Den aufwändigsten Wahlkampf hat wie gewohnt der Stand Zürich erlebt. Das Buhlen um die beiden gleichzeitig frei werdenden Ständeratssitze stellte alles andere in den Schatten.
In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob die Links- und Mitte-Links-Parteien zu einer gemeinsamen, kohärenten Strategie fähig sind. Alle gegen Ueli Maurer, lautet die Devise. Der Parteipräsident der SVP Schweiz holte hinter dem gewählten Felix Gutzwiller (fdp) den zweiten Platz. Die heiss diskutierte Frage: Wer kann Maurer im zweiten Wahlgang echt herausfordern, Chantal Galladé (sp, 3.) oder Verena Diener (Grünliberale, 4.)?
Blenden wir kurz zurück: Galladé war vorerst die Verlegenheitskandidatin der SP. Der Kronfavorit Markus Notter wollte nicht, später winkten die beiden populären Stadtpräsidenten, Ernst Wohlwend, Winterthur, und Elmar Ledergerber, Zürich, ab. Und auch Jacqueline Fehr, die profilierteste unter den national bekannten Zürcher SP-Persönlichkeiten, verspürte keine Lust, ein zweites Mal für das “Stöckli” anzutreten.
Chantal Galladé ist im Verlaufe des Wahlkampfs über sich hinaus gewachsen. Sie fiel nicht nur mit Frische und Jugendlichkeit auf, sie rührte auch keck an einem Tabu der Linken. Mit ihrem “12-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Jugendgewalt” lancierte sie geschickt ein Thema, das dank der Unterstützung von Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch noch zusätzlich Relevanz erhielt. Damit erreichten beide während Wochen grosse mediale Aufmerksamkeit.
Mit ihrem Resultat von rund 110’000 Stimmen und dem klaren dritten Platz darf Galladé mehr als zufrieden sein. Ohne die Ständeratskandidatur hätte sie um die Wiederwahl als Nationalrätin zittern müssen. Die Rechnung ist für sie und ihre Partei vorerst aufgegangen. Es wäre ein krasser Fehler, auf Grund dieser Ausgangslage für den zweiten Wahlgang anzutreten. Galladé, die ein pointiert linkes Profil hat, schöpfte ihr Stimmenpotential weitgehend aus. Sie kann im zweiten Wahlgang nur verlieren, und damit wäre der Glanz wieder weg. Und genau das kann sich die SP des Kantons Zürich nicht mehr leisten, ist sie doch die einzige Junge unter den Bisherigen. Die Partei tut gut daran, die 34-Jährige nicht zu verheizen. (Sie wiederum würde gut daran tun, ihre Website zu aktualisieren – kleiner Wink mit dem Zaunpfahl…)
Bei Lichte betrachtet kann für die vereinte Linke nur Verena Diener die Kastanien aus dem Feuer holen. Sie geniesst bis weit in bürgerliche Kreise Sympathien und könnte einen bedeutend grösseren Teil des Elektorats mobilisieren; sie hat in harten Wahlkämpfen viel Erfahrung gewonnen; sie könnte als moderate Politikerin im Ständerat etwas bewirken; sie steht im Herbst einer langen politischen Laufbahn und hat deshalb nichts mehr zu verlieren. Man darf getrost davon ausgehen, dass viele FDP-Wähler am 25. November nicht mehr an die Urne gehen. Sie haben ihren Kandidaten im ersten Anlauf ins Ziel gebracht. Dass die Freisinnigen für Ueli Maurer, der sie während Jahren verhöhnt hat, Stricke zerreissen werden, dürfen wir ausschliessen. So weit geht die Bruderliebe nicht, auch wenn offiziell das Gegenteil behauptet wird.
Die vereinte Linke hätte die Chance, einen psychologisch wichtigen Sieg zu landen. Wenn sie dieses Ziel ins Zentrum stellt und interne Animositäten, die es zwischen SP, Grünen, Grünliberalen, CVP und EVP gibt, (vorübergehend) begräbt, liegt eine Überraschung drin. Die Parteispitzen haben jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass sie strategisch etwas auf dem Kasten haben.
Mark Balsiger