Jetzt wird die Ernte eingefahren

Die kantonalen Wahlen von Zürich haben traditionell einen Sonderstatus. Aus drei Gründen:

  • Der letzte Test: Die Zürcher Wahlen sind die letzten auf kantonaler Ebene vor den eidgenössischen Wahlen
  • Das demografische Gewicht: Jeder siebte Mensch in diesem Land lebt im Kanton Zürich
  • Die geballte Medienmacht: Zürich ist die Medienhauptstadt der Schweiz, was sich auch in der überproportionalen Beachtung der Zürcher Politik niederschlägt

SP-Präsident Martin Naef wird heute Morgen mit einem Kater aufgestanden sein. Der Verlust von 7,2 Wählerprozenten ist für die SP dramatisch, ein Erdrutsch von historischem Ausmass. Die Gründe waren wie immer schnell genannt. Sieger und Verlierer rühren im Kaffeesatz und mischen dabei Mutmassungen und Thesen mit den wenigen Fakten, die zurzeit vorliegen.

Vorerst ein Faktum: Die Grünen legten in den letzten vier Jahren in allen Kantonen zu. Der Zürcher Grosserfolg ist die glanzvolle Bestätigung, ja eine veritable Sensation dieses Trends. Dieser klare Trend wird in den nächsten Tagen und Wochen zu einem Hype führen: „Grün gewinnt!“, Ruth Genner auf allen Kanälen, ein grüner Bundesratssitz rücke in Greifweite und so weiter und so fort. Das ist beste Gratiswerbung, die auch mit viel Geld nicht annährend zu erreichen wäre.

Die Grünen profitieren vom so genannten „bandwagon effect“. Vereinfacht: Der Mensch will zu den Gewinnern gehören. Wer im Herbst sicher gewinnen will, muss grün wählen. Diese Verkürzung wird den Grünen am 21. Oktober einen Wähleranteil von 10 bis 11 Prozent (heute 7,3 Prozent) und zusätzliche Sitze bescheren. Ihr Elektorat besteht aus jungen Neuwählern, vor allem aber Wechselwählern, die früher der FDP oder SP ihre Stimme gaben.

Die Grünen fahren in diesem Jahr die Ernte für ihre konsequente Arbeit ein. Ihre Positionen sind in der öffentlichen Wahrnehmung klar. Das gibt Profil und wird sie im Oktober zu den Siegern machen – zusammen mit der SVP. Die Medien werden auf dieser Erfolgswelle mitreiten und so den Wahlkampf der Grünen zusätzlich befeuern. Mediale Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zum elektoralen Erfolg.

Mark Balsiger

Die Türe zugeknallt, und doch einen Spalt weit offen gelassen

Nach zwölf Jahren ist Schluss: Franco Cavalli (Foto) hat heute seinen Rücktritt bekannt gegeben. Damit verliert der Nationalrat eine kantige, wenn nicht sogar schillernde Persönlichkeit.

Zunächst ist das einfach schade. Cavalli ist schnell, klug, und das Debattieren mit Herzblut, Schärfe und raumgreifender Gestik war ihm gegeben. Einmal in Hochform konnte man ihn kaum mehr bremsen. Cavalli ist aber auch konsequent, ein Politiker und Mensch, der vorlebt, wofür er mit Vehemenz eintritt.

Dass es ruhiger um ihn geworden ist, seit er das Fraktionspräsidium abgegeben hat, steht auf einem anderen Blatt. Im Rückblick scheint es, dass er sich nach dem brutalen Nein zur Gesundheitsinitiative im Mai 2003, für die er wie ein Löwe kämpfte, sukzessive zurückgezogen hatte.

Cavalli wäre nicht Cavalli, wenn er seine Rücktrittsmeldung nicht lautstark inszeniert hätte. In der Zeitung „La Regione Ticino“ mokiert es sich über die „Harmoniesucht“, an der seine Partei leide: „Die SP ist eine faule Funktionärspartei geworden.“ Das ist starker Tobak. Und Gift für die Genossen in einem eidgenössischen Wahljahr.

Sein Rücktritt wird morgen den Blätterwald ins Rauschen bringen, seine knackigen Zitate dürften bis zum Wahltag am 21. Oktober immer wieder gebraucht werden. Willkommene Munition für die politischen Gegner. Im Generalsekretariat schliesslich ist man froh, dass der Unbequeme endlich abtritt. Ein klares Indiz dafür: Eine Würdigung, wie sonst üblich, hat die Parteizentrale bislang nicht via Communiqué verbreitet.

Franco Cavalli sagt, er habe den Enthusiasmus verloren. Gleichzeitig schliesst er, demnächst 65-jährig, eine Kandidatur für den Ständerat nicht aus. Wie das zusammenpassen soll, bleibt sein Geheimnis. Mit dieser Ankündigung versucht er, der nichts zu verlieren hat, seine Chancen auszuloten. Bloss: Das Türenknallen von heute wird nachhallen. Für den Wechsel ins Stöckli war das nicht der richtige Ton.

Mark Balsiger

Der Schweizer Medienminister bloggt

Weltweit werden täglich gegen 100’000 neue Weblogs aufgeschaltet. Es bleibt zu vermuten, dass ebenso viele stillschweigend wieder vom Netz genommen werden – oder unbemerkt einschlummern.

Seit gestern hat die Schweizer Blogosphere ein prominentes Neumitglied: Moritz Leuenberger. Lobenswert, dass er sich diesem Medium persönlich annimmt und interaktive Diskussionen anstossen will . Ob damit die „politische Diskussion verbessert“ wird, wie er sich das wünscht – wir hoffen es.

Gegen 4000 Besuche und fast 300 Kommentare nach nur zwölf Stunden auf seinem Blog – ein Einstieg nach Mass. Auch der Niederschlag in den Tageszeitungen ist gross. Von „heute“ bis zur „NZZ“ greifen alle das Thema auf. Von sachlich nüchtern bis versucht süffisant („Ich, Moritz Bloggenberger“).

Womit wir beim Kern des Sache angelangt sind: Blogs erreichen, zumindest in unserem Land, nur dann eine gewisse Relevanz, wenn die etablierten Medien darüber berichten. Bundesrat Leuenberger ist das geglückt, kraft seiner Funktion.

Alle anderen, vorab die Kandidatinnen und Kandidaten, die um Aufmerksamkeit buhlen, werden im ganzen Jahr nicht so viele Besucher und Kommentare auf ihre individuellen Weblogs bringen, wie er binnen weniger Stunden. Das dürfte Neid erzeugen. Und massenweise Anfragen, ob der eigene Blog nicht mit demjenigen von Leuenberger verlinkt werden könnte. Der Erfolg hängt von der Anzahl Links ab, die im Netz auf sie aufmerksam machen.

Keine Zweifel: In der nächsten Fragestunde des Bundesrats, vermutlich noch in der laufenden Frühjahressession, wird Leuenbergers Blogger-Tätigkeit thematisiert werden. Ob er die Einträge in seiner Freizeit schreibe oder ob das zu den neuen Kernaufgaben eines Medienministers gehöre, könnte eine mögliche Frage lauten. Vermutlich ist sogar mit Vorstössen zu rechnen. Auch darüber dürfte wieder berichtet werden. Wir merken: Es geht um Aufmerksamkeit à tout prix, schliesslich sind wir in einem eidgenössischen Wahljahr.

Mark Balsiger

Neun Monate vor dem Wahltag: eine Empfehlung für den besseren Wahlkampf

Betriebsamkeit in den Parteizentralen: Sie rüsten auf für den Kampf. Gerangel, wo Sitze frei werden. Nervosität allüberall. Einmal mehr scheint es allerdings ein Wahlkampf zu werden, in dem Christoph Blocher die Hauptrolle spielt. Seine Partei will es so. Die SP offenbar auch. Das macht es für die Kandidatinnen und Kandidaten noch schwerer. Schade. Sie und die Parteiprogramme sollten im Brennpunkt stehen.

Gerade vor wichtigen Wahlterminen wird gerne und ausgiebig im Kaffeesatz gerührt. Das hilft selten weiter. Ich ziehe deshalb eine Analyse der letzten Nationalratswahlen vor. Sie basiert auf einer Befragung, die in dieser Quantität und Tiefe vermutlich unerreicht ist. Drei Aspekte sollen hier näher betrachtet werden: Geschlossenheit, Themen und Mitteleinsatz.

Wer seit Jahren klare Positionen vertritt und diese auch verkaufen kann, wer seine besten Leute konsequent ins Schaufenster stellt, die Bedürfnisse der Medien verinnerlicht und die Lehren aus früheren Wahlkämpfen gezogen hat, schläft bis zum Showdown am 21. Oktober ruhiger. Die Kurzformel der permanenten Kampagnenführung lautet: Profil, Köpfe, Medienpräsenz, Lernfähigkeit.

Das geschlossene Auftreten einer Partei im Parlament und bei Volksabstimmungen hat in der Schweiz keine Tradition. „Whips“ wie in Grossbritannien, also die Einpeitscher, gibt es bei uns nicht. Die meisten Politiker fühlen sich primär ihrer Wählerschaft verpflichtet. Das kann dazu führen, dass von derselben Partei die Zentralschweizer Sektionen eine Arie von Verdi intonieren, die Mitglieder aus Zürich hingegen einen Rap. Das Publikum mag die Kakophonie aber nicht und wendet sich ab. Das ist gravierend: Die Positionen der Parteien sind nämlich das Fundament für die Kandidierenden. Wo dieses Fundament solid ist, sind individuelle Wahlerfolge leichter zu erringen. Wer für eine Partei mit schwammigem Profil antritt, kann immer wieder aus dem Gleichgewicht geraten.

Die meisten Schweizer sind Ottos

In jeder Kampagnenstrategie in Grossbritannien und den USA findet man mit Sicherheit eine Kernaussage: „message discipline“, die Botschaft muss stets dieselbe sein. Am besten über Jahre hinweg. Auch deswegen hat die SVP Erfolg. Inzwischen kann jeder Gymnasiast das Programm dieser Partei herunterbeten. Da weiss man, was man hat. Ähnlich gut positioniert sind die Grünen. Sie legen seit fünf Jahren bei den kantonalen Wahlen zu – Fortsetzung folgt.

Der geschlossene Auftritt gibt ein klares Profil, und Otto Normalverbraucher, der täglich 20 Minuten Zeitung liest, sonst aber dem politischen Diskurs fernbleibt, wird nicht regelmässig irritiert. Er kann nachvollziehen, welche Partei wofür einsteht. Machen wir uns nichts vor: Die meisten Schweizer sind Ottos. Die Parteien müssen sich ihnen und den veränderten Bedürfnissen der Medien anpassen – nicht umgekehrt. Das wurde im Wahlkampf 2003 teilweise ausgeblendet.

Bei der Selektion der Themen besteht die Gefahr, dass sich eine Partei verzettelt. Entscheidend ist aus der heutigen Medienlogik, wer die Themenführerschaft hat. Das blosse Mitreden wird im medialen Grundrauschen nicht mehr gehört. Dazu kommt, dass bei eidgenössischen Wahlen die Kantone zwar die Wahlkreise darstellen. Faktisch jedoch haben die Kantonsgrenzen seit den 1990er Jahren keine Bedeutung mehr. Ein paar wenige Leaderfiguren dominieren schweizweit die politische Arena.

Die Parteien wiederum sind in der Regel zu schwach, um eigene Themen zu setzen. Es brauchte einen Kraftakt, um die Abzockerlöhne der Topmanager auf die Agenda zu bringen. Was Thema ist, wird seit 1999 grundsätzlich durch Meinungsumfragen bestimmt. Diese Steilpässe kann man aufnehmen oder zuschauen, wie andere die Tore schiessen.

Giesskannenprinzip statt klare Schwerpunkte

Die Chancen auf eine Wahl in den Nationalrat, hängen stark vom Budget ab. Obwohl – oder gerade weil – die finanziellen Mittel bislang selten gezielt eingesetzt wurden. Bei den Nationalratswahlen 2003 fehlten den meisten Kampagnen der rote Faden und die Schwerpunkte. Auch die aussichtsreichen Kandidierenden setzten nach dem Giesskannenprinzip auf praktisch alle Mittel und Massnahmen.

Die Gründe für dieses Vorgehen: Die Analysen waren ungenügend, der Wahlkampf wurde zu spät in Angriff genommen und meistens fehlte die Sicht von aussen. Entscheidend ist nicht, was der härteste Konkurrent plant oder die Parteipräsidentin sagt. Entscheidend ist, wie Otto Normalverbraucher auf die Bemühungen anspricht. Das wissen Spezialisten, sie können einschätzen, wie Otto denkt, fühlt und wählt.

Die Schweiz ist kein Sonderfall mehr, das gilt inzwischen auch für den Wahlkampf. Erfolgreiche Kampagnentechniken aus dem angelsächsischen Raum halten bei uns Einzug, mit der üblichen Verzögerung. Es lohnt sich, sie nicht zu verteufeln, sondern anzuwenden – adaptiert auf eine Art, die in unserem Land verträglich ist. Schliesslich sollten sich Politiker damit arrangieren, dass nicht mehr sie den Takt angeben, sondern die Medien. Wer weiss, was die Medien wollen, ist kein „Non-Valeur“ und geht nicht unter wie die „Titanic“. Wer sich den Bedürfnissen der Medien anpasst, bleibt auf Deck – und mit etwas Können auch im Scheinwerferlicht.

Mark Balsiger