Quereinsteiger in der Politik: Hohe Erwartungen, bescheidene Wirkung

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GAST-BEITRAG von Sarah Bütikofer *

Im Februar 2014 möchte Filippo Leutenegger (fdp) Stadtpräsident von Zürich werden. Er ist seit zehn Jahren Nationalrat und gehörte in Bern anfänglich einer raren Spezis an: er ist ein sogenannter Quereinsteiger. Ohne vorherige politische Erfahrung aus einem anderen Amt wurde der bekannte Fernsehmann im Herbst 2003 von den Zürcher Stimmberechtigten direkt in den Nationalrat gewählt. Nach einem Jahrzehnt in der Bundespolitik zieht es ihn zurück in seine Stadt. Meist verläuft die politische Karriere in die andere Richtung. Man sammelt erste Erfahrungen auf der kommunalen Ebene und arbeitet sich Schritt für Schritt auf die nationale Ebene vor. Kommt man dort an, ist man routiniert und bereits mit parlamentarischen und parteiinternen Abläufen vertraut.

Quereinsteiger gelten als Hoffnungsträger. Man nimmt an, dass sie eine bürgernahe Politik verfolgen, über viel Berufserfahrung aus der Privatwirtschaft verfügen und parteiunabhängiger politisieren. Eine kürzlich vorgestellte Studie aus Deutschland** hat diese Hoffnungen relativiert. Man darf von Quereinsteigern in der Politik nichts Weltbewegendes erwarten. Im Deutschen Bundestag, einem Berufsparlament, ist jeder zehnte Parlamentarier ein Quereinsteiger. Sie treten in der Regel spät in eine Partei ein und erreichen nach kurzer Zeit ein Mandat im Bundestag. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger werden von den Parteien für ihre berufliche Expertise geschätzt und zeichnen sich durch mehr Auslands- und Führungserfahrung aus als die typischen deutschen Berufspolitiker und “Parteiochsentourler”.

Fehlende politische Sozialisierung als grösster Nachteil

Im Gegensatz zu den hohen Erwartungen ist die Wirkung von Quereinsteigern beschränkt. Sie sind – zumindest in Deutschland – in wichtigen Fraktions- und Parlamentsämtern schlecht vertreten und können ihre Expertise nicht so zielgerecht in die parlamentarische Arbeit einbringen wie ihre etablierten Parteikollegen. Die Untersuchung, die an der ETH Zürich und an der Universität Konstanz durchgeführt wurde, brachte zudem zu Tage, dass sich die Eigenwahrnehmung von Quereinsteigern stark von der Wahrnehmung ihrer Ratskollegen unterscheidet.

Während letztere die fehlende politische Sozialisierung als grössten Nachteil für Quereinsteiger erachten, sind diese selbst oft der Meinung, durch ihre vorangegangene Berufserfahrung genügend gut auf den Parlamentsbetrieb vorbereitet zu sein. Wie die Studie weiter zeigt, bringen Quereinsteiger bekannte politische Persönlichkeiten weder zu Fall noch verändern sie Parteien grundlegend. Ihnen fehlt der dafür notwendige direkte Draht zur Fraktionsführung, die Verankerung auf der lokalen und regionalen Ebene sowie der Zugang zu den Netzwerken innerhalb einer Partei, die sich andere Politiker über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, aufgebaut haben.

Die wenigsten Quereinsteiger kommen aus dem Nichts

filippo_Leutenegger2_200_fernwaerme_schweiz_chEine vergleichbar detaillierte Analyse der Karrierewege der Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern liegt noch nicht vor. Wir wissen nur, dass der Anteil der Quereinsteiger in der Bundesversammlung seit einem Jahrhundert konstant ist. Pro Legislatur gewinnen jeweils zwischen zwanzig und dreissig Kandidierende ohne politische Erfahrung aus kommunalen oder kantonalen Ämtern einen Sitz im eidgenössischen Parlament.*** Aus dem Nichts kommen allerdings die wenigsten. In der Regel waren sie in einer Partei aktiv und verfügten deshalb in ihrem Kanton über einen gewissen Bekanntheitsgrad. Nur ganz wenige Personen aus den Bereichen Medien, Sport oder Kultur waren so bekannt, dass sie es auch ohne etablierte Parteibeziehung direkt nach Bern geschafft haben. Ganz grosse Stricke haben diese in der Bundespolitik aber selten zerrissen.

Ob es Filippo Leutenegger (Foto rechts) gelingt, in der rot-grün dominierten Stadt Zürich die amtierende Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp) vom Thron zu stossen, ist eher fraglich, dürfte aber weniger an seiner inzwischen grossen Erfahrung als Politiker, denn an seinen politischen Positionen und an seiner kleineren Hausmacht liegen. Die Ausgangslage zu den Wahlen in die Exekutive der Stadt Zürich skizzierte die NZZ Mitte November präzis.

* Sarah Bütikofer ist promovierte Politikwissenschafterin mit den Schwerpunkten Schweizer Politik und Parlamentsforschung. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich und ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen der Schweiz.

** Bailer, Stefanie, Peter Meissner, Tamaki Ohmura und Peter Selb (2013): Seiteneinsteiger im Deutschen Bundestag. Wiesbaden: Springer.

*** Pilotti, Andrea (2012): Les parlementaires suisses entre démocratisation et professionnalisation (1910 – 2010). Biographie collective des élus fédéraux et réformes du Parlement helvétique. Thèse en sciences politiques, Université de Lausanne, Faculté des sciences sociales et politiques.

Fotos:
– Sarah Bütikofer: Alicia Martorell
– Filippo Leutenegger: Fernwärme Schweiz

 

Doris Fiala und ihre “gröberi Gschicht”

 

Doris Fiala ist in Schieflage. Wie die ETH Zürich in einer Medienmitteilung schreibt, wurde die Abschlussarbeit der Nationalrätin nicht anerkannt, weil sie Plagiate enthalte. Den Titel “Master of Advanced Studies” (MAS) – nicht zu verwechseln mit einem Masterstudium, das mit einem “Master of Arts” (M.A.) oder einem “Master of Science” (M.Sc.) abgeschlossen wird – darf Fiala nicht mehr tragen. Die professionellen Plagiatssucher von “VroniPlag” in Nürnberg stellten schon vor geraumer Zeit fest, dass es in Fialas Abschlussarbeit auf insgesamt 74 Seiten plagiierte Stellen hat.

Damit es zu keiner Fehlinterpretation kommt: “VroniPlag” wurde aus eigenem Antrieb aktiv; die Entscheidung der ETH basiert auf dem Gutachten eines anderen externen Spezialisten.

Vor etlichen Jahren erlangte Doris Fiala den Abschluss einer PR-Assistentin mit eidgenössischem Fachausweis. Aus Theorie und Praxis weiss sie, dass ihre Reputation aus diese Fall Schaden nimmt. Es gilt das Schlimmste abzuwenden, mithin ist es besser, hinzustehen und sich zu erklären. Das tat Fiala heute Morgen gegenüber vielen Medien. Strahlend. Sie nennt es “Vorwärtsstrategie”.

Zu einer schnellen und glaubwürdigen Kommunikation zählten aber auch absolute Transparenz und Ehrlichkeit. Im Video-Interview mit “Tages-Anzeiger” online erklärt sich Fiala. Die Passage ab 3:58 wird hier transkribiert und von “Züridütsch” in holpriges Hochdeutsch übersetzt:

“Man sagt explizit in diesen Gutachten und auch die ETH sagt, dass ich weder geschummelt (“bschisse”) habe noch einen Betrug begangen habe, sondern dass mir leider Fehler passiert sind.”

Man reibt sich erstaunt die Augen und hört diese Passage ein zweites Mal und ein drittes Mal ab. Fassen wir zusammen: In der Abschlussarbeit wurden Plagiate festgestellt, Fiala will aber nicht bemerkt haben, dass sie geschummelt hat.

Doris Fiala hält selbstverständlich an ihrem Nationalratsmandat fest, obwohl dieser Fall “e gröberi Gschicht” sei, wie sie selber sagt. Sie sei nicht angezählt, sondern “marschiere weiter”. Der Reputationsschaden ist angerichtet. In Mitleidenschaft werden auch die FDP und die Politik insgesamt gezogen.

Die Story dreht weiter: Das Trommeln dürfte lauter werden und auch die ETH kommt unter Druck.

Mark Balsiger


Frühere Beiträge über Doris Fiala:

Doris Fiala ist wie ein Kampfhelikopter (20. März 2012)
FDP Zürich: Zurück zum aufrechten Gang (27. November 2007)

Natalie Rickli und die Medien

Inland - SRF Projekt Treffpunkt BundesplatzNatalie Rickli (svp) ist zurück. Am letzten Sonntag verkündete sie auf Twitter:

“Back in Politics – back on Twitter.”

Dazu verlinkte sie auf das grosse Interview mit ihr im “Sonntagsblick”. Dort und tags darauf in einem Porträt der SRF-Sendung “Puls” präsentiert sich die Zürcher Nationalrätin von einer Seite, die wir von ihr bislang nicht kannten: verletzlich und differenziert. Der Kontrollfreak, der seine Privatsphäre zuvor rigoros abgeschirmt hatte, spricht erstmals über Persönliches.

Rickli wäre nicht Rickli, wenn sie ihr Comeback nicht sorgsam orchestriert hätte. Allerding gibt es keine Zweifel: Jeder Sonntagstitel und viele andere Medien hatten sich in den letzten Wochen auch bemüht, ein exklusives Interview mit ihr in die Welt setzen zu können. Vor diesem Hintergrund hat die Kritik an ihrem PR-Coup, etwa im “Tages-Anzeiger”,  etwas Verlogenes.

Was wären Ricklis Optionen gewesen:

– Eine Medienkonferenz einberufen? Das hätte ihr mediale Schelte eingetragen. (“Völlig überheblich!”)

– Über Facebook und Twitter vermelden, dass sie “wieder da” ist, um die folgenden 24 Stunden 80, 100 oder noch mehr Interviews zu geben? Damit wäre sie bereits wieder ins alte Fahrwasser geraten, was man auch kritisiert hätte.

– Am ersten Sessionstag (4. März) wieder im Parlament auftauchen, um dann von den Medienschaffenden belagert zu werden? Der Rummel wäre unkontrollierbar geworden.

Rickli wäre nicht Rickli, wenn sie im über vier Seiten laufenden Interview nicht auch politisch gezeuselt hätte. Eine exemplarische Passage:

Was mich in den letzten zwei Jahren frustriert hat, ist die Tatsache, dass demokratische Volksentscheide nicht umgesetzt werden. Das Schweizer Volk hat im November 2010 Ja gesagt zur Ausschaffungsinitiative. Passiert ist bis heute nichts, im Gegenteil.”

Der Journalist versäumte es, nachzuhaken oder die Aussage in einen grösseren Kontext zu stellen. Womöglich war es ihm auch egal.

Interessant ist im Weiteren, wie der “Sonntagsblick” sein Exklusiv-Interview vermarktete: Er liess es am Sonntagmorgen um 7.30 Uhr über das Presseportal von der News Aktuell AG, einer Tochter der Schweizerischen Depeschenagentur sda, verbreiten.

Dieses Angebot ist kostenpflichtig und garantiert eine hundertprozentige Abdeckung: Sämtliche Schweizer Medien erhalten diesen Original-Text-Service von News Aktuell. Er wird von Verbänden, Unternehmungen und teilweise auch der Bundesverwaltung in Anspruch genommen. Von den Medien selbst greift einzig der “Sonntagsblick” alle paar Monate einmal auf dieses Angebot zurück.

Beim Rickli-Comeback war die Nutzung des Presseportals ein Must. Das Aushängeschild der SVP bringt alles mit, was es im Boulevardjournalismus braucht. Diese Ausgabe wird sich überdurchschnittlich gut verkauft haben.

Der Mix aus Prominenz, Parteizugehörigkeit, Aussehen und Alter, ergänzt mit der Begabung, in 20-Sekunden-Soundbites jedes Thema auf eine simple Message einzudampfen, löst bei vielen Journalisten einen Reflex aus; sie müssen reagieren. Sie, die von der Politikerin Rickli wenig halten, machten sie zu einem Medienstar.

Diese Kritik ist zugleich auch Selbstkritik: Als Blogger und Expertli nahm ich schon mehrfach Einschätzungen über Ricklis Wirken vor.

 

Foto Natalie Rickli: bernerzeitung.ch

 

Bezahlte Online-Kommentare: Medien tolerieren “Dialogkultur”, die ihnen schadet

Eine hässliche Blüte, die der Abstimmungskampf um die Abzocker-Initiative getrieben hat: Studenten schreiben im Stundenlohn und unter falschen Namen Online-Kommentare. “Pfui!” erschallt es vielstimmig in Social-Media-Kanälen. Mit Recht. Bewegen müssten sich allerdings die grossen Medienhäuser, die auf ihren Online-Portalen eine “Dialogkultur” heranwachsen liessen, die ihnen selber schadet.

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Wenn es bei Abstimmungen
hart auf hart geht, werden bei einzelnen Akteuren ethische Codices zu Makulatur. Eine Zürcher Werbeagentur verschob die Grenzen und heuerte Anfang Dezember ein paar Studenten an. Mit Textbausteinen ausgerüstet, füllten sie auf Online-Portalen die Kommentarspalten. Systematisch und mit falschen Namen schrieben sie gegen die Abzocker-InitIative an und manipulierten so die öffentliche Meinung. Wer die Instruktionen liest, die der “Tages-Anzeiger” in seiner heutigen Ausgabe publik macht, wähnt sich im falschen Film.

Es ist kein Problem, auf den grossen Online-Portalen mit einem Pseudonym oder mit einem falschen Namen mitzudebattieren; teilweise werden nicht einmal die hinterlegten E-Mail-Adressen verifiziert. Das Angebot ist bewusst niederschwellig, lautet doch die Devise bei den Medienhäusern: Je mehr Kommentare, desto besser. Sie wollen die User emotional an ihre Online-Portale binden, Communitys auf- und ausbauen. Das Rennen um Visits und Klicks geht weiter.

Exemplarisch der Aufruf zum Kommentieren von Blick online:

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Es liegt auf der Hand:
Wer online mit einem Pseudonym oder einem falschen Namen debattiert, kann kräftig und dumpf austeilen, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Das ist für ein paar Hundert Leute in diesem Land offensichtlich ein Freipass: Sie lassen Dampf ab, pöbeln und diffamieren. Wer sich einmal durch ein paar Dutzend Kommentare zu einem kontroversen Thema gelesen hat, kennt diese “Dialogkultur”. Sie konnte sich etablieren, weil die Betreiber zu viele Beiträge auf lamentablem Niveau freischalten.

Das es anders geht, zeigte das Wahlbistro, das ich 2008 lanciert hatte und 2010 aus zeitlichen Gründen leider wieder einstellen musste. Dort war die anonyme Teilnahme nicht möglich. Wer mitdebattieren wollte, musste nach der Registrierung zuerst von den Betreibern telefonisch verifiziert werden. Diese Massnahme wirkte sich positiv auf die Qualität der Kommentare aus, alle Teilnehmenden konnten nur mit ihren echten Vor- und Nachnamen Kommentare veröffentlichen.

Wenn die Medienhäuser ihre teilweise noch starken Marken nicht irreparabel schädigen wollen, sollten sie nun endlich Gegensteuer geben. Wer 15 Prozent Marge erzielt, kann es sich leisten, den Online-Kommentaren die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Dasselbe sollten sich die engagierten Leute der Diskussions-Plattformen Vimentis und Politnetz zu Herzen nehmen. Ich schaffte es vor ein paar Stunden auch dort problemlos, mit einem Fake-Konto (“Hans aus Bern”) Kommentare zu publizieren.

Screenshot aus “Politnetz”:

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Ich bin gespannt
, wie sich der Branchenverband der führenden Werbe- und Kommunikationsagenturen (bsw) und, so sie angerufen werden, die Schweizerische Lauterkeitskommission und der Schweizer Presserat zu diesem Fall äussern.

Weitere Beiträge zum Thema:

– Vimentis: Gegner der Abzocker-Initiative kaufen Leser-Kommentare (Thomas Minder)
Der identische Text erschien übrigens auch auf Politnetz. Dort aber wird Claudio Kuster als Autor genannt. Er ist die rechte Hand von Ständerat Minder.

– Arlesheim-Reloaded: Wissen Journis nicht, wie der Hase läuft?

– Cash: Gekaufte Studenten schreiben auf Newssites gegen Abzocker-Initiative
(Mit Updates der sda)

– Jacqueline Badrans Blog: Dauerbrenner Kommentare – ein Lösungsvorschlag

– Tages-Anzeiger/Bund: Polit-Werber auf Abwegen (31. Dez.; Iwan Städler)

– Medienwoche: Kommentare kaufen ist nicht Guerilla-PR (10. Jan. 2013; Daniel Jörg)


Foto: adi

 

 

 

Christoph Mörgeli: Die Luft ist dünn, die Kommunikationsleistung der Uni dürftig

Der Berner Schriftsteller Pedro Lenz nahm 2008 mit dem Titel seines Buches vorweg, was Christoph Mörgeli nun widerfährt: “Plötzlech hets di am Füdle.” In diesem Posting geht es allerdings nicht um den scharfzüngigen Nationalrat und Medizinhistoriker, sondern die Kommunikationsleistung der Universität Zürich.

Für den “Sonntag” ist der Fall klar: “Universität entlässt Professor Mörgeli” titelte die Zeitung auf der Frontseite. Die Artikel dazu lesen sich so, wie schon alles klar sei. Eine solche Zuspitzung grenzt an Rufmord, wie der Angeschossene zu Recht monierte. Der Presserat dürfte diesen Fall aufrollen müssen.

Aus meiner Perspektive ist es erstaunlich, wie die Universität Zürich bislang kommunizierte. Seit genau einer Woche ist der Fall Mörgeli in aller Munde, das Interesse der Medien enorm. Auf der Website der Hochschule findet man drei dürre Medienmitteilungen, der Direktor des Medizinhistorischen Instituts Flurin Condrau äusserte sich noch nie öffentlich.

Angesichts der Brisanz ist dieses Vorgehen wenig professionell. Auch wenn die Medienstelle völlig überrollt wird, die interne Kommunikation Vorrang hat und arbeitsrechtlich noch lange nicht alles geklärt ist, hätte eine erste Medienkonferenz spätestens am letzten Donnerstagmorgen stattfinden müssen. Diese hätte den Medienbeauftragten und dem Institut wieder Luft verschafft. Die drängendsten Fragen wären so für den Moment in Ruhe beantwortet worden. Die Verantwortlichen der Uni hätten ausführen können, weshalb gewisse Entscheidungen noch nicht spruchreif sind und wann die nächste Information – Medienmitteilung oder Medienkonferenz – erfolgen wird.

Weitere positive Nebeneffekte:
– Die Medienschaffenden hätten sich bei ihrer Suche nach Information ernst genommen gefühlt.
– Die Uni-Verantwortlichen hätten an Statur gewonnen.
– Es macht einen Unterschied, ob man Journalisten physisch vis-à-vis hat oder nur am Telefon.
– Die Verantwortlichkeiten und Abläufe hätten mit Folien erklärt werden können.

Stattdessen gehen bei der Medienstelle der Uni und beim Medizinhistorischen Institut seit nunmehr sieben Tagen  zahllose Anfragen ein, was kaum mehr ein konzentriertes Arbeiten möglich macht. Die Fakten wurden längst mit Gerüchten, Spekulationen, Thesen und Verunglimpfungen vermengt. Kaum jemand blickt mehr durch, berichtet wird trotzdem. Zum Schaden aller Beteiligten.

Mit stetiger Information hätte die Uni das Heft in der Hand behalten können. Die Kommunikationshoheit zurückzugewinnen ist in der verkachelten Situation und bei dieser Dynamik sehr schwierig.

Nebenbei: Die Universität Zürich ist auch auf Social-Media-Kanälen präsent: Doch weder auf Twitter noch auf Facebook findet man nur eine einzige Zeile zum Fall Mörgeli. Auch hier verpasst die Bildungsstätte eine Chance. Ich kenne Studierende, die sich nur noch via Twitter und Facebook informieren.

In den letzten Jahren wurde meine Agentur regelmässig bei Krisenfällen beigezogen. Dort, wo die Entscheidungswege schnell waren und die Zusammenarbeit klappte, blieben Reputationsschäden mit Ausnahme eines Falles aus. Und das wäre dann der Werbespot gewesen.

Mark Balsiger

 

P.S.  “Tageswoche”-Redaktor Philipp Looser fasst hier die bisherigen Ereignisse mithilfe von “storify” zusammen.

 

Foto Christoph Mörgeli: blick.ch

 

Wie aus dem Lehrbuch – zu Beginn

Dieser Tage sorgt ein Plakat mit einem schwulen CVP-Paar in der halben Schweiz für Aufmerksamkeit. Die Rechnung ist aufgegangen, freuen sich die Zürcher Akteure. Allerdings machten sie auch simple Fehler.

Offen gesagt: Ein solches Sujet hätte ich der CVP des Kantons Zürich nicht zugetraut. Sie verbucht damit einen Überraschungseffekt, die erste Phase der Kampagne rollt an wie im Lehrbuch:

Am Montag hängen die ersten Plakate in der Stadt Zürich, tags darauf greift der “Blick am Abend” die Kampagne auf. Die Medienkonferenz findet am Donnerstag statt. Weil noch hochsommerliche Newsflaute herrscht und der Teaser “schwul” weiterhin wirkt, ist die massenmediale Resonanz gross. Selbst in Basel wird das Thema gross gefahren und ein welsches Gay-Magazin befasst sich ebenfalls damit.

Stadtparteipräsident Markus Hungerbühler (rechts), sein Lebenspartner Dominik Mazur, auch er CVP-Mitglied, und die Kantonalzürcher CVP verpassten es mit ihrer Aktion, die Gunst der Stunde optimal zu nutzen. Inhalte formulierten sie keine. Stattdessen wissen wir nun, dass noch 79 weitere Plakatsujets mit CVP-Köpfen folgen werden – gestaffelt über mehrere Jahre.

Dass Websites bei Parteien und Politiker oft in Vergessenheit geraten, ist bekannt. Der aktuelle Fall der CVP ist exemplarisch: Erst am Freitagabend schaltete die Kantonalpartei einen Medienspiegel auf. Zeitgleich platzierte Hungerbühler ein paar wenige Zeilen auf seiner Website. Die Referate bzw. Informationen der Medienkonferenz sind nicht online verfügbar.

Und jetzt wirds grotesk: Die CVP-Stadtpartei würdigt die enorme Präsenz ihres Präsidenten bislang mit keiner Zeile. Der Surfer wird “herzlich willkommen” geheissen. Prominent in der Mitte der Website ist die “neue Ausgabe” des vierteljährlich erscheinenden Magazins Vitamin CVP zum Herunterladen bereit. Sie stammt vom Dezember 2011.

Auf Facebook hätte die Partei unmittelbar nach der Medienkonferenz eine Diskussion über die Einführung des Adoptionsrechts von schwulen und lesbischen Paaren lancieren können. Damit wäre die nationale Partei herausgefordert gewesen, der Diskurs hätte weitere Aufmerksamkeit und ein schärferes Profil zu Folge gehabt. Nichts dergleichen geschah, die Page der Kantonalpartei verzeichnet gerade einmal 13 Likes und Protagonist Hungerbühler mochte offensichtlich nicht in ein Wespennest stechen.

Dieser Fall zeigt einmal mehr: Das Internet mit seinen Möglichkeiten ist bei den Schweizer Parteien noch nicht richtig angekommen. Es passieren immer wieder die altbekannten Fehler.

Mark Balsiger

Foto/Plakat: zvg/blick

 

Doris Fiala ist wie ein Kampfhelikopter: Wo immer sie auftaucht, wirbelt der Staub

Die Konstellation wäre ideal gewesen: Gestern Abend vermeldete die Zertifizierungsstelle Zewo, dass sie sich mit der Aids-Hilfe Schweiz geeinigt habe. Nur wenige Stunden später war die umstrittene Präsidentin Doris Fiala in der Talk-Sendung “Schawinski” zu Gast. Ihr Auftritt überzeugte nicht, genauso wenig wie zuvor ihre Krisenkommunikation in eigener Sache.

Man kann von FDP-Nationalrätin Doris Fiala (Bild) halten, was man will, etwas muss man ihr lassen: Sie kann wie ein Verteidiger der Squadra Azzurra einstecken. Dass sie ebenso hart austeilt, musste etwa ihr Parteikollege Fulvio Pelli erfahren. Dank ihrer jahrelangen Dauerkritik am Noch-Parteipräsidenten, scharfer Rhetorik und der Volksinitiative gegen das Verbandsbeschwerderecht, die sie mit 1,3 Millionen Franken durchboxte, akzentuierte sie ihr Profil, wurde bekannt und 2007 schliesslich in den Nationalrat gewählt. Die Analogie zum italienischen Fussball ist gewollt, “Forza, Fiala” hiess damals einer ihrer Slogans.

Fiala steht seit nunmehr drei Wochen in der Dauerkritik. Viele andere Politikerinnen und Politiker hätten längst den Bettel hingeschmissen, nicht so die streitbare Zürcherin. Das verdient Respekt. Als gelernte PR-Assistentin und Inhaberin einer PR-Agentur hätte sie allerdings wissen müssen, wie man den Professionalisierungsschub bei der Aids-Hilfe Schweiz kommuniziert. Wenn ein ehrenamtliches Präsidium plötzlich mit 50’000 Franken statt wie bisher mit 20’000 Franken bezahlt wird, sorgt das für Aufsehen, erst recht bei einer Politikerin mit dem Profil Fialas. Also pro-aktiv raus damit.

Rollen erst einmal die negativen Schlagzeilen – Abzocker, Fiala, FDP, Herzensangelegenheit, ach ja?! -, gibts keine Möglichkeit mehr, sie ins Positive zu drehen. Die Geschichte ist gelaufen, die Meinungen sind gemacht, die Journalisten “dissen“, das Volk wettert. Da spielt es keine Rolle mehr, ob der Verein Aids-Hilfe Schweiz Fialas Salär klar gutgeheissen hat. Solche Randnotizen interessieren kaum jemanden mehr.

Die Krisenkommunikation in eigener Sache will ihr nie richtig gelingen, sie muss immer nachbessern oder ihre Position komplett neu erarbeiten. Zuerst sagte sie, ein Nachgeben gegenüber den Forderungen der Stiftung Zewo, die die Zertifizierung für gemeinnützige Organisationen vornimmt, käme einem Schuldeingeständnis gleich. Später akzeptiert sie sie doch. Die gemeinsame Medienmitteilung von gestern Abend:

Medienmitteilung Zewo & Aids-Hilfe Schweiz (19. März; PDF)

Doris Fiala geht die Sensibilität für Schwingungen ab, sie hat auch Mühe, die Lage jeweils richtig einzuschätzen. Das kann an ihrem zupackenden Naturell liegen, am “Go, Fiala, go”, so ein anderer Slogan aus ihrer 2007-er-Wahlkampagne. Sie taucht wie ein Kampfhelikopter aus dem Nichts auf, Staub wirbelt und es wird laut. Zudem gehen ihr die Emotionen durch.

Das zeigte sich gestern Nacht bei Roger Schawinski exemplarisch. Fiala verlor mehrmals die Contenance und damit die Unterstützung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Während des Talks versuchte sie immer wieder, Worthülsen zu platzieren. Bei einem Schawinski funktioniert das nicht. Sie verpasste die Gelegenheit, sich in der Sendung gelassen und klar zu äussern. Und damit auch die Möglichkeit, wieder Vertrauen aufzubauen.

Die Causa Fiala zieht auch andere in Mitleidenschaft: primär die Aids-Hilfe Schweiz, aber auch die FDP und die PR-Branche. Schafft Fiala mit der Aids-Hilfe den Turnaround – im letzten Vereinsjahr resultierte ein Minus von 330’000 Franken – hat sich die streitbare Politikerin rehabilitiert. Dafür bleiben ihr 15 Monate Zeit.

 

P.S.  Wie man die Sendezeit von “Schawinski” mehr als nur überstehen kann, zeigen zwei Parteikolleginnen Fialas: Karin Keller-Sutter (Regierungsrätin SG, inzwischen Ständerätin), am 5. September 2011 mit einer überzeugenden Performance, Christa Markwalder (Nationalrätin BE) am 23. Januar dieses Jahres sogar mit einem Glanzauftritt.

Foto Doris Fiala: keystone

 

Natalie Rickli im Sturm der Medien

Haben Christoph Blocher und Christoph Mörgeli nun “ein Ding gedreht”, damit ihre Favoritin Natalie Rickli doch noch ins Fraktionspräsidium gewählt werden konnte? Auch nach Ricklis Auftritt bei “Tele Züri” von heute Abend steht es in diesem Punkt weiterhin Aussage gegen Aussage. Aufschlussreich war das Interview des SVP-Medienstars dennoch.

Die Preisfrage vorweg: Kennen Sie die Fraktions-Vizepräsidentinnen und -präsidenten bei der BDP, CVP, FDP, GLP, den Grünen oder der SP? Vermutlich nicht, doch damit sind Sie nicht alleine: Selbst die Polit-Aficionados im Bundeshausperimeter hätten ihre liebe Mühe, die Namen dieser Leute aufzuzählen. In der Medienarena spielen sie keine Rolle, dort stehen die Parteipräsidenten und Fraktionschefs, ab und an die Vize-Parteipräsidenten.

Nationalrätin Natalie Rickli ist die grosse Ausnahme: Sie gehört seit wenigen Tagen zum Vize-Fraktionspräsidium der SVP. Allerdings schaffte sie die Wahl erst nachdem diese nochmals wiederholt worden war. Prompt wirbelte dieser Fall, in den Medien als “Eklat” bezeichnet, kräftig Staub auf; Fraktionschef Adrian Amstutz sah sich veranlasst, im Mediendienst der Partei Stellung zu nehmen.

Nachdem Rickli sich auf ihrer öffentlichen Facebook-Fanseite despektierlich geäussert hatte und damit einen regelrechten “Shitstorm” auslöste, war in den letzten Tagen genug Stoff vorhanden für süffige Storys. Heute schien sie wieder Tritt zu fassen. Sie sagte Ja zu einem exklusiven Auftritt in Markus Gillis “TalkTäglich”. Den Auftritt bei “Tele Züri” kündigte sie frühzeitig über Twitter und Facebook an, Kanäle, die sie regelmässig und medienbewusst bedient.

Die Wahl des Mediums und des Sendegefässes war clever: Rickli ist sehr telegen und pflegt eine einfache Sprache, damit sie von allen verstanden wird. Die 20-minütige Talksendung gibt ihr viel Raum, dank dem Live-Charakter kann sie ihre Botschaften platzieren, Botschaften, die dann von Online- und Printmedien rezipiert werden. Im Lehrbuch steht, dass man so die Kommunikationshoheit wieder zurückgewinnen kann.

Mit ihrem Auftritt von heute Abend bei Markus Gilli ist das Rickli nicht in gewohnter Manier gelungen. Mehrfach reagierte sie dünnhäutig, ja gereizt. Einmal erklärte sie: “Ich habe dieses Ämtli ja nicht nötig” – ein Schuss ins eigene Knie. Zudem verpasste sie es, sich für ihre verbale Entgleisung (“Wie krank muss ein Fraktionskollege sein?”) ) vom letzten Freitag zu entschuldigen.

Rickli hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Im Frühling 2007 wurde sie auf Anhieb in den Kantonsrat gewählt, sechs Monate später bereits in den Nationalrat. Dabei verdrängte sie Ulrich Schlüer, ein Baumeister des SVP-Erfolgs, zugleich auch so etwas wie das Gegenstück zu Rickli. Seither ist sie ein Medienstar, ominpräsent und immer gut für ein knackiges Zitat. Für die Partei ist sie Gold wert: Sie gibt der SVP ein junges attraktives Gesicht und sie kaschiert, dass der Frauenanteil in der Bundeshausfraktion nur gerade 11 Prozent beträgt.

Nun ist der “Ikarus von Winterthur” (Gilli) erstmals selber in den Sturm der Medien geraten. Damit hat Rickli nicht gerechnet und auch die Kritik aus den eigenen Reihen erwischte sie auf dem falschen Fuss. Dass sich der Neid einmal entladen musste, war klar, spätestens nachdem sie bei den Nationalratswahlen 2011 das beste Ergebnis aller Kandidierenden erzielt hatte. Dem “SVP-Engel” wurden die Flügel ein wenig gestutzt, in ein paar Tagen kehrt wieder Ruhe ein.

Mark Balsiger

 

Nachtrag vom Dienstag, 31. Januar 2012, 13.00 Uhr:

Am Morgen war Natalie Ricklis Website nicht aufrufbar, eben vermeldete sie über Twitter:

“TalkTäglich von gestern: daa.li/ubR Hiermit ist alles gesagt zu den Fraktions-Vizepräsidiumswahlen. Vielen Dank für den Support!”

Screenshot Natalie Rickli: TeleZüri/blick

Bruno Zuppiger ist weg vom Fenster

Jede politische Karriere ist auf Sand gebaut. Diese Erfahrung macht Bundesratskandidat Bruno Zuppiger seit ein paar Stunden. Eine “Erbsünde” holte ihn ein. Ob es sich um einen Skandal oder ein laues Lüftchen handelt, spielt dabei keine Rolle. Die Integrität des leutseligen SVP-Mannes ist beschädigt, die Chancen auf eine Wahl dahin.

 

Erinnerungen an den Fall Kopp 1988/89 werden wach. Nachdem der ersten Bundesrätin der Schweiz schon seit Monaten ein steifer Wind ins Gesicht geblasen hatte, fragte Fraktionschef Ulrich Bremi am Ende der entscheidenden Sitzung: “Ist da noch etwas?” Elisabeth Kopp verneinte. Kurz darauf flog das Telefongespräch auf, das sie mit ihrem Mann Hans W. Kopp, Verwaltungsrat der Handelsfirma Shakarchi, geführt hatte. Gegen Shakarchi war wegen Geldwäscherei ermittelt worden; Elisabeth Kopp konnte ihren Kopf nicht mehr retten.

Der Vergleich mit dem Fall Zuppiger, den die “Weltwoche” heute Nachmittag publik machte, ist natürlich konstruiert. In der Mechanik ist er aber ähnlich: Ein Spitzenpolitiker muss intuitiv spüren, wann es Zeit ist, die Hosen runterzulassen. Ohne zu zögern und ohne noch irgendetwas verstecken zu wollen. Der Zuger SVP-Regierungsrat Heinz Tännler war vor zweieinhalb Wochen ein Beispiel aus dem Lehrbuch, wie man es macht. Nach seinem pro-aktiven Outing (Fiaz, Familienverhältnisse) hat er sogar an Statur gewonnen.

Bruno Zuppiger hat es verpasst, sich rechtzeitig und vor einer breiteren Öffentlichkeit zu erklären. Nur die SVP-Spitze zu informieren reicht nicht, der Verweis auf eine Stillschweigevereinbarung hat etwas hilfloses. Die Story, die uns “Weltwoche”-Autor Urs-Paul Engeler auftischt, ist möglicherweise nicht annährend so brisant, wie sie sich liest. Der Fall konnte rechtlich vor einem Jahr abgeschlossen werden, moralische Aspekte lösen sich aber nicht einfach in Luft auf. Zuppiger steht in einem diffusen Licht, seine Integrität ist in Frage gestellt.

Es sind die einfachen Fragen, die den Mann auf der Strasse beschäftigen. Sie bringen den Bundesratskandidaten in die Bredouille:

– Rechtfertigte dieses Mandat einen Ansatz von CHF 350.00 in der Stunde?
– Wie kommt es, dass für erfolglose Nachforschungen nach Verwandten in Deutschland mehr als 500 Stunden fakturiert werden konnten?
– Weshalb wurde ein Betrag von rund CHF 100’000.00 Bruno Zuppigers Privatkonto gutgeschrieben?
– Wieso hat Zuppiger bei der Nomination durch die SVP-Fraktion den Fall nicht selber aufs Tapet gebracht?

Im Medienhype, der nun losbricht, werden aus Gerüchten binnen 24 Stunden Fakten. Zuppiger hat keine Chance, die Kommunikation aktiv zu gestalten. Er kommt nicht mehr aus seiner defensiven Position heraus. Der Fall, so wie wir ihn im Moment kennen, reicht vollkommen aus, um in der Bevölkerung ernsthafte Zweifel an seiner Person zu sähen. Es reicht auch in Sachen Bundesratskandidatur: Zuppiger ist weg vom Fenster.

Die Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung, die auf die Verhinderung eines zweiten SVP-Bundesrats hinarbeiten, sind noch deutlicher im Vorteil. Sie haben einen Trumpf zugespielt erhalten, der ihre Strategie weiter stärkt. Sie lautet: Die sechs bisherigen Bundesräte wiederzuwählen und im siebten Durchgang die SP-Vakanz mit einem offiziellen SP-Kandidaten zu besetzen. Einen Bundesrat mit einer angeschlagenen Integrität dürfe man sich nicht leisten, wird es heissen. Und verwiesen wird auf den Fall Kopp. Die SVP bleibt demnach am 14. Dezember aussen vor.

Gut möglich, dass hinter dem Fall Zuppiger ein Komplott steckt. Für Medien und Publikum ist das einerlei, das Trommelfeuer hat begonnen. Die Blicke richten sich auf Parteipräsident Toni Brunner: Wie lange dauert es, bis die SVP-Spitze einknickt und Zuppiger zurückzieht? Oder hält sie demonstrativ an diesem Kandidaten fest, weil sie den zweiten Bundesratssitz eigentlich gar nicht will? Es ist Zeit für Verschwörungstheorien.

 

Mark Balsiger

P.S.  Einen Teil meiner beruflichen Tätigkeit besteht darin, Politikerinnen und Politiker zu beraten. Beim Erstgespräch kommt stets derselbe Fragenraster zum Zug. Ein Punkt heisst “Hosen runter”. Aussereheliche Affären, laufende und ehemalige Rechtshändel, Leichen im Keller – alles müsse auf den Tisch, sage ich jeweils mit einem Verweis auf den Fall Aliesch (2001, die sogenannte Pelzmantel-Affäre in Graubünden), den Fall Borer (2002, der zwar später zu einem Fall Ringier drehte), den Fall Nef, der sich auch zu einem Fall Schmid auswuchs. In allen Fällen konnten die Schlüsselfiguren ihren Kopf nicht mehr retten.

Soviel zum Sturm auf das Stöckli

In den Kantonen Aargau, St. Gallen, Uri und Zürich will das Volk nichts von SVP-Vertretern im Ständerat wissen. Der gross angekündigte “Sturm auf das Stöckli” ist damit zu einer Chiffre verkommen, über die die SVP-Gegner noch lange spotten werden. Dass allein die Ankündigung dieses Sturms eine derart grosse mediale Resonanz auslösen konnte, müsste zum Nachdenken anregen.

Wer robust wächst, bekommt Appetit auf mehr. Das gilt auch für die SVP. Bei den Nationalratswahlen 1987 erreichte sie noch bescheidene 11.0 Prozentpunkte, von 1991 an legte sie kontinuierlich zu, was 2007 bei 28.9% kulminierte – ein Wachstum, das die eigenen Leute berauschte und die Gegner verzweifeln liess.

Im Ständerat hingegen kam Blochers Partei bislang nicht vom Fleck, sie dümpelte mit 4 bis maximal 8 Sitzen vor sich hin. Die Erklärung ist einfach: Ständeratswahlen sind mit Ausnahme der Kantone Jura und Neuenburg Majorzwahlen, es braucht mehrheitsfähige Kandidaturen, die weit über die eigene Basis hinaus unterstützt werden. In den meisten Kantonen sind für eine Wahl 50 Prozent der Stimmen nötig – eine hohe Hürde.

Der am 7. April gross angekündigte „Sturm auf Stöckli“ ist, wie wir spätestens seit heute Abend definitiv konstatieren können, kläglich gescheitert. Die SVP hat im Ständerat nur noch 5 Sitze, 2 weniger als bei den Wahlen vor vier Jahren. Das “Volch” liess die Volkspartei im Stich, wie “TagesWoche”-Redaktor Philipp Loser schon vor ein paar Tagen treffend kommentierte.

Dass der Sturm chancenlos ist, war schon bei seiner Ankündigung klar. Die schweizweit bekannten SVP-Schlüsselfiguren, seit langem mit dem Etikett “Hardliner” stigmatisiert, vermögen nicht in die Mitte auszustrahlen, um dort die entscheidenden Stimmen zu holen.

Trotz dieser mehr als klaren Ausgangslage generiert die grosse Medienkonferenz von Brunner, Blocher und Baader im Bundesmedienzentrum einen Grossauflauf. Der Sturm auf die Agenda war geglückt, eine blosse Ankündigung beherrschte die Schlagzeilen aller Mediengattungen. Und sie blieb Thema, monatelang.

Es scheint sich zu einem ungeschriebenen Gesetz entwickelt zu haben: Wen die SVP ruft, strömen die Medienschaffenden herbei und berichten, analysieren und kommentieren auf Teufel komm raus. Dieser Magnetwirkung hat sich die SVP in den letzten 20 Jahren hart und mit viel Cleverness erarbeitet. Die Medienlogik unterstützt sie dabei kräftig.

Stellen wir uns vor, die FDP-Spitze mit Fulvio Pelli und Gabi Huber, flankiert von den Parteistars Karin Keller-Sutter (SG) und Pierre Maudet (Genf), hätte im Frühling ebenfalls zu einer Medienkonferenz gerufen, um einzig ihr Wahlziel für die Nationalratswahlen bekanntzugeben: 20 Prozentpunkte (vgl. 2007: 15.7%), also ähnlich utopisch wie der Sturm der SVP auf das  Stöckli.

Drei oder vier Bundeshausjournalisten hätten der Einladung Folge geleistet, sich entspannt auf die Bänke gefläzt und innerlich lächelnd den Ausführungen der FDP-Spitzenleute gelauscht. Hernach wären eine paar genüssliche Glossen über den hochmütigen Freisinn entstanden.

Mark Balsiger