Wenn nur noch der Jöö-Faktor bleibt

Der Abstimmungssonntag nähert sich auf leisen, leisen Sohlen. Die beiden eidgenössischen Vorlagen haben keine Wellen geworfen. Die allgemeine Volksiniatiative musste gar ohne Pro- und Kontrakomitees auskommen, in den letzen Wochen zählte ich ein paar wenige Leserbriefe, ein öffentlicher Diskurs fand kaum statt – eigentlich schade, es hätte sich durchaus gelohnt.

Weshalb der ruhige Wellengang? Deckten die Bundesratswahlen fast alles zu? Lag es an der unsäglichen Libyen-Affäre? Ein guter Freund, mit dem ich mich oft über politische Themen austausche, brachte gestern Abend einen weiteren Erklärungsversuch ein: Wir sind womöglich zurück in der eidgenössischen Normalität. Die Reizthemen Europa und Ausländer/Aysl/Migration liessen seit einigen Jahren intensive Kampagnen und Auseinandersetzungen zu – typisch ist das nicht für unser Land.

Im Kanton Bern entfachte die Harmos-Abstimmung in den letzten Wochen auch keine heftige Debatten. (Böse Zungen behaupten, das sei immer so.) An den gut besuchten Podien in den ruralen Gegenden waren die Meinungen gemacht, da setzt es ein klares Nein ab. Demgegenüber gibt es in Biel sowie im Grossraum Bern ein Ja – fällt es deutlich genug aus, kann das für ein Ja im ganzen Kanton ausreichen.

Für mich als verantwortlicher Kampagnenmacher ist es frustrierend, wenn Dynamik und Diskurs weitgehend auf der Strecke bleiben. So bleibt lediglich eine Genugtuung: im Team haben wir ein Sujet kreiert, das allüberall gut ankommt und vor allem auch zur Kenntnis genommen wird.

Das Sujet mit den blondschopfigen Geschwister spielt den sogenannten Jöö-Faktor. Auf glückliche Kinder zu setzen, stand schnell einmal fest. Wir konnten davon ausgehen, dass die Gegner ihre Kampagne mit weinenden Kindern bestreiten würden. So war es dann auch. Der direkte Vergleich der beiden Sujets:

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Beide Sujets zielen auf den Bauch. Das Geschäft mit Emotionen ist womöglich einfacher, lies: erfolgreicher als Ratio. Aber wenn ein Sujet eine Diskussion anstösst, die alsbald zum eigentlichen Inhalt umschwenkt, hat es seinen Zweck mehr als erfüllt.

Dieser Tage schliesslich adaptierten wir das Kampagnensujet – ein Versuch. Leicht gewürzt mit dem Promi-Faktor. Wer findet ihn, den A-Promi?

Fazit: In dieser Umsetzung lässt der Jöö-Faktor deutlich nach. Dafür wird der “Bin-ich-auch-drauf”-Faktor geweckt. Allein, dafür hätte es eine grössere Beteiligung gebraucht, womit wir wieder bei der fehlenden Dynamik angelangt wären.

Mark Balsiger

Cablecom-Kampagne erhält dank dem Support eines Bloggers den richtigen Dreh

Dass Cablecom in Sachen Kundenservice seit Jahren Bestnoten erreicht, ist hinlänglich bekannt. Werberisch ausgedrückt: simply the best. Entsprechend muss die Imagekampagne, die seit ein paar Wochen läuft, anders gewertet werden: Es geht darum, die darbende Werbewirtschaft zu stützen. Das ist löblich.

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Wie Tom Brühwiler, vielen als BloggingTom bekannt, nun aufdeckt, wurden vier Sujets vorübergehend vergessen. Er reicht sie nach – sie bringen es auf den Punkt. Ein Beispiel:

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Wenn die Cablecom-Verantwortlichen richtig ticken, haben Sie BloggingTom bereits eine Jobofferte unterbreitet. Er hat den Dreh raus – und eine unverzerrte Perspektive auf die Qualitäten der Firma. Die drei weiteren Sujets des bekannten Bloggers kann man hier betrachten.

Veräppelungen bestehender Kampagnen sind nichts neues. Als im Herbst 2008 die Staatsbank UBS eine Imagekampagne lancierte, war Blogger Bö subito mit einem treffendem Sujet zur Stelle:

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Personenfreizügigkeit: Das grosse Zittern ist teilweise selbst verschuldet

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In knapp 24 Stunden hat das Zittern ein Ende. Der Ausgang der vermutlich wichtigsten Abstimmung dieser Legislaturperiode scheint bis zum Schluss völlig offen zu sein. Ich tippe auf +/- 52 Prozent Ja.

Der Abstimmungskampf war verkorkst, die Metathemen dominierten komplett. Statt über die Vorlage wurde über Raben, dubiose Websites und Strafanzeigen diskutiert. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass bei Abstimmungsvorlagen je länger, je mehr die Kampagnen an sich im Brennpunkt stehen und nicht mehr die Inhalte.

Dass der Ausgang der morgigen Abstimmung offen ist, hätte nicht sein müssen. Im Frühling letzten Jahres schien vorerst niemand den klaren Entscheid des Parlaments anfechten zu wollen. Als schliesslich zwei Kleinstparteien – die Lega und die SD – in die Bresche sprangen, folgte die Junge SVP.  Die Volkspartei wiederum machte einen Rückwärtssalto und drehte ihr urspüngliches Ja in ein Nein.

Das grosse Zittern der Befürworter ist zu einem Teil selbst verschuldet. Ich benenne zwei Gründe:

– Zu Beginn der heissen Phase kritisierten Schlüsselfiguren plötzlich das Hauptsujet. Dabei hing genau dieser Apfelbaum seit Juli letzten Jahres an jeder zweiten Plakatwand. Dabei wurde genau dieser Apfelbaum bereits im Jahr 2005 eingesetzt.

Die Anzahl Komitees ist kaum mehr zu überblicken und hat für Verwirrung gesorgt. Wir dürften davon ausgehen, dass es die Intention war, den Wählermarkt zu segmentieren. Vermutlich ist aber etwas anderes geschehen: Die Akteure des Ja-Lagers haben sich selbst segmentiert.

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Aargauer Wahlkampf: Die Schlussphase ist dumpf und erschütternd

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Ich beklagte schon wiederholt, dass die Kandidierenden ihren Wahlkampf zu wenig engagiert führen. Wenn Engagement allerdings durch dumpfe Provokation ersetzt wird, erleidet die Politik in ihrer Gesamtheit einen irreparablen Schaden.

In den letzten Tagen hat im Aargau das Inserat eines vorgeschobenen Elternkomitees “Keiner wählt Rainer” für Wirbel gesorgt (siehe Inserat oben). Diese Geschmacklosigkeit gegen Regierungsrat Rainer Huber (cvp) haben die Grossräte Urs Haeny (fdp) und Andreas Glarner (svp) zu verantworten.

Glarner sorgte schon wiederholt für Wirbel mit umstrittenen Plakatsujets. Wir erinnern uns: 2007 ging er mit ähnlichen Provokationen auf Stimmenfang:

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Glarner – laut Eigenwerbung “Hardliner statt Weichspüler” – ist nicht bloss ein Grossrat unter vielen, er ist Fraktionschef der grössten Partei im Aargau. Für den Sprung in den Nationalrat reichte es ihm nicht.

Mit der neuerlichen Entgleisung erweisen Glarner & Co. den offiziellen SVP- und FDP-Kandidierenden einen Bärendienst.

Quellen:
– Inserat: aargauerzeitung.ch
– Plakatsujet: andreas-glarner.ch

Bloggen für die Bilateralen

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Andreas Kyriacou zählt für mich zu den engagiertesten Polit-Bloggern in diesem Land. Schon seit Jahren schreibt er viel – und fast überall. Ich vermute, dass er so ziemlich alle Feeds abonniert hat. Zuweilen beschleicht mich das Gefühl, er sei 24 Stunden online. Bürokollege Suppino sagte einmal: “Kyriacou bloggt vermutlich noch, wenn er auf der Klobrille sitzt oder eine Skitour macht.”

Gestern lancierte Kyriacou zusammen mit Mitstreitern ein neues Portal: Es heisst Bilablog (die Abkürzung steht für Bilateralen-Blog) und ist nach Angaben der Initianten die erste parteiübergreifende Blog-Kampagne in der Schweiz. Die eingeladenen rund 20 Bloggerinnen und Blogger spannen zusammen und verfassen mindestens je einen Beitrag zur Abstimmung über die Personenfreizügigkeit. Im Zentrum steht dabei, weshalb wir am 8. Februar Ja stimmen sollten.

Ich finde dieses Projekt bemerkenswert und spannend. Aus drei Gründen:

1. In Zeiten der weiter zunehmenden Polarisierung in der Politik ist es besonders wertvoll, wenn vereint, quer über die Parteigrenzen, zusammengearbeitet wird.

2. Auf dem Portal wird in drei Landessprachen sowie in Englisch geschrieben. Das kann dem Zusammenhalt des Landes nur gut tun. Und es fördert die Sprachkompetenz der Leserinnen und Leser, ich selber werde mir die Zähne ausbeissen an den Postings in italienischer Sprache.

3. Der Mix ist gut: Es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen dabei, sondern auch unbekannte Teilnehmende. Das ist weise und setzt einen Kontrapunkt zum Verhalten der Massenmedien, die nur noch den prominenten Parlamentariern und Experten nachhecheln.

Der negative Punkt: Dieses Portal kommt viel zu spät. Schade, dass es erst knapp drei Wochen vor dem Abstimmungstermin lanciert wurde. Es hätte eine gewisse Relevanz erreichen können, wenn man es vor drei Monaten gestartet hätte. Eine echte Debatte um Argumente statt Raben und Geld hätte der Sache am meisten genützt.

Bond hilft “Bund” – und Sie?

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Im letzten Herbst musste der Bundesrat zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank ein Rettungspaket für die grösste Schweizer Bank schnüren: 68’000’000’000 Franken schwer.

Der Tageszeitung “Bund” würde eine substanzieller Zustupf auch helfen. Bloss, da hilft der Bund nicht. Skandinavische Zustände will hierzulande niemand. Im hohen Norden wird die Presse im grossen Stil vom Staat subventioniert, um die Pressevielfalt zu gewährleisten.

Mit der gigantischen Summe von 68 Milliarden Franken hätte der “Bund” die nächsten 5666 Jahre ausgesorgt.

Weil solche Zahlen nicht fassbar sind, befassen wir uns besser mit der knüppelharten Realität. Es geht um das Überleben des “Bund”. Hier und jetzt. Wer noch immer nicht im Petitionskomitee “Rettet den Bund” ist, sollte sich sputen. Sonst ist bald einmal fertig mit Pressevielfalt im Grossraum Bern.

Auf meinem abendlichen Spaziergang durch die Innenstadt entdeckte ich eben das Bond’n’Bund-Sujet an den Bushaltestellen. Der britische Agent könnte ja noch eine Köfferchen mit Geld mitbringen.

Sujet: unknown

Gesucht: Die kreativsten Aktionen und Werbemittel im Berner Wahlkampf 2008

In letzter Zeit monierte ich in diesen Spalten mehrmals, dass es bei den Berner Gemeindewahlen gar keinen Wahlkampf gäbe. Die Rückmeldungen – hinter den Kulissen und nicht via Blog – widersprechen meiner These. Es werde sehr wohl gewahlkämpfert. Und dann folgten in der Regel Verweise auf Aktionen usw.

Gut so, liebe Kandidatinnen und Kandidaten. Im Berner Wahlherbst 2008 buhlen schätzungsweise noch 1000 Personen um Sitze in Parlamenten und Exekutiven, die Hälfte davon allein in der Stadt Bern. An sie alle richtet sich mein Aufruf: Mailen Sie mir

– Fotos von Ihren Aktionen
– Prospekte, Plakate, Postkarten usw.
– Youtube-Spots
– Songs
– Hintergruninformationen zu gelungenen Spins

in den gängigen Formaten und bitte, bitte, bitte nur in tiefen Auflösungen (teilweise dürften die Links reichen.) Die Mail-Adresse lautet: mark.balsiger@border-crossing.ch

Ich werde einen Teil davon hier im Wahlkampfblog oder im Wahlbistro aufschalten, allenfalls zusätzlich über unsere Facebook-Gruppe “wahlbistro – wo politisch Interessierte diskutieren” weiterverbreiten.

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P.S. Als Inspiration darf der Kurzfilm des Berner Stadtrats Henri-Charles Beuchat, der als Samichlaus ohne Rute auftritt, dienen – sowie die symbolische Putzaktion der Jungfreisinnigen vor der Reitschule, die auf meinen Auftruf am schnellsten reagierten:

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Foto: jungfreisinnige der Stadt Bern

Parteien setzen vermehrt auf Facebook – und platzierten dort eben ein “Primeurchen”

Die Parteisekretariate rüsten sich für die eidgenössischen Abstimmungen vom 30. November – unter anderem zum Rentenalter 62. Das überparteiliche Co-Präsidium der Gegnerschaft hat sich längst formiert. Allein: wer dazu gehört, wurde von den Kommunikationsstellen bislang noch nicht vermeldet. Lüften wir also den Schleier:

– CVP: Nationalrat (NR) Thérèse Meyer (FR), Ständerat (SR) Urs Schwaller (FR), NR Ida Glanzmann (LU)
– FDP: NR Ignazio Cassis (TI), SR Christine Egerszegi (AG), Regierungsrätin Ursula Gut (ZH)
– SVP: NR Guy Parmelin (VD), NR Ueli Maurer (ZH)
– GLP: NR Thomas Weibel (ZH)
– Liberale Partei: NR Martine Brunschwig-Graf (GE)

Und wo habe ich diese Information gefunden? Auf Facebook. Das ist ein kleiner Primeur, mit Sicherheit aber kein geplanter. Es hat sich so ergeben, weil die fixen Jung-Campaigner schnell sind.

Facebook hat weltweit einen veritablen Siegeszug hinter sich und bereits mehr als 100 Millionen Mitglieder. Seit dem Medienhype um die Botellones ist diese Onlineplattform auch in der Schweiz allen bekannt – vom Altersheim Andelfingen bis zur Seniorenresidenz Herbstgold in Leukerbad.

Verständlich, dass Parteien und Politisierende hellhörig wurden und dieses Medium für ihre Zwecke einsetzen. Bereits im eidgenössischen Wahljahr konnte man ein paar Unterstützungsgruppen ausfindig machen. Jetzt folgt Stufe zwei. Die Zeitung “Sonntag” brachte vor zwei Monaten schon einmal eine grössere Geschichte darüber, bei der ich etwas Hintergrund beisteuern durfte.

Sonntag: Schweizer Politiker auf Facebook (PDF)

Viele Schweizer Politisierende haben inzwischen ein Profil auf Facebook und anderen Social Networks aufgeschaltet. Darunter sind auch einige eidgenössische Parlamentarier, von Bastien Girod (grüne, ZH) bis Christian Wasserfallen (fdp, BE). Ihre Profile sind echt, im Gegensatz zu einigen von anderen Prominenten.

Der Aargauer Nationalrat Urs Hofmann (sp) nutzt Facebook derzeit, um so die Werbetrommel für seine Regierungsratskandidatur zu rühren.

Im Falle der Gegner des Rentenalters 62 ist der Support im Moment noch gering: 27 Mitglieder haben sich bis heute eingetragen. Die Befürworter bringen es auf eine viermal grössere Gruppe. Und sie haben bereits eine funktionierende Website im Netz – und so auch erste Sujets wie dieses:

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Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schweizer Parteien und Politisierende auf Facebook auch Werbung schalten werden. In anderen Ländern geschieht das bereits. Das kann direkt geschehen, d.h. die Werbung wird vom Kunden direkt auf die Online-Plattform hochgeladen. Das das zu Missbräuchen führen kann, liegt auf der Hand. Die entsprechende Beachtung der etablierten Medien wäre garantiert.

Zurück zur Abstimmung Rentenalter 62 – die beiden offiziellen Websites von Gegnern und Befürwortern:

gesunde-ahv.ch (zur Stunde ist erst eine Einstiegsseite online)
ahv-online.ch

Sujet: www.ahv-online.ch

Wahlen in Basel-Stadt, wo die Linken die besseren Bürgerlichen sind

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An diesem Wochenende bestellt Basel-Stadt die Regierung und das Parlament neu. Ein echter Wahlkampf hat in den letzten Wochen und Monaten kaum stattgefunden. Das hat verschiedene Gründe:

1. Anstand statt Konfrontation: In Basel ist der Umgang unter den Politisierenden traditionell sehr höflich. Wer einmal eine Debatte im Grossen Rat verfolgt hat, wird das bestätigen. Das Intermezzo mit der SVP-Vorkämpferin Angelika Zanolari, die vor ein paar Jahren einen konfrontativ-lauten Stil ins Parlament brachte, ist Geschichte.

2. Devensive Bürgerliche: Für die Regierungsratswahlen wollten die bürgerlichen Bündnispartner CVP, FDP und LDP den als gemässigt eingestuften SVP-Kandidaten Patrick Hafner nicht mit an Bord nehmen. Die Hemmungen sind weiterhin gross, zusammen mit der Volkspartei anzutreten, und auch sonst ist nur wenig Kitt vorhanden unter den Bürgerlichen. Dabei müssten sie angreifen, nachdem sie vor vier Jahren einen Sitz verloren haben, der das Pendel nach links ausschlagen liess. Die Zusammensetzung der siebenköpfigen Regierung seit 2004: 3 SP,1 Grüner, 1 CVP, 1 FDP, 1 Liberaler.

Die SVP ist in den letzten 12 Jahren zur zweitstärksten Kraft hinter der SP herangewachsen. Wie in vielen anderen Wahlkreisen hat sie aber auch in Basel Mühe, in die Regierung zu kommen. Es wäre eine grosse Überraschung, wenn ihr das am Sonntag gelingen würde.

CVP, FDP und LDP begnügen sich offensichtlich damit, ihre drei bisherigen Regierungsräte (Carlo Conti, CVP, Hanspeter Gass, FDP, Christoph Eymann, Liberale) bestätigen zu lassen. Dabei wären die Chancen für einen Angriff auf die rot-grüne Mehrheit intakt gewesen: Die SP muss nämlich eine Doppelvakanz neu besetzen. Bei der Nomination sprang sie über ihren eigenen Schatten und machte die Geschlechterfrage nicht zum entscheidenden Kriterium. Sie schickt mit Christoph Brutschin und Hans-Peter Wessels zwei Männer ins Rennen, zwei sichere Werte, die Wirtschaftskompetenz mitbringen.

Der rot-grün dominierten Regierung wird attestiert, in den letzten vier Jahren pragmatisch gearbeitet zu haben. Sie schaffte es, die staatliche Pensionskasse zu sanieren und sie gleiste Steuersenkungen auf. Es ist deshalb kaum ein Zufall, dass die “Basler Zeitung” schrieb, die Linken seien die “besseren Bürgerlichen”.

3. Parlamentswahlen interessieren nicht: Wenn es auf kantonaler Stufe überhaupt echte Wahlkämpfe gibt, werden diese um Regierungsratssitze ausgetragen. Bei Parlamentswahlen ist das nicht der Fall, es herrscht faktisch ein kaum überblickbares Jekami. In Basel-Stadt wurden nicht weniger als 829 Kandidierende angemeldet. Der Grosse Rat zählt neu noch 100 statt wie bisher 130 Mitglieder. Einige Bisherige müssen zwar um ihre Wiederwahl bangen, mehrere unter ihnen werden am Sonntagabend lange Gesichter machen. Das war bei den Parlamentsverkleinerungen in den Kantonen Bern, Solothurn, Aargau und St. Gallen nicht anders.

Die Wiederwahl der vier Bisherigen Eva Herzog (SP), Guy Morin (Grüne), Carlo Conti (CVP) und Christoph Eymann (Liberale) gilt als sicher. Bei Hanspeter Gass (FDP) trifft das, so die Auguren in Basel, nach seinen ersten zwei Regierungsjahren nicht zu. Es ist möglich, dass bei einem zweiten Wahlgang die Karten neu gemischt werden. Schafft es Gass im ersten Anlauf, einer der beiden Sozialdemokraten aber nicht, dürften die Bürgerlichen Morgenluft wittern.

Am Sonntagabend darf man gespannt nach Basel blicken. Es sind die ersten Wahlen in einer grossen Schweizer Stadt seit den eidgenössischen Wahlen vor elf Monaten. (BS ist ein Stadtkanton, ein Exgüsé nach Riehen und Bettingen.) Dabei interessiert insbesondere das Abschneiden von SP und SVP. Die SP, weil sie vor Jahresfrist eine historische Schlappe eingefangen hat und seither bei den kantonalen Wahlen in St. Gallen und Schwyz Federn lassen musste. Die SVP, weil sie seit der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat, dem angekündigten Oppositionskurs und der Abspaltung der BDP noch nicht wieder Tritt gefasst hat.

Gespannt sein darf man auf das Abschneiden der Grünliberalen, die erstmals antreten. Dass Sie im Rathaus einziehen, gilt als sicher. Die entscheidende Frage ist, wem sie Wähleranteile abzwacken. Gefährdet sind primär SP, FDP, Liberale sowie die Demokratisch-Soziale Partei (DSP), eine Abspaltung der SP.

Das Ergebnis der Grünliberalen, die sich womöglich im urbanen Raum etablieren, kann ein Signal sein für kommunale Wahlen in anderen Städten. Am 28. September in Biel, am 30. November in Bern.

Das Ergebnis der Basler Wahlen wird am Montagmorgen hier und im Wahlbistro von Meinungsforscher Claude Longchamp analysiert.

Foto: baz.ch