GAST-BEITRAG von Daniel Goldstein *
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Wahlkampf ists, die Fetzen fliegen. Das könnte man meinen, aber in den offiziellen Flugblättern, welche die Parteien dem Wahlmaterial beilegen durften, sind die Fetzen rar: Da zeigen sich fast alle Formationen von der manierlichen Seite, und von den grösseren tun es ausnahmslos alle – auch diejenige, die sonst für rauere Sitten bekannt ist. Den Plakatmann fürs Grobe hat jedenfalls die Berner SVP für ihre amtlich beigelegten vier Seiten A 4 nicht beigezogen. Sie gibt sich dort so wortkarg, dass unter der Sprachlupe rein gar nichts auffällt.
Wer Kämpferisches sucht, muss den Blick schon auf die Ränder des politischen Spektrums richten, trifft dort aber auf ein wohlbekanntes Feindbild. Links aussen ist die Europäische Union «imperialistisch» (PdA), rechts drüben ein «antidemokratisches Bürger-Bevormundungs-Projekt» (SD). Links wird der eigene Staat ebenfalls zum Buhmann, so als «Schnüffelstaat» mit «Sozialbürokratie» bei den Grün-Alternativen.
Kuscheln und schleppen
Etwas mildere Schimpfworte ringen sich auch einzelne Traditionsparteien ab: Die CVP prangert, eher am alten als am neuen Testament orientiert, die «Kuscheljustiz» an. Die Akademikerpartei par excellence, die FDP, zieht gegen die «Verakademisierung von Berufen wie der Pflege» ins Feld; ihre Jungspunde wollen zudem «Jazzmusiker und Kindergärtnerinnen» den akademischen Klauen entreissen, und sie haben «reaktionäre Kräfte» aufgespürt: die Befürworter der Buchpreisbindung. Immerhin gibts auch von einem kleinen freisinnigen Geistesblitz zu berichten: «Schlepper und schleppender Vollzug» plagen demnach die Asylpolitik. Die Alternative Linke glänzt mit acht Gründen, sie «NICHT» zu wählen. Und die Piratenpartei ist, zumal in der Schweiz, mit ihrem Schlachtruf kaum zu überbieten: «Wir wollen Meer» (und nicht etwa bloss freie Sicht darauf).
Breit gestreut sind Allerweltswörter wie «konstruktiv», «nachhaltig» oder «zukunftsorientiert»; Letzteres zusammen mit «visionär» wiederholt bei den Jusos. Bei der Mutterpartei brilliert eine Kandidatin mit höherer Mathematik: Hätte sie einen Wunsch frei, würde sie gleich sieben Sachen hineinpacken. Den «allerweltlichsten» Satz bringt die EDU zustande: «Wir wollen in den gesamten familienpolitischen Themen auf nationaler Ebene wegweisend und fördernd sein.»
Was ungesagt bleibt
Besondere Pflege, auch sprachlicher Art, lassen Ständeratskandidaten dem eigenen Kanton angedeihen, wie es sich für sie gehört. Jener der FDP will Bern als «schlagkräftige Hauptstadtregion auftreten» lassen; wem die Schläge gelten sollen, lässt er offen. Und sein Rivale von der BDP meint, der Kanton brauche «mehr denn je eine starke Vertretung auf Bundesebene», und lässt uns rätseln, warum das früher weniger nötig gewesen sein soll. Der knappe Platz sorgt aber dafür, dass insgesamt wenig Wortgeklingel untergekommen ist, und den meisten Flugblättern ist anzumerken, dass grosse Sorgfalt gewaltet hat. Wer die ganz grosse Fehlerlupe hervornimmt, wird aber zumindest bei den Listen 5, 6, 7, 11, 13, 16, 17 und 21 ein bisschen fündig.
Mehr Platz für Dubioses auch sprachlicher Art bieten natürlich die ausserhalb des amtlichen Couverts gestreuten Flugblätter – für jene, die es sich leisten können. Da staunt man etwa, dass ein Parlamentarier seine Arbeit nicht nur weiterführen will, sondern (jetzt?) auch «zielgerichtet» und «aktiv», und dass er sogar «Projekte plant», in denen er dann, so nehmen wir an, Tätigkeiten plant. Über die scheint ein Bild mehr zu sagen als die berühmten Tausend Worte: «Rudolf Joder Agrarfreihandel» ist darauf zu lesen, obwohl der Kandidat laut Begleittext dagegen ist. Seine SVP, aufs Aufdecken von «Geheimplänen» spezialisiert, scheint da selber einen zu hegen.
* Daniel Goldstein war viele Jahre lang Redaktor bei der Berner Traditionszeitung „Der Bund“ und ist auch bekannt für seinen eleganten Umgang mit der Sprache. Er arbeitet inzwischen als Schreibcoach und ist unter sprachlust.ch zu finden. Seit Frühjahr 2011 ergänzt Goldstein das Netzwerk von Border Crossing AG, die wiederum dem Betreiber des wahlkampfblogs gehört. Dieser Text erschien am letzten Freitag im “Bund”.