugblätter verteilen und Give Aways aushändigen, hinterlässt keine Wirkung. Das verpufft wirkungslos, wie wir in unserem Buch ausführen, der Teil „Strassenwahlkampf“ ist auf unserer Website unter Leseproben aufgeschaltet.

Die Berner SP muss sich eher auf Verluste einstellen. Bei den Nationalratswahlen 1999 und 2003 konnte sie auf Simonetta Sommaruga als Zugpferd auf ihrer Frauenliste profitieren, was jeweils mehr als 100’000 Stimmen brachte. Diese werden im Herbst fehlen. Eine These, die sich auf Grund der Resultate bei den kantonalen Wahlen der letzten vier Jahre aufdrängt: Die SP verliert einen Sitz an die Grünen, allenfalls sogar zwei Sitze.

Im linken Lager wird es bei den eidgenössischen Wahlen schweizweit zu einer Umgruppierung kommen: Grün kannibalisiert Rot.

Mark Balsiger

Ein Kampf gegen die Gezeiten

Mit einem Zufallsmehr entschied das Parlament im Kanton Graubünden, das Stimmrechtsalter bei 18 zu belassen. 45 Nein gegen 44 Ja lautete das Verdikt gestern Abend. Nicht weniger als 31 Volksvertreter waren zur vorgerückten Stunde bereits nicht mehr im Ratsaal.

Das Nein aus Chur ist praktisch irrelevant. Die Glarner Landsgemeinde entschied Anfang Mai, das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre zu reduzieren, letzte Woche folgte das Parlament im Kanton Bern. Noch diesen Sommer wird das Pendant in Basel-Stadt über dasselbe Thema debattieren und auch auf eidgenössischer Ebene wurde eine parlamentarische Initiative in Aussicht gestellt, die das Stimmrechtsalter 16 auf Bundesebene verlangt.

Die Welle ist ins Rollen geraten, aufzuhalten ist sie nicht mehr. Das Churer Nein ist ein Kampf gegen die Gezeiten. Ähnlich wie bei den Rauchverboten in Bars und Restaurants wird sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren Stimmrechtsalter 16 durchsetzen. Vorerst nur auf kantonaler Ebene, später womöglich auch auf nationaler Ebene. Und das ist auch gut so.

Auch wenn die Mehrheit der Jugendlichen apolitisch ist: Die Senkung von 18 auf 16 Jahre ist ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung. Revolutionär wäre Stimmrechtsalter 0, ein Vorstoss, der verschiedentlich (wieder) auf dem Tisch liegt. Flankierend müssen nun die Lehrpläne zügig angepasst werden. „Politische Bildung“ wie der ehemalige Staatskundeunterricht heute heisst, gehört aber vor allem auch vermehrt in die Ausbildung angehender Lehrpersonen.

Stimmrechtsalter 16 ist kein Wahlkampfschlager, aber ein sympathischer Versuch von mehrheitlich jungen SP-Mitgliedern, im Wahljahr zu punkten. Dass ein beachtlicher Teil der jungen Erstwähler sich der SVP zuwenden, haben sie vermutlich ausgeblendet. Die “liebe Manne und Froue” der SVP in den Parlamenten Berns und Graubündens allerdings auch. Sonst hätten sie womöglich nicht Nein gestimmt.

Mark Balsiger