Wahlkampfblog startet ins dritte Jahr

Ein kitzekleines Jubiläum: Heute genau vor zwei Jahren purzelte das erste Posting des Wahlkampfblogs ins WWW. Es war ein länglicher Text, mit dem ich zu erklären versuchte, wie eine Partei den Wahlkampf angehen sollte.

Das Posting las niemand, anfänglich fanden es nicht einmal die cleveren Suchroboterchen von Google. So viel zu meinem Start als Blogger. In den letzten zwei Jahren verfasste ich 230 Postings.

Was wir sonst noch aus den Statistiken lesen können: Dieses Blog wird täglich zwischen 300 und 600 Mal aufgerufen. Je nach Brisanz des Themas variieren die Besucherzahlen stark. Viele andere Micropublizisten finden die Anzahl Seiten (page impressions) relevanter. Bitte: es sind durchschnittlich 1300 Seiten pro Tag.

Andere versuchen, mit ihren Blogs Mukis aufzubauen: Möglichst viele visits, unique visitors, sites und authorities, letzteres sind Links, die auf das eigene Medium verweisen. Ich habe dieses Rennen im Web längst aufgegeben. Mit einem Themenblog schafft man es in der Schweiz nicht, wirklich beeindruckende Zahlen hinzubringen.

Es wird mir immer und immer wieder gesagt: „Du musst täglich publizieren, sonst verlierst du den Traffic.“ Das stimmt gewiss. Bloss ist der Abend manchmal schon alt, bevor ich überhaupt an ein Posting denken könnte. Manchmal fehlt die entscheidende Idee.

Unter den vielen statistischen Daten, die ich täglich abrufen könnte, ist mir nur eine Angabe wichtig: Die Anzahl Besucherinnen und Besucher, die mehr als eine Viertelstunde auf dem Wahlkampfblog verweilt. Das sind Menschen, die sich offensichtlich mit meinen Gedanken auseinandersetzen, sich Zeit lassen. Für SIE schreibe ich.

Ich werde regelmässig gefragt:
Weshalb bloggst du? Nun, es gibt mehrere Antworten:

• Weil mir gewisse Themen auf den Nägeln brennen
• Weil ich die Auseinandersetzung mit einem Gedanken mag. Es ist eine Herausforderung, diesen Gedanken weiterzuentwickeln und schliesslich in einem Text zu verarbeiten
• Weil ich die Herausforderung mit der Sprache suche
• Weil es gut tut. Jawohl, schreiben hat zuweilen eine psychohygienische Wirkung
• Weil es für mich lehrreich ist, sich im Web auszutauschen. Es gibt Blogs, vor deren Betreiberinnen und Betreibern ziehe ich den Hut, chapeau!
• Weil ich manchmal schneller sein will als die Agenturjournalisten
• Weil ich in den Diskurs eine weitere Perspektive einbringen möchte

Einige meiner Begründungen tönen ambitioniert. Und daran scheitere ich auch. Weil es mir an Zeit fehlt, an der Stringenz in der Argumentation, weil die andere Perspektive nicht wirklich anders ist.

Trotzdem blogge ich weiter.

P.S.   Anfang Dezember 2008 schrieb ein Bundesratskandidat einen langen Kommentar. Zwei Tage später rief seine Ex-Frau an mit der Bitte, diesen doch wieder zu entfernen. Ich habe es getan. Dem Frieden zuliebe.

Transparenz: Mein Profil im Spinnennetz

Zuweilen höre ich von Linken, dass ich ein Rechter sei. Und Rechte äussern manchmal die Vermutung, ich sei ein Linker.

Nun, ich will es hier öffentlich machen: Ich halte das Links-Rechts-Denken und -Einordnen für überholt. Es bringt uns nicht weiter. Gemäss dem Spinnennetz von Smartvote sind meine Positionen so zu verorten:

bal_2008_larger.jpg

Dieses Profil basiert auf dem Fragenbogen zu den kommunalen Wahlen in der Stadt Bern vom 30. November 2008. Zum Vergleich: Bei den Nationalratswahlen 2007 sah mein “Smartspider” so aus:

bal_2007_larger.jpg

Mit diesen Profilen könnte ich zum sozial-liberalen Flügel der FDP, den Grünliberalen und in der Stadt Bern der GFL, zur CVP oder zum Reformerflügel der SP gehören.

Oder ich bleibe unabhängig – und kritisiere und lobe von links bis rechts alle. Alles klar?

Eine kurze Nabelschau genau 18 Monate nach der Geburt

Heute vor 18 Monaten, am 22. Januar 2007, erschien unser Buch “Wahlkampf in der Schweiz”. Heute vor 18 Monaten schrieb ich hier meinen ersten Beitrag. Es war eine Empfehlung zum Wahljahr 2007. Damals ging unser Buch weg wie heisse Weggli, jeden Abend schleppten wir eine grosse Kiste zur Post. Das erste Posting hingegen blieb unentdeckt. Es gurkte im WWW herum, für ein Millionenpublikum problemlos greifbar, niemand wollte es lesen. Niemand.

Statistiken können demotivieren.

Ich trank einen Alpenbitter, flüchtete mich in die Ironie und bloggte weiter. Anfänglich nur ab und an, seit letztem Sommer regelmässig. Inzwischen sind 167 verschiedene Beiträge in die virtuelle Welt gepurzelt, die 575 Kommentare generierten. Das ergibt knapp 3,5 Kommentare pro Posting.

Am meisten Kommentare, nämlich 39, gab es für den Beitrag “Armeechef Roland Nef, das Polizeiprotokoll und seine Falschaussage” von vorgestern. Auf Platz zwei: “Widmer-Schlumpf ist gewählt” mit 35 Kommentaren.

Inzwischen wird das Wahlkampfblog – jawohl, DAS – auch gelesen. Gestern verzeichnete es beispielsweise 774 Besuche, ein Spitzenwert. Im Monat Juni zeigt die Statistik: knapp 10’000 Besuche, 35’000 Seiten. Das gibt Schub. Zwischen 12 und 15 Prozent aller Besucherinnen und Besucher lesen hier länger als eine halbe Stunde. Das wiederum motiviert mich.

Meinem hehren Anspruch, vor allem zu analysieren und einen anderen Aspekt einzubringen, kann ich meistens nicht einlösen. Fast immer fehlt die Zeit, oft die zündende Idee. Trotzdem: ich bleibe dran. Bloggen hat Suchtpotential, das Medium ist faszinierend, Schreiben ist für mich Arbeit am Gedanken.

Und jetzt liegt der Ball bei Ihnen. Ich bin offen für Kritik. Sagen Sie mir Ihre Meinung. Und falls Sie es nicht öffentlich machen möchten, geht es auch “hindedüre”: mark.balsiger@border-crossing.ch

Ich danke. Und jetzt Schluss mit der Nabelschau – back to work.

Mark Balsiger

Wo waren die Blogger am Wahlabend?

Um ein grösseres Publikum zu erreichen, sind Schweizer Polit-Blogs auf die Erwähnung in etablierten Medien angewiesen. Unverhofft schaffte es der “wahlkampfblog” – weiterhin ein Experiment -, erstmals in einer Tageszeitung genannt zu werden. Eine Journalistin der “Basler Zeitung” suchte am Wahlabend nach aktuellen Blogbeiträgen – und wurde offenbar kaum fündig. Hier ihr Artikel:
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© Basler Zeitung; 22.10.2007; Seite 4

Wo bleiben die Blogger?

Im Internet bleiben die Kommentare zu den Wahlen spärlich

BARBARA STÄBLER

Die baz wollte wissen, wie stark die Schweizer Bloggerszene die Wahlen verfolgt und kommentiert.

Dank den Weblogs oder auch Blogs genannt, kann der Bürger seine Meinung zur aktuellen Politik und sein Wissen mit anderen schnell und ungefiltert teilen. Blogs, so die Meinung in der Bloggerszene, führten damit zu einer Demokratisierung der Information; die Medien aber verlören dadurch ihre Bedeutung.

Ein Blick ins Internet am Abend der Eidgenössischen Wahlen ist ernüchternd, die Bloggerszene verhält sich ruhig. Zu kommentieren und zu spekulieren gäbe es genügend: die erneute Erstarkung der SVP, den Erfolg der Grünen oder den Absturz der SP.

Doch als Polit-Blogs aufgeführte Weblogs wie edemokratie.ch, ignoranz.ch oder freilich.ch bleiben am Wahlsonntag stumm. Der Blog wahlkampfblog.ch einer Berner PR-Agentur publiziert am Sonntagabend wenigstens einen Kurzbeitrag. «Die Grünen machten vor, wie man faktisch ohne Budget stark zulegen kann. Ein klares Profil macht den Unterschied und wirkt, wenn wenige Themen auf Jahre hinaus konsequent bewirtschaftet werden», wird der Sieg der Grünen kommentiert.
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Gebloggt wurde selbstverständlich auch am Wahlabend – Blogger sind vor allem am Abend und in der Nacht aktiv. Man hätte etwas länger suchen müssen – oder später damit beginnen. Aber zu diesem Zeitpunkt war die “Basler Zeitung” wahrscheinlich bereits im Druck. Das ist der erschlagende Vorteil der Weblogs. Ich werde das Experiment darum vorläufig weiterführen, auch wenn die eidgenössischen Wahlen nun vorüber sind.

Mark Balsiger