“YouTube”-Filmchen ab – die Langweile beginnt

Eine der Neuerungen im Wahlkampf sind die Videobotschaften bzw. Videoblogs, oftmals kurz Vlogs genannt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt regelmässig in dieser Form an die virtuelle Öffentlichkeit. Abrufbar sind diese Botschaften jeweils auf einer Website. Auch der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber schaltet ab und zu einen Vlog auf.

Hillary Clinton hatte ihre Präsidentschaftskandidatur mit einer Videobotschaft bekannt gemacht. Die Schweizer Medienschaffenden nahmen das in der hiesigen Wahlkampfberichterstattung der letzten Monate immer wieder auf. Die Interpretation, dass Vlogs eine überragende Bedeutung im US-Wahlkampf hätten, ist aber nicht korrekt. Es war ein Coup Clintons, die eigene Kandidatur auf diese Weise zu verbreiten. Zu einer Medienkonferenz einzuladen hätte nach der heutigen Medienlogik nicht mehr funktioniert. Wieso? Die Spekulationen hätten bereits wenige Minuten, nachdem die Einladung verschickt worden wäre, begonnen. Zudem konnte Clinton mit ihrer Botschaft ungefiltert an ein Millionenpublikum gelangen.

Im aktuellen Wahlkampf gibt es mehrere hundert Kandidierende, die eine oder mehrere Botschaften oder Kurzfilme auf ihren Websites aufgeschaltet haben. Die allermeisten Vlogs sind „Eigenproduktionen“: Der älteste Sohn richtet eine Handycam auf den Kandidaten, der im Garten vor dem Lindenbaum steht. Oder die Menschenmenge eines Parteianlasses oder Quartierfestes wird als Staffage benützt. Der Kandidat spricht in die Linse, meistens angespannt oder angestrengt, ringt manchmal nach Worten, oft versteht man sie akustisch kaum, die Bilder sind unter- oder überbelichtet, verwackelt… Kurz und anständig: das Potenzial wird nicht ganz ausgeschöpft.

Viele dieser Vlogs findet man auf dem Videoportal von „YouTube“ wieder. Nach dem Motto „nützts nüt, so schads nüt“ schalten die Kandidierenden ihre Beiträge dort auf. Die Bedeutung lässt sich mit einer simplen Zahl festmachen. Bei Kandidat Hugo Hugentobler steht beispielsweise „Views: 94“. Der Beitrag wurde also 94 Mal angeklickt. Die „YouTube”-Filmchen, wie sie inzwischen despektierlich genannt werden, sind schlicht langweilig. Teilweise haben sie unfreiwillig Unterhaltungswert oder leben von der Situationskomik. Bei vielen versteht man schlicht nichts. Dass sie neue Wählersegmente erschliessen, dürfen wir bezweifeln.

Es gibt allerdings auch Ausnahmen: Mir gefällt der “20-Sekünder” der Berner Nationalrätin Margret Kiener Nellen. Gut gemacht ist auch der Imagefilm der FDP-Frauen. In beiden Fällen führten Profis Regie, das merkt man sofort. Es gibt eine Story, Schnitte, Hintergrundmusik, die passt usw. In beiden Kurzfilmen wird auf Statements verzichtet. Das ist klug, weil sich die meisten Computer nicht zum Abspielen von Ton eignen. Zudem haben Bilder eine viel stärkere Aussagekraft.

Mark Balsiger

Die Königsmörderin ist der Zeit voraus

Als Königsmörderin war sie vielen Parteimitgliedern recht, aber als Vorsitzende der CSU wollte man Gabriele Pauli (Foto) natürlich nicht. Vermutlich hätte sie die seit 45 Jahren allmächtige Partei Bayerns zügig modernisiert. Daraus wird nichts: Gerade einmal 2,5 Prozent der Stimmen entfielen auf sie.

Pauli hat nach einem langen Kampf den Weg frei gemacht – für einen neuen Mann. Es ist Erwin Huber, auch er schon über 60 Jahre alt. Pauli stürzte den langjährigen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Edmund Stoiber. Gerade noch rechtzeitig, finden doch im nächsten Jahr Wahlen statt. Stoiber, der Bayernkönig, der zusehends die Bodenhaftung verloren hatte, wäre sonst nochmals angetreten.

Dass Pauli beim vorangegangenen Kampf das längere Ende für sich behalten würde, hätte man erahnen können. Die Betriebswirtschafterin schrieb ihre Dissertation über Polit-PR am Beispiel der CSU. Ihr Vorschlag, die Ehe auf sieben Jahre zu befristen, entfachte einen enormen Medienwirbel, das Thema bewegt. Bei ihrer erzkatholischen CSU fiel sie damit aber komplett durch, ihr wurde gar ein Parteiwechsel nahegelegt.

Pauli ist der Zeit voraus, eine ernsthafte Diskussion wäre es aber im Freistaat Bayern wert gewesen. Dort, wo die gesellschaftlichen Uhren offenbar anders ticken, dort, wo die CSU-Oberen gleich neben Gott hocken.

In der Schweiz und in Deutschland werden 40 bis 50 Prozent aller Ehen geschieden, viele überstehen just das verflixte siebte Jahr nicht. Die Erneuerung des Ehevertrags nach jeweils sieben Jahren könnte kleine Wunder wirken. Wie viele Paare dümpeln in absoluter Routine vor sich hin? Das „Auslaufen“ nach sieben Jahre entschärfte bzw. reduzierte die Kampfscheidungen und würde so die Gerichte entlasten. Vielleicht sollte man Nationalrat Christian Waber von der EDU auf dieses Thema ansetzen.

Mark Balsiger

Ob Grass, Lafontaine oder Westerwelle – die Welle blieb stets aus

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Guido Westerwelle (rechts aussen) war gestern in der Schweiz. Der Vorsitzende der deutschen FDP hielt am Abend in Thun einen Vortrag zum Thema „Die Chancen der Globalisierung“. Tagsüber stattete er der Schweizer Schwesterpartei einen Kurzbesuch ab. Im Bundeshaus machte Westerwelle der freisinnigen Bundeshausfraktion Mut. „Die Wähler entscheiden und nicht die Umfragen“, soll er gesagt haben.

Bei den Bundestagswahlen 2005 erreichte seine Partei 9,8 Prozent, einen Drittel mehr als prognostiziert. Das ist beachtlich für eine Partei, die seit vielen Jahren verschiedentlich das Zünglein an der Waage spielt und je nachdem mit der SPD oder CDU/CSU koalierte.

Unvergessen ist Westerwelles Spasswahlkampf im Jahre 2002 – damals noch mit dem Guidomobil und einem umtriebigen, ja durchtriebenen Jürgen Möllemann an der Seite. Statt den anvisierten 18 Prozent reichte es für einen Wähleranteil von 7,4 Prozent.

Westerwelles Stippvisite schlug sich in den Schweizer Medien kaum nieder. Einzig „Tages-Anzeiger“, „Südostschweiz“, „Bund“ und NZZ berichteten kurz – die FDP hat eine Chance zu wenig genutzt. So genannte „foto opportunities“ mit einer Politgrösse dieses Kalibers darf man sich nicht entgehen lassen, man hätte sie inszenieren müssen. Das wäre die perfekte Welle in der Schlussphase des FDP-Wahlkampfes gewesen!

Besuche von prominenten Deutschen sind im Schweizer Wahlkampf nichts Neues. 1967 kam Günter Grass auf Einladung der progressiv-linksliberalen Bewegung „Team 67“ in den Kanton Aargau. Nicht weniger als 500 Besucher wollten Grass sehen.

Übrigens: Aus dem „Team 67“ gingen u.a. zwei Politisierende mit nationaler Ausstrahlung hervor: Ursula Mauch, 1979 bis 1995 Nationalrätin und einige Jahre Präsidentin der SP-Bundeshausfraktion, sowie Ulrich Fischer, bis 2003 Nationalrat der FDP. Vielen ist er noch als „Atomueli“ bekannt, einer der treibenden Köpfe hinter dem geplanten AKW/KKW (ob Atom- oder Kernkraftwerk, ich bleibe gespalten) Kaiseraugst. 1988 wurde dieses Projekt auf Grund des erbitterten Widerstands der Bevölkerung endgültig fallen gelassen, Fischer war zu diesem Zeitpunkt bereits der Sprung ins eidgenössische Parlament geglückt.

In den neunziger Jahren wiederum beglückte Oskar Lafontaine, damals noch in einer Führungsfunktion bei der SPD sowie Ministerpräsident des Saarlandes, die SP Schweiz im Wahlkampf. Erwin Teufel (CDU) wiederum, bis 2005 Ministerpräsident von Baden-Würtemberg, besuchte einmal die CVP.

Keiner der hohen deutschen Besuche vermochte den jeweiligen Parteien übrigens Schub zu verleihen. Das “Team 67” beispielsweise holte bei den Nationalratswahlen 1967 weniger als 5000 Stimmen.

Mark Balsiger

Vom Schneemann und der Amerikanisierung

Der Videoclip ging letzte Woche um die Welt: Ein Schneemann fragte, ob sein Sohn trotz der Folgen des Klimawandels überleben werde. Die letzte Einstellung ist herzerweichend: Schneemanns Junior blickt mit grossen Kulleraugen in die Kamera. Millionen von Menschen haben diese Seuqenz inzwischen gesehen. Achtzehn Sekunden, die berühren.

Das Internet- und Video-Portal „Youtube“ machte die Verbreitung dieses Clips zum Kinderspiel. Er wurde an der ersten digitalen Debatte mit den demokratischen Präsidentschaftsanwärtern gezeigt. Hillary Clinton und ihre sieben Konkurrenten mussten des Schneemanns Frage live beantworten. Der Nachrichtensender CNN übertrug die Debatte mit den eingespielten Video-Fragen.

Das ist eine gelungene Form von Bürgerjournalismus, weil er Desinteressierte weckt. Tausende von Amerikanern nahmen die Herausforderung an, selber einen Videoclip zu produzieren, die originellsten wurden ausgewählt. Keine Frage, die erste digitale Debatte stellt eine Innovation im Wahlkampf dar. Und wie immer in den USA, ist eine Mischung aus Inhalten und Emotionen, Show und cleverem Marketing. Für uns republikanisch-zurückhaltende Schweizer ist diese Art Wahlkampf überzeichnet und fremd. Deswegen bedienen wir uns, wie bei jeder Innovation, schnell dem negativ besetzten Etikett „Amerikanisierung“ und lehnen sie ab.

Auch bei uns hat sich der Wahlkampf in den letzten 20 Jahren stark verändert. Früher reichten Versammlungen im „Bären“, die dauerhafte Beachtung der Parteiblätter und Plakate, um die eigene Klientel wachzurütteln. Inzwischen ist der Wahlkampf zu einer vielschichtigen Aufgabe geworden. Die Parteibindungen haben sich stark gelöst, der Wechselwähler wird umschwärmt, Verbände, Non-Profit-Organisationen und Bürgerbewegungen nehmen immer mehr an Bedeutung zu.

Die entscheidende Macht aber haben die Medien, die untereinander in einem gnadenlosen Verdrängungskampf stehen, übernommen. Sie diktieren das Tempo, sie diktieren, was Thema ist, sie diktieren, wer auftreten darf und wer totgeschwiegen wird. Wer sich den Gesetzen der so genannten Mediokratie anpasst, hat eine Chance. Die mehr als 400 Nationalrats-Kandidierenden des Kantons Bern können sich noch bis zum Wahltermin vom 21. Oktober in dieser Disziplin üben.

Mark Balsiger

P.S.  Dieser Beitrag wurde auf Anfrage des “Bieler Tagblatt” geschrieben und dort in der Ausgabe vom 3. August 2007 publiziert.

Ein TV-Politiker par excellence

Gestern also überreichte Tony Blair den Schlüssel für die Downing Street 10 in London seinem langjährigen Weggefährten und Rivalen Gordon Brown. Eine zehnjährige Ära ging zu Ende. Sie hat im zweiten Teil ihren Glanz verloren.

Bei den Einschätzungen und Analysen der letzten Tage wurde weitgehend ausgeblendet, dass Blair in Sachen Wahlkampf und Auftrittskompetenz europaweit neue Massstäbe setzte. Kein anderer bekannter Politiker hat sein Wirken derart konsequent auf das wirkungsvollste Medium, das Fernsehen, ausgerichtet wie er. Jederzeit schaffte er es auf Knopfdruck, einen „Soundbite“ zu verabreichen, wie er besser nicht hätte sein können. Präzis in der Aussage, kurz, gewinnend, kongruent, der Situation und dem Thema stets perfekt angepasst. Blair war ein TV-Politiker par excellence.

Blair wusste seit seinen Anfängen auf den harten Bänken der Opposition um die Macht des Bildes. Der Laienschauspieler übte unermüdlich, mit viel Talent und Ehrgeiz. Auch nach 1997, als er Premierminister wurde, überliess er nichts dem Zufall. Jeder Auftritt wurde minutiös vorbereitet, keine unvorteilhaften Perspektiven für Fotos und Filmsequenzen zugelassen. Die „Spin Doctors“, enge Vertraute Blairs, führten Regie, allen voran Peter Mandelson, später Alastair Campbell. Beide waren brillante Strategen, mit allen Wassern gewaschen, machtbewusst und gnadenlos beim Austeilen und Einschüchtern.

Die britische Presse war vorerst fasziniert, die Berichterstattung verlagerte sich zunehmend auf die Metaebene, eine Vielzahl Bücher thematisieren den „Spin“ der Regierung Blair. Der „Overspin“ kam, weil das britische Volk die militärischen Intervention in Afghanistan nicht billigte. Der politische Instinkt hatte Tony Blair bei diesen Entscheidungen ausnahmsweise nicht richtig geleitet. Bitter für ihn, dass so der Glanz der ersten Jahre verblasste.

Mark Balsiger