Ende November wählt die Stadt Bern Regierung und Parlament neu. Auf Grund der Demission von Stapi Alex Tschäppät (SP) ist die Ausgangslage offener als bei früheren Wahlen. Der „Bund“ fragte übers Wochenende nach, was ich von Budgets, Social Media und Videos à la „Welcome to SVP“ halte. Die stark gekürzte Version dieses Interviews finden Sie auf der „Bund“-Website und nachfolgend in seiner vollen Länge. Die Fragen stellte Jean-Michel Wirtz.
Als wie hoch schätzen Sie den Einfluss des Wahlkampfbudgets auf die Wahlresultate in der Stadt Bern ein?
Mark Balsiger: Als sehr gering. Laut meinem Modell, das ich an der Universität Bern entwickelt hatte, gibt es im Wahlkampf 26 Erfolgsfaktoren. Entsprechend ist Geld nur ein Faktor. In der Schweiz lassen sich politische Mandate nicht kaufen. Mir gefällt das Credo der Angelsachsen: „Smart dimes beat dumb dollars“.
Welche anderen Faktoren sind in der Stadt Bern, also auf lokaler Ebene, für einen erfolgreichen Wahlkampf wichtig?
Das A und O ist die Vernetzung, engagierte Mitarbeit in Vereinen, über Jahre hinweg Leserbriefe in „Bund“ und „Berner Zeitung“, ein überzeugendes Online-Profil sowie das solide Erarbeiten von zwei Themen. Das legt die Basis für regelmässige Medienpräsenz und steigert den Bekanntheitsgrad weiter. Sie sehen: Ich glaube nicht an Wahlkämpfe, die zwei oder drei Monate dauern und mehrheitlich aus Einweg-Kommunikation bestehen. Sie verdampfen wie ein paar Tropfen Wasser in der Wüste. Kommt hinzu: Die kommerzielle Werbung spielt in einer anderen Liga – und sie spielt laut. Modelabels, Mobilfunkanbieter und Autohersteller, die mit Millionenbudgets werben können, überrollen Stadtratskandidat Hugo Hugentobler mit seinen drei Inserätli, einem Facebook-Profil und Tausend Flugblättern. Das Publikum, das täglich x Werbeimpulse erhält, nimmt Hugentobler gar nicht wahr.
Welche Bedeutung haben Social Media im Stadtberner Wahlkampf?
Vor den Nationalratswahlen 2015 kritisierte ich in einem „Bund“-Interview, dass bei den meisten Kandidierenden keine Lernkurve erkennbar sei. Ich mache mich unbeliebt mit dieser Aussage, aber: An diesem Befund hat sich bis heute nichts geändert. Facebook, Twitter und Instagram wären hervorragende Plattformen für den permanenten Wahlkampf, wenn man sie denn richtig bespielen würde. Richtig heisst: Interaktiv, humorvoll, authentisch, stetig und interessant – kurz: i-hasi. Die Formel „i-Hasi“ ist angelehnt an die Wundergeräte aus dem Hause Apple. Die meisten Politiker beschränken sich auf Social Media darauf, Artikel aus Online-Portalen zu verlinken, Fotos von drögen Standaktionen hochzuladen und „Wählt mich! Wählt mich!“ zu schreien. Das ist monoton und wirkungslos. Einzelne pflegen den Dialog glaubwürdig, überlegen etwas, bevor sie in die Tasten greifen, und sind nicht nur vor Wahlterminen aktiv. Das sind meine Heldinnen und Helden. Sie können am 27. November ernten.
Warum setzt Alec von Graffenried mit 110 000 Franken am meisten Geld für den Wahlkampf ein? Kann er so den fehlenden Bisherigenbonus kompensieren?
Alec von Graffenried (GFL) ist der einzige Stapi-Kandidat, der Ursula Wyss (SP) gefährlich werden könnte. Alle anderen wissen, dass sie chancenlos sind. Eine ungleich höhere Hürde stellt für von Graffenried die Wahl in den Gemeinderat dar. Er hat nach 2004, als er die Wahl wegen weniger als 20 Stimmen verpasste, seine zweite Chance. Deshalb investiert er. Das vermaledeite Proporzsystem führt allerdings dazu, dass die Gemeinderatswahlen zu verkappten Parlamentswahlen werden. Es ist gut möglich, dass der Proporz Erich Hess (SVP), von Kritikern als Politclown bezeichnet, in die Regierung spült. In 80 Prozent aller Gemeinden und in 24 von 26 Kantonen werden die Exekutiven im Majorzsystem gewählt. Die Stadt Bern sollte sich endlich bewegen!
Wie entwickelten sich in der Vergangenheit die Budgets für das Berner Stadtpräsidium?
Von 1996 bis 2012 war der Ausgang der Stapi-Wahlen immer schon im Vorfeld klar, die SP’ler Klaus Baumgartner und Alex Tschäppät liessen ihre Herausforderer denn auch stets weit hinter sich. Wegen der fehlenden Dynamik war niemand bereit, in einem aussichtslosen Wahlkampf viel Geld zu verbrennen. In diesem Jahr ist die Ausgangslage offener, die SP und Ursula Wyss nehmen von Graffenrieds Kandidatur ernst.
Die SVP möchte keine Angaben zu ihrem Wahlkampfbudget machen? Warum? Finden Sie diesen Mangel an Transparenz problematisch?
Nein, eher lächerlich und vor allem kontraproduktiv. Das Schweigen lässt Gerüchte aufkommen, die Partei habe eine erkleckliche Summe zur Verfügung. Aber im Gegensatz zu Sektionen, die noch im Aufbau sind, gibt es für die Stadtberner SVP keine Zuwendungen der „Millonarios“.
Eine Motion fordert, dass in der Stadt Bern Regeln zur Offenlegung der Wahl- und Abstimmungsfinanzierung erlassen werden. Denken Sie, dass es sinnvoll ist, solche Regeln auf kommunaler Ebene zu verankern oder besser auf nationaler Ebene, z.B. mit der Transparenzinitiative?
In der Schweiz spricht man nicht über Geld – oder wissen Sie, wie hoch die Löhne ihrer Kollegen sind? Das ist tief in unserer Kultur verankert. Aus diesem Grund wird es die Offenlegungspflicht schwer haben. Käme sie durch, würde der Berg eine Maus gebären. Im Milizsystem machen Parteigängerinnen und -gänger unentgeltlich mit. Man müsste also ehrlicherweise auch die Arbeit der Grafikerin, die wochenlang gratis mitwirkt, oder der vielen Helfer, die jeden Morgen am Bahnhof Flyer verteilen usw., mit einem Preisschild versehen.
Auf nationaler Ebene setzen einige Parteien auf teure Kampagnen mit vielen Inseraten und aufwändigen Videos. Ist ein solch starker Einsatz von finanziellen Mitteln eine Gefahr für die Demokratie?
Wir sind zum Glück von einer Plutokratie weit entfernt. Am Beispiel der USA lässt sich beobachten, wie Partikularinteressen und viel Geld die Demokratie deformiert haben. Wir Schweizerinnen und Schweizer hingegen sind nüchtern, abgeklärt und erfahren, wenn es um Wahlen und Abstimmungen geht. Wir lassen uns doch nicht durch eine Inseratewelle mit dem Slogan „Mehr Parkplätze, weniger Poller!“ kaufen. Beim Video spielen Sie auf “Welcome to SVP” aus dem letzten Jahr an. Tatsache ist, dass die SVP von den Medien viel mehr Publizität erhält als alle anderen Parteien. Hätte im letzten Jahr die FDP oder die SP dasselbe Video produziert, wären vielleicht zwei Glossen erschienen. So aber wurde während Tagen flächendeckend über „Welcome to SVP“ berichtet. Mehr Reflexion in den Newsrooms wäre bitter nötig.