Galladé geht in die Offensive

Chantal Galladé und die SP Zürich halten sich an eine alte Fussballweisheit: Angriff ist die beste Verteidigung. Heute hat die Winterthurer Nationalrätin bekräftigt, für den zweiten Wahlgang anzutreten. Was die Grünliberalen und Verena Diener entscheiden, wird nicht abgewartet. Die Gespräche beider Parteien hat keine Einigung erzielt.

Die schnelle Ankündigung, erneut für den Ständerat zu kandidieren, ist durchaus geschickt. So wird der Druck auf Diener massiv erhöht, nun den Verzicht zu erklären. Sollte sie das nicht tun, ist der Mist geführt: Die Stimmenzersplitterung im Mitte-Links-Lager wäre zu gross, um Ueli Maurer gefährlich zu werden.

Ob Galladé allerdings auch alleine eine Chance hat, bezweifle ich – siehe auch den Beitrag von gestern (“Verheizen oder geschickt taktieren”). Es wäre ein ungleich besserer Start in vier intensive Wochen gewesen, wenn SP und Grünliberale die Grösse und Cleverness gehabt hätten, sich auf eine Kandidatin einzuschwören.

Ich bleibe dabei: Chantal Galladé hat ihr Stimmenpotential im ersten Wahlgang nahezu erreicht, viel mehr liegt nicht drin.  Und gegen einen Gegner wie Ueli Maurer reicht das bei weitem nicht. Zum derzeitigen Wahlkater der SP wird sich am 25. November noch der Katzenjammer dazukommen. Und bei Galladé ist der in diesem Jahr erkämpfte Glanz wieder weg.

Mark Balsiger

Verheizen oder geschickt taktieren?

Den aufwändigsten Wahlkampf hat wie gewohnt der Stand Zürich erlebt. Das Buhlen um die beiden gleichzeitig frei werdenden Ständeratssitze stellte alles andere in den Schatten.

In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob die Links- und Mitte-Links-Parteien zu einer gemeinsamen, kohärenten Strategie fähig sind. Alle gegen Ueli Maurer, lautet die Devise. Der Parteipräsident der SVP Schweiz holte hinter dem gewählten Felix Gutzwiller (fdp) den zweiten Platz. Die heiss diskutierte Frage: Wer kann Maurer im zweiten Wahlgang echt herausfordern, Chantal Galladé (sp, 3.) oder Verena Diener (Grünliberale, 4.)?

Blenden wir kurz zurück: Galladé war vorerst die Verlegenheitskandidatin der SP. Der Kronfavorit Markus Notter wollte nicht, später winkten die beiden populären Stadtpräsidenten, Ernst Wohlwend, Winterthur, und Elmar Ledergerber, Zürich, ab. Und auch Jacqueline Fehr, die profilierteste unter den national bekannten Zürcher SP-Persönlichkeiten, verspürte keine Lust, ein zweites Mal für das “Stöckli” anzutreten.

Chantal GalladéChantal Galladé ist im Verlaufe des Wahlkampfs über sich hinaus gewachsen. Sie fiel nicht nur mit Frische und Jugendlichkeit auf, sie rührte auch keck an einem Tabu der Linken. Mit ihrem “12-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Jugendgewalt” lancierte sie geschickt ein Thema, das dank der Unterstützung von Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch noch zusätzlich Relevanz erhielt. Damit erreichten beide während Wochen grosse mediale Aufmerksamkeit.

Mit ihrem Resultat von rund 110’000 Stimmen und dem klaren dritten Platz darf Galladé mehr als zufrieden sein. Ohne die Ständeratskandidatur hätte sie um die Wiederwahl als Nationalrätin zittern müssen. Die Rechnung ist für sie und ihre Partei vorerst aufgegangen. Es wäre ein krasser Fehler, auf Grund dieser Ausgangslage für den zweiten Wahlgang anzutreten. Galladé, die ein pointiert linkes Profil hat, schöpfte ihr Stimmenpotential weitgehend aus. Sie kann im zweiten Wahlgang nur verlieren, und damit wäre der Glanz wieder weg. Und genau das kann sich die SP des Kantons Zürich nicht mehr leisten, ist sie doch die einzige Junge unter den Bisherigen. Die Partei tut gut daran, die 34-Jährige nicht zu verheizen. (Sie wiederum würde gut daran tun, ihre Website zu aktualisieren – kleiner Wink mit dem Zaunpfahl…)

Verena DienerBei Lichte betrachtet kann für die vereinte Linke nur Verena Diener die Kastanien aus dem Feuer holen. Sie geniesst bis weit in bürgerliche Kreise Sympathien und könnte einen bedeutend grösseren Teil des Elektorats mobilisieren; sie hat in harten Wahlkämpfen viel Erfahrung gewonnen; sie könnte als moderate Politikerin im Ständerat etwas bewirken; sie steht im Herbst einer langen politischen Laufbahn und hat deshalb nichts mehr zu verlieren. Man darf getrost davon ausgehen, dass viele FDP-Wähler am 25. November nicht mehr an die Urne gehen. Sie haben ihren Kandidaten im ersten Anlauf ins Ziel gebracht. Dass die Freisinnigen für Ueli Maurer, der sie während Jahren verhöhnt hat, Stricke zerreissen werden, dürfen wir ausschliessen. So weit geht die Bruderliebe nicht, auch wenn offiziell das Gegenteil behauptet wird.

Die vereinte Linke hätte die Chance, einen psychologisch wichtigen Sieg zu landen. Wenn sie dieses Ziel ins Zentrum stellt und interne Animositäten, die es zwischen SP, Grünen, Grünliberalen, CVP und EVP gibt, (vorübergehend) begräbt, liegt eine Überraschung drin. Die Parteispitzen haben jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass sie strategisch etwas auf dem Kasten haben.

Mark Balsiger

Grünliberale: Das Flirten beginnt

Auf Anhieb holten die Grünliberalen im Kanton Zürich drei Sitze. Das ist beachtlich und erklärt zu einem Teil die Schlappe der SP.

Drei Nationalratsmandate im eidgenössischen Parlament helfen aber gar nichts, die Grünliberalen wären Einzelmasken, ohne Möglichkeit, in Kommissionen Einsitz zu erhalten, ohne Fraktionsbeiträge, ohne Einfluss. Entsprechend werden sie sich nach einer Partnerin umschauen. Nur mit mindestens fünf Sitzen kann eine Fraktion gebildet werden. Es gibt nur drei Varianten:

a) Mit der EVP, die nur noch zwei Sitze hat und mit ihrer bisherigen Partnerin, der EDU, die Fraktionsstärke nicht mehr erreichen würde

b) Mit EVP und EDU zusammen, was ich als unwahrscheinlich erachte, weil die EDU zu konservativ positioniert ist

c) Eine Aufnahme bei der CVP, die ihre Avancen schon formuliert hat

Dass die Grünliberalen in den Schoss der Grünen zurückkehren könnten, ist auszuschliessen. Vor drei Jahren trat Martin Bäumle unter lautem Getöse aus und Verena Diener sistierte ihre Parteimitgliedschaft vorerst.

Die Grünliberalen werden also ab sofort umschwärmt wie eine Braut. Gleichzeitig sind aber auch bereits am Flirten. In den äusserst labilen Mehrheitsverhältnissen können sie in der kommenden Legislatur eine überproportional wichtige Rolle spielen.

Mark Balsiger, 23.30 Uhr

P.S. Wären die Grünliberalen forscher an die Gründung von kantonalen Sektionen gegangen, hätten sie aus eigener Kraft Fraktionsstärke erreicht. Selber Schuld.

Der “Messerstecher” will zurück

Kennen Sie Hans-Rudolf Abächerli?

 

Vermutlich nicht.

Mit Sicherheit kennen Sie aber seine Handschrift. Abächerli ist der Wegbereiter des umstrittenen Schaf-Sujets mit dem die SVP seit Monaten auf Stimmenfang geht.

Abächerli hatte 1993 das Messerstecher-Inserat in die Welt gesetzt, später folgen Kreationen gegen die „Linken und Netten“, das Stiefel-Inserat usw. usf. Hans-Rudolf Abächerli war von 1977 bis 1994 verantwortlich für alle Kampagnen der Zürcher SVP, und zwar für die Stadt- wie und die Kantonalsektion. 1977 begann übrigens auch der Aufstieg der Zürcher SVP, die damals einen Wähleranteil von nicht einmal 12 Prozent erreichte (seit Ende der 90er-Jahre hat sie mehr als 30 Prozent). 1977 wurde als Kantonalparteipräsident ein gewisser Christoph Blocher gewählt.

Doch zurück zu Abächerli: Nach seiner Pensionierung 1994 wanderte er aus. Auf eine Karibikinsel. Jetzt möchte der 79-jährige zurück und kandidiert auf der Auslandschweizer-Liste der SVP.

Das Schaf-Sujet hat nicht nur UNO und Dutzende von ausländischen Medien aufgeschreckt. Es wurde in Deutschland auch von der NDP kopiert. Die Kreativen der SVP Schweiz bedienten sich im Ausland. Wie der Frog-Blog berichtet, stammt das Original von einem englischen Illustrator.

Schockierende Plakate und Inserate sind in der Schweizer Politwerbung keine Erfindung der SVP. Zwischen den beiden Weltkriegen, insbesondere in den 30er-Jahren, griffen sich die Kommunisten und Faschisten oftmals heftig an. Die Bildsprache der damaligen Sujets zeigte beispielsweise die furchterregende Fratze von Stalin, der ein Messer zwischen den Zähnen hat.

Diesen Stil hat die SVP 1993 wieder aufgenommen. Einen Teil ihres Erfolgs verdankt sie Hans-Rudolf Abächerli.

Mark Balsiger

Mörgeli, unser aller Müllmann

Eine Glosse

Wahlkampf mit Abfall – kein Problem. Einer Sommerserie von „TeleZüri“ sei Dank. Der Privatsender begleitete Prominente, Missen, Schlagersternchen und Dreckwerfer bei ausgefallenen Tätigkeiten.

Christoph Mörgeli, Medizinhistoriker am Tropfe von Väterchen Staat, rakröhrender* Infanterist mit viel Erfahrung im Schützengraben und scharfen Schuss, Wunschschwiegersohn fast aller Mütter Helvetiens, Kolumnen schreibender Verdauungsregulator, agent provocateur für die Sache des Guten, Bauchredner von Christoph B. und Nationalrat der Volkspartei, hat für einmal sein Konfirmanden-Outfit gegen ein oranges Übergwändli eingetauscht und ging auf Ghüdertour. Quer durch „Downtown Switzerland“. Dieses Oeuvre wird uns am 1. August präsentiert – zwischen Fahnenschwung, zweitem Cervelat und den kahl geschorenen Patridioten, die die News der nächsten Tage dominieren werden.

„Für mich ist Müllmann eine ausgezeichnete Wahl“, findet Mörgeli. Kein Wunder, in der heutigen Ausgabe von „20Minuten“ ist er auf der Frontseite abgebildet. Gleich viermal. Und immer mit seinem angeborenen Grinsen. So viel Gratiswerbung hat in diesem Wahljahr noch kaum ein Kandidat erhalten. Gratulation auch an Tamedia: Das ist Konzernjournalismus, der mindestens bis zum Uetliberg hinauf stinkt.

Bern, heute Morgen im 9i-Tram: Ein Mann mittleren Alters greift nach einer Gratiszeitung, betrachtet die vier Fotos und meint zu seinem Kollegen nebenan: „E lueg, dr Mörgeli aus Ghüdermaa! Jitze hett dä ändlech sini wahri Beruefig gfunge.“

Mark Balsiger

* Für alle Frauen, Zivis, Pazifisten und Nicht-Schweizer: Das Rakrohr ist die Paradewaffe des Infanteristen.

Grünliberale: Die Bäumles wachsen nicht in den Himmel

Der Wahlerfolg der Grünliberalen in Zürich ist weiterhin ein zentrales Thema. Nur drei Jahre nach der Parteigründung fast 6 Prozent bzw. 10 Sitze zu erringen ist eine Sensation. Martin Bäumle, der einzige grünliberale Nationalrat, denkt euphorisiert und laut über die Gründung einer schweizerischen Partei nach.

Die erste Frage, die sich aufdrängt: Wie gross ist das Potenzial einer solchen Partei? Gerade in den urbanen Zentren könnte sie selbstbewusst eine Nische besetzen und ungebundene Wähler, aber auch Wechselwähler ansprechen. Menschen, die sich bei der SP nicht mehr zuhause fühlen, weil sie konservativ geworden ist und auf dem Status Quo beharrt. Menschen, die die FDP als heterogene Truppe, die primär für Partikulärinteressen kämpft, wahrnehmen.

Die zweite Frage: Wer würde den Grünliberalen beitreten? In anderen Ländern entstehen binnen weniger Monate neue kraftvolle Parteien. Nicht so in der Schweiz. Zu den grossen Parteien, die seit der Gründung des modernen Bundesstaats das Zepter führen, gesellten sich phasenweise Kleinparteien, die durchaus ein gewisses Gewicht und charismatische Persönlichkeiten in ihren Reihen hatten. Genannt seien hier der Landesring des Migros-Gründers Duttweiler, aber auch die POCH, die Nationale Aktion (James Schwarzenbach) und später die Autopartei. Alle sind sie wieder eingegangen, alle hatten sie Mühe, in der ganzen Schweiz Fuss zu fassen.

Dass die Grünliberalen Potenzial haben, zeigt der Fall Bern exemplarisch. Die Grüne Freie Liste (GFL), die sich Anfang der 1980er-Jahre aus dem Freisinn herauslöste, ist im Stadtparlament die drittstärkste Kraft. Bei den kantonalen Wahlen im Frühling 2006 holte sie im Wahlkreis der Stadt Bern 17,4 Wählerprozente. Damit hat sie sogar die FDP überflügelt. Diese Erfolgsgeschichte wurde ausserhalb der Bundesstadt kaum zur Kenntnis genommen.

Auf kantonaler Ebene fusionierte die GFL unlängst mit dem Grünen Bündnis, das stark gewerkschaftlich geprägt ist. Gemeinsam treten sie als „Grüne Bern“ auf. Und damit schwinden die Chancen für die Zürcher Grünliberalen, im Oktober Kollegen aus der deutschen Schweiz zu erhalten, wie der Schnee am Fusse des Aletschgletschers. Ausserhalb der beiden grössten Kantone Zürich und Bern ist es ungleich schwieriger, einen Sitz zu gewinnen. Im Kanton Aargau beispielsweise braucht es dafür einen Wähleranteil von rund 6 Prozent. Folglich ruhen die Hoffnungen auf der Romandie. In den Kantonen Neuenburg, Waadt und Wallis tritt die Bewegung “Ecologie libérale” mit eigenen Listen an. Wenn sie drei Sitze holen würde, käme das einer Sensation gleich.

Fazit: Der Erfolg der Grünliberalen bleibt vorerst ein Zürcher Phänomen. Im Herbst kann es sich in Zürich wiederholen. Mit demselben Wähleranteil wie am letzten Sonntag würde die Partei zwei Nationalratssitze holen. Verena Diener wiederum könnte in den Ständerat einziehen. Ihre Chancen sind intakt. Für viele Zürcherinnen und Zürcher ist das Duo Felix Gutzwiller und Verena Diener eine valable Option.

National hingegen wachsen für die Grünliberalen die Bäume nicht in den Himmel. Fraktionsstärke (5 Mandate im Nationalrat) zu erreichen wird sehr, sehr schwer werden. Martin Bäumle, der aus der grünen Fraktion ausgetreten ist, musste die letzten drei Jahre erleben, wie hart das Brot als Einzelkämpfer ist – und wie klein der Einfluss. Womit wir bei einer gerade bei den Grünen oft gestellten Frage sind: Was nützen uns die Wahlerfolge, wenn wir die politische Marschrichtung nicht stärker beeinflussen können?

Mark Balsiger

Jetzt wird die Ernte eingefahren

Die kantonalen Wahlen von Zürich haben traditionell einen Sonderstatus. Aus drei Gründen:

  • Der letzte Test: Die Zürcher Wahlen sind die letzten auf kantonaler Ebene vor den eidgenössischen Wahlen
  • Das demografische Gewicht: Jeder siebte Mensch in diesem Land lebt im Kanton Zürich
  • Die geballte Medienmacht: Zürich ist die Medienhauptstadt der Schweiz, was sich auch in der überproportionalen Beachtung der Zürcher Politik niederschlägt

SP-Präsident Martin Naef wird heute Morgen mit einem Kater aufgestanden sein. Der Verlust von 7,2 Wählerprozenten ist für die SP dramatisch, ein Erdrutsch von historischem Ausmass. Die Gründe waren wie immer schnell genannt. Sieger und Verlierer rühren im Kaffeesatz und mischen dabei Mutmassungen und Thesen mit den wenigen Fakten, die zurzeit vorliegen.

Vorerst ein Faktum: Die Grünen legten in den letzten vier Jahren in allen Kantonen zu. Der Zürcher Grosserfolg ist die glanzvolle Bestätigung, ja eine veritable Sensation dieses Trends. Dieser klare Trend wird in den nächsten Tagen und Wochen zu einem Hype führen: „Grün gewinnt!“, Ruth Genner auf allen Kanälen, ein grüner Bundesratssitz rücke in Greifweite und so weiter und so fort. Das ist beste Gratiswerbung, die auch mit viel Geld nicht annährend zu erreichen wäre.

Die Grünen profitieren vom so genannten „bandwagon effect“. Vereinfacht: Der Mensch will zu den Gewinnern gehören. Wer im Herbst sicher gewinnen will, muss grün wählen. Diese Verkürzung wird den Grünen am 21. Oktober einen Wähleranteil von 10 bis 11 Prozent (heute 7,3 Prozent) und zusätzliche Sitze bescheren. Ihr Elektorat besteht aus jungen Neuwählern, vor allem aber Wechselwählern, die früher der FDP oder SP ihre Stimme gaben.

Die Grünen fahren in diesem Jahr die Ernte für ihre konsequente Arbeit ein. Ihre Positionen sind in der öffentlichen Wahrnehmung klar. Das gibt Profil und wird sie im Oktober zu den Siegern machen – zusammen mit der SVP. Die Medien werden auf dieser Erfolgswelle mitreiten und so den Wahlkampf der Grünen zusätzlich befeuern. Mediale Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zum elektoralen Erfolg.

Mark Balsiger