Von Boliden, Bierideen und Bubenträumen

Nach mehr als 50 Jahren Pause sollen in der Schweiz wieder Formel-1-Rennen möglich werden. Das entschied der Nationalrat diesen Morgen mit 97 zu 77 Stimmen. Der Zaungast kratzt sich am Kopf und fragt sich, wer da wieso mit überhöhtem Tempo in die Leitplanken gedonnert ist.

Formel-1-Rennen sind attraktiv, keine Frage. Millionen kleben jeweils weltweit an den Mattscheiben und fiebern mit. Von Umfragen wissen wir, dass viele auf Karambolagen und spektakuläre Unfälle hoffen. Das gebe den Rennen erst die nötige Würze.

Erderwärmung, schmelzende Gletscher, Ozonloch, Sommersmog, Feinstaub – alles bekannte Schlagwörter, die seit Jahren diskutiert werden. Fast allen dürfte inzwischen bekannt sein, dass die Hauptursache für diese Probleme beim Individualverkehr und den Heizungen liegt. Auf politischer Ebene wurde in dieser Legislatur intensiv über Klimaschutz und Co2-Reduktion debattiert – zögerlich folgten erste Gesetzesänderungen.

Und jetzt dieser Entscheid! Keine fünf Monate vor dem eidgenössischen Wahltag wird eine Bieridee mehrheitsfähig. Es gehe darum, „ein Stückchen Freiheit zurückzugewinnen“, lärmte einer am Rednerpult. „Ich geb’ Gas, ich will Spass“ – ein alter Gassenhauer meldet sich zurück. Die Grünen wiederum sagen danke. Dank diesem Steilpass werden sie am Wahltag einen noch grösseren Sieg einfahren können.

Ökologisch sind Formel-1-Rennen verwerflich. In der Schweiz kommt ein weiteres Problem dazu: Wo ist genügend Platz vorhanden, um eine Rundstrecke zu bauen? Auf einem halbwegs stillgelegten Militärflugplatz im Rhônetal? Um die Lagerhalle des bekanntesten Fuhrhalters in Rothrist inkl. Abstecher über das Härkinger Dreieck? Es hat nirgendwo genügend Platz. Zudem ist das Raumplanungsgesetz kaum zu knacken. Das wissen auch die Promotoren. Der Nationalrat hat über einen Bubentraum befunden, der gar nie Realität werden kann.

Mark Balsiger

Ihr Feedback zu unserem Buch

Der Wahlkampf ist in vollem Gange und brachte am letzten Sonntag im Kanton Zürich eine erste grosse Überraschung.

Wahlkampf Buchumschlag - Klicken für grössere FassungSie sind im Besitz von „Wahlkampf in der Schweiz – ein Handbuch für Kandidierende“. Hoffentlich arbeiten Sie damit und haben einzelne Kapitel oder sogar das ganze Buch schon gelesen.

Ihr Feedback ist uns wichtig. Schreiben Sie uns. Am einfachsten ginge das mit einem Blogeintrag auf dieser Seite. Wir sind gespannt auf Ihre Rückmeldungen, Ihre Kritik, aber auch Ihre persönlichen Erfahrungen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben.

Bislang haben wir rund 350 Exemplare verkauft. Beliefert wurden auch die Medien. Verschiedene Beiträge, die sich auf unsere Publikation beziehen, sind erschienen, zudem eine erste echte Rezension, verfasst von Claude Longchamp, Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern. Den gesamten Medienspiegel finden Sie hier.

Nochmals: Ihre Rückmeldungen sind uns sehr wichtig. Sie sind mitentscheidend, ob wir auch in diesem Wahljahr wieder eine grosse Befragung unter den Kandidierenden machen werden.

Mark Balsiger

Grünliberale: Die Bäumles wachsen nicht in den Himmel

Der Wahlerfolg der Grünliberalen in Zürich ist weiterhin ein zentrales Thema. Nur drei Jahre nach der Parteigründung fast 6 Prozent bzw. 10 Sitze zu erringen ist eine Sensation. Martin Bäumle, der einzige grünliberale Nationalrat, denkt euphorisiert und laut über die Gründung einer schweizerischen Partei nach.

Die erste Frage, die sich aufdrängt: Wie gross ist das Potenzial einer solchen Partei? Gerade in den urbanen Zentren könnte sie selbstbewusst eine Nische besetzen und ungebundene Wähler, aber auch Wechselwähler ansprechen. Menschen, die sich bei der SP nicht mehr zuhause fühlen, weil sie konservativ geworden ist und auf dem Status Quo beharrt. Menschen, die die FDP als heterogene Truppe, die primär für Partikulärinteressen kämpft, wahrnehmen.

Die zweite Frage: Wer würde den Grünliberalen beitreten? In anderen Ländern entstehen binnen weniger Monate neue kraftvolle Parteien. Nicht so in der Schweiz. Zu den grossen Parteien, die seit der Gründung des modernen Bundesstaats das Zepter führen, gesellten sich phasenweise Kleinparteien, die durchaus ein gewisses Gewicht und charismatische Persönlichkeiten in ihren Reihen hatten. Genannt seien hier der Landesring des Migros-Gründers Duttweiler, aber auch die POCH, die Nationale Aktion (James Schwarzenbach) und später die Autopartei. Alle sind sie wieder eingegangen, alle hatten sie Mühe, in der ganzen Schweiz Fuss zu fassen.

Dass die Grünliberalen Potenzial haben, zeigt der Fall Bern exemplarisch. Die Grüne Freie Liste (GFL), die sich Anfang der 1980er-Jahre aus dem Freisinn herauslöste, ist im Stadtparlament die drittstärkste Kraft. Bei den kantonalen Wahlen im Frühling 2006 holte sie im Wahlkreis der Stadt Bern 17,4 Wählerprozente. Damit hat sie sogar die FDP überflügelt. Diese Erfolgsgeschichte wurde ausserhalb der Bundesstadt kaum zur Kenntnis genommen.

Auf kantonaler Ebene fusionierte die GFL unlängst mit dem Grünen Bündnis, das stark gewerkschaftlich geprägt ist. Gemeinsam treten sie als „Grüne Bern“ auf. Und damit schwinden die Chancen für die Zürcher Grünliberalen, im Oktober Kollegen aus der deutschen Schweiz zu erhalten, wie der Schnee am Fusse des Aletschgletschers. Ausserhalb der beiden grössten Kantone Zürich und Bern ist es ungleich schwieriger, einen Sitz zu gewinnen. Im Kanton Aargau beispielsweise braucht es dafür einen Wähleranteil von rund 6 Prozent. Folglich ruhen die Hoffnungen auf der Romandie. In den Kantonen Neuenburg, Waadt und Wallis tritt die Bewegung “Ecologie libérale” mit eigenen Listen an. Wenn sie drei Sitze holen würde, käme das einer Sensation gleich.

Fazit: Der Erfolg der Grünliberalen bleibt vorerst ein Zürcher Phänomen. Im Herbst kann es sich in Zürich wiederholen. Mit demselben Wähleranteil wie am letzten Sonntag würde die Partei zwei Nationalratssitze holen. Verena Diener wiederum könnte in den Ständerat einziehen. Ihre Chancen sind intakt. Für viele Zürcherinnen und Zürcher ist das Duo Felix Gutzwiller und Verena Diener eine valable Option.

National hingegen wachsen für die Grünliberalen die Bäume nicht in den Himmel. Fraktionsstärke (5 Mandate im Nationalrat) zu erreichen wird sehr, sehr schwer werden. Martin Bäumle, der aus der grünen Fraktion ausgetreten ist, musste die letzten drei Jahre erleben, wie hart das Brot als Einzelkämpfer ist – und wie klein der Einfluss. Womit wir bei einer gerade bei den Grünen oft gestellten Frage sind: Was nützen uns die Wahlerfolge, wenn wir die politische Marschrichtung nicht stärker beeinflussen können?

Mark Balsiger

Jetzt wird die Ernte eingefahren

Die kantonalen Wahlen von Zürich haben traditionell einen Sonderstatus. Aus drei Gründen:

  • Der letzte Test: Die Zürcher Wahlen sind die letzten auf kantonaler Ebene vor den eidgenössischen Wahlen
  • Das demografische Gewicht: Jeder siebte Mensch in diesem Land lebt im Kanton Zürich
  • Die geballte Medienmacht: Zürich ist die Medienhauptstadt der Schweiz, was sich auch in der überproportionalen Beachtung der Zürcher Politik niederschlägt

SP-Präsident Martin Naef wird heute Morgen mit einem Kater aufgestanden sein. Der Verlust von 7,2 Wählerprozenten ist für die SP dramatisch, ein Erdrutsch von historischem Ausmass. Die Gründe waren wie immer schnell genannt. Sieger und Verlierer rühren im Kaffeesatz und mischen dabei Mutmassungen und Thesen mit den wenigen Fakten, die zurzeit vorliegen.

Vorerst ein Faktum: Die Grünen legten in den letzten vier Jahren in allen Kantonen zu. Der Zürcher Grosserfolg ist die glanzvolle Bestätigung, ja eine veritable Sensation dieses Trends. Dieser klare Trend wird in den nächsten Tagen und Wochen zu einem Hype führen: „Grün gewinnt!“, Ruth Genner auf allen Kanälen, ein grüner Bundesratssitz rücke in Greifweite und so weiter und so fort. Das ist beste Gratiswerbung, die auch mit viel Geld nicht annährend zu erreichen wäre.

Die Grünen profitieren vom so genannten „bandwagon effect“. Vereinfacht: Der Mensch will zu den Gewinnern gehören. Wer im Herbst sicher gewinnen will, muss grün wählen. Diese Verkürzung wird den Grünen am 21. Oktober einen Wähleranteil von 10 bis 11 Prozent (heute 7,3 Prozent) und zusätzliche Sitze bescheren. Ihr Elektorat besteht aus jungen Neuwählern, vor allem aber Wechselwählern, die früher der FDP oder SP ihre Stimme gaben.

Die Grünen fahren in diesem Jahr die Ernte für ihre konsequente Arbeit ein. Ihre Positionen sind in der öffentlichen Wahrnehmung klar. Das gibt Profil und wird sie im Oktober zu den Siegern machen – zusammen mit der SVP. Die Medien werden auf dieser Erfolgswelle mitreiten und so den Wahlkampf der Grünen zusätzlich befeuern. Mediale Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zum elektoralen Erfolg.

Mark Balsiger

Die Türe zugeknallt, und doch einen Spalt weit offen gelassen

Nach zwölf Jahren ist Schluss: Franco Cavalli (Foto) hat heute seinen Rücktritt bekannt gegeben. Damit verliert der Nationalrat eine kantige, wenn nicht sogar schillernde Persönlichkeit.

Zunächst ist das einfach schade. Cavalli ist schnell, klug, und das Debattieren mit Herzblut, Schärfe und raumgreifender Gestik war ihm gegeben. Einmal in Hochform konnte man ihn kaum mehr bremsen. Cavalli ist aber auch konsequent, ein Politiker und Mensch, der vorlebt, wofür er mit Vehemenz eintritt.

Dass es ruhiger um ihn geworden ist, seit er das Fraktionspräsidium abgegeben hat, steht auf einem anderen Blatt. Im Rückblick scheint es, dass er sich nach dem brutalen Nein zur Gesundheitsinitiative im Mai 2003, für die er wie ein Löwe kämpfte, sukzessive zurückgezogen hatte.

Cavalli wäre nicht Cavalli, wenn er seine Rücktrittsmeldung nicht lautstark inszeniert hätte. In der Zeitung „La Regione Ticino“ mokiert es sich über die „Harmoniesucht“, an der seine Partei leide: „Die SP ist eine faule Funktionärspartei geworden.“ Das ist starker Tobak. Und Gift für die Genossen in einem eidgenössischen Wahljahr.

Sein Rücktritt wird morgen den Blätterwald ins Rauschen bringen, seine knackigen Zitate dürften bis zum Wahltag am 21. Oktober immer wieder gebraucht werden. Willkommene Munition für die politischen Gegner. Im Generalsekretariat schliesslich ist man froh, dass der Unbequeme endlich abtritt. Ein klares Indiz dafür: Eine Würdigung, wie sonst üblich, hat die Parteizentrale bislang nicht via Communiqué verbreitet.

Franco Cavalli sagt, er habe den Enthusiasmus verloren. Gleichzeitig schliesst er, demnächst 65-jährig, eine Kandidatur für den Ständerat nicht aus. Wie das zusammenpassen soll, bleibt sein Geheimnis. Mit dieser Ankündigung versucht er, der nichts zu verlieren hat, seine Chancen auszuloten. Bloss: Das Türenknallen von heute wird nachhallen. Für den Wechsel ins Stöckli war das nicht der richtige Ton.

Mark Balsiger

Der Schweizer Medienminister bloggt

Weltweit werden täglich gegen 100’000 neue Weblogs aufgeschaltet. Es bleibt zu vermuten, dass ebenso viele stillschweigend wieder vom Netz genommen werden – oder unbemerkt einschlummern.

Seit gestern hat die Schweizer Blogosphere ein prominentes Neumitglied: Moritz Leuenberger. Lobenswert, dass er sich diesem Medium persönlich annimmt und interaktive Diskussionen anstossen will . Ob damit die „politische Diskussion verbessert“ wird, wie er sich das wünscht – wir hoffen es.

Gegen 4000 Besuche und fast 300 Kommentare nach nur zwölf Stunden auf seinem Blog – ein Einstieg nach Mass. Auch der Niederschlag in den Tageszeitungen ist gross. Von „heute“ bis zur „NZZ“ greifen alle das Thema auf. Von sachlich nüchtern bis versucht süffisant („Ich, Moritz Bloggenberger“).

Womit wir beim Kern des Sache angelangt sind: Blogs erreichen, zumindest in unserem Land, nur dann eine gewisse Relevanz, wenn die etablierten Medien darüber berichten. Bundesrat Leuenberger ist das geglückt, kraft seiner Funktion.

Alle anderen, vorab die Kandidatinnen und Kandidaten, die um Aufmerksamkeit buhlen, werden im ganzen Jahr nicht so viele Besucher und Kommentare auf ihre individuellen Weblogs bringen, wie er binnen weniger Stunden. Das dürfte Neid erzeugen. Und massenweise Anfragen, ob der eigene Blog nicht mit demjenigen von Leuenberger verlinkt werden könnte. Der Erfolg hängt von der Anzahl Links ab, die im Netz auf sie aufmerksam machen.

Keine Zweifel: In der nächsten Fragestunde des Bundesrats, vermutlich noch in der laufenden Frühjahressession, wird Leuenbergers Blogger-Tätigkeit thematisiert werden. Ob er die Einträge in seiner Freizeit schreibe oder ob das zu den neuen Kernaufgaben eines Medienministers gehöre, könnte eine mögliche Frage lauten. Vermutlich ist sogar mit Vorstössen zu rechnen. Auch darüber dürfte wieder berichtet werden. Wir merken: Es geht um Aufmerksamkeit à tout prix, schliesslich sind wir in einem eidgenössischen Wahljahr.

Mark Balsiger

Neun Monate vor dem Wahltag: eine Empfehlung für den besseren Wahlkampf

Betriebsamkeit in den Parteizentralen: Sie rüsten auf für den Kampf. Gerangel, wo Sitze frei werden. Nervosität allüberall. Einmal mehr scheint es allerdings ein Wahlkampf zu werden, in dem Christoph Blocher die Hauptrolle spielt. Seine Partei will es so. Die SP offenbar auch. Das macht es für die Kandidatinnen und Kandidaten noch schwerer. Schade. Sie und die Parteiprogramme sollten im Brennpunkt stehen.

Gerade vor wichtigen Wahlterminen wird gerne und ausgiebig im Kaffeesatz gerührt. Das hilft selten weiter. Ich ziehe deshalb eine Analyse der letzten Nationalratswahlen vor. Sie basiert auf einer Befragung, die in dieser Quantität und Tiefe vermutlich unerreicht ist. Drei Aspekte sollen hier näher betrachtet werden: Geschlossenheit, Themen und Mitteleinsatz.

Wer seit Jahren klare Positionen vertritt und diese auch verkaufen kann, wer seine besten Leute konsequent ins Schaufenster stellt, die Bedürfnisse der Medien verinnerlicht und die Lehren aus früheren Wahlkämpfen gezogen hat, schläft bis zum Showdown am 21. Oktober ruhiger. Die Kurzformel der permanenten Kampagnenführung lautet: Profil, Köpfe, Medienpräsenz, Lernfähigkeit.

Das geschlossene Auftreten einer Partei im Parlament und bei Volksabstimmungen hat in der Schweiz keine Tradition. „Whips“ wie in Grossbritannien, also die Einpeitscher, gibt es bei uns nicht. Die meisten Politiker fühlen sich primär ihrer Wählerschaft verpflichtet. Das kann dazu führen, dass von derselben Partei die Zentralschweizer Sektionen eine Arie von Verdi intonieren, die Mitglieder aus Zürich hingegen einen Rap. Das Publikum mag die Kakophonie aber nicht und wendet sich ab. Das ist gravierend: Die Positionen der Parteien sind nämlich das Fundament für die Kandidierenden. Wo dieses Fundament solid ist, sind individuelle Wahlerfolge leichter zu erringen. Wer für eine Partei mit schwammigem Profil antritt, kann immer wieder aus dem Gleichgewicht geraten.

Die meisten Schweizer sind Ottos

In jeder Kampagnenstrategie in Grossbritannien und den USA findet man mit Sicherheit eine Kernaussage: „message discipline“, die Botschaft muss stets dieselbe sein. Am besten über Jahre hinweg. Auch deswegen hat die SVP Erfolg. Inzwischen kann jeder Gymnasiast das Programm dieser Partei herunterbeten. Da weiss man, was man hat. Ähnlich gut positioniert sind die Grünen. Sie legen seit fünf Jahren bei den kantonalen Wahlen zu – Fortsetzung folgt.

Der geschlossene Auftritt gibt ein klares Profil, und Otto Normalverbraucher, der täglich 20 Minuten Zeitung liest, sonst aber dem politischen Diskurs fernbleibt, wird nicht regelmässig irritiert. Er kann nachvollziehen, welche Partei wofür einsteht. Machen wir uns nichts vor: Die meisten Schweizer sind Ottos. Die Parteien müssen sich ihnen und den veränderten Bedürfnissen der Medien anpassen – nicht umgekehrt. Das wurde im Wahlkampf 2003 teilweise ausgeblendet.

Bei der Selektion der Themen besteht die Gefahr, dass sich eine Partei verzettelt. Entscheidend ist aus der heutigen Medienlogik, wer die Themenführerschaft hat. Das blosse Mitreden wird im medialen Grundrauschen nicht mehr gehört. Dazu kommt, dass bei eidgenössischen Wahlen die Kantone zwar die Wahlkreise darstellen. Faktisch jedoch haben die Kantonsgrenzen seit den 1990er Jahren keine Bedeutung mehr. Ein paar wenige Leaderfiguren dominieren schweizweit die politische Arena.

Die Parteien wiederum sind in der Regel zu schwach, um eigene Themen zu setzen. Es brauchte einen Kraftakt, um die Abzockerlöhne der Topmanager auf die Agenda zu bringen. Was Thema ist, wird seit 1999 grundsätzlich durch Meinungsumfragen bestimmt. Diese Steilpässe kann man aufnehmen oder zuschauen, wie andere die Tore schiessen.

Giesskannenprinzip statt klare Schwerpunkte

Die Chancen auf eine Wahl in den Nationalrat, hängen stark vom Budget ab. Obwohl – oder gerade weil – die finanziellen Mittel bislang selten gezielt eingesetzt wurden. Bei den Nationalratswahlen 2003 fehlten den meisten Kampagnen der rote Faden und die Schwerpunkte. Auch die aussichtsreichen Kandidierenden setzten nach dem Giesskannenprinzip auf praktisch alle Mittel und Massnahmen.

Die Gründe für dieses Vorgehen: Die Analysen waren ungenügend, der Wahlkampf wurde zu spät in Angriff genommen und meistens fehlte die Sicht von aussen. Entscheidend ist nicht, was der härteste Konkurrent plant oder die Parteipräsidentin sagt. Entscheidend ist, wie Otto Normalverbraucher auf die Bemühungen anspricht. Das wissen Spezialisten, sie können einschätzen, wie Otto denkt, fühlt und wählt.

Die Schweiz ist kein Sonderfall mehr, das gilt inzwischen auch für den Wahlkampf. Erfolgreiche Kampagnentechniken aus dem angelsächsischen Raum halten bei uns Einzug, mit der üblichen Verzögerung. Es lohnt sich, sie nicht zu verteufeln, sondern anzuwenden – adaptiert auf eine Art, die in unserem Land verträglich ist. Schliesslich sollten sich Politiker damit arrangieren, dass nicht mehr sie den Takt angeben, sondern die Medien. Wer weiss, was die Medien wollen, ist kein „Non-Valeur“ und geht nicht unter wie die „Titanic“. Wer sich den Bedürfnissen der Medien anpasst, bleibt auf Deck – und mit etwas Können auch im Scheinwerferlicht.

Mark Balsiger