Oft und laut wird in unserem Land die tiefe Beteiligung bei Wahlen und Abstimmungen beklagt. Früher seien die Schweizerinnen und Schweizer politisch aktiver und interessierter gewesen. Das mag stimmen. Aber früher gab es eine Parteipresse, Mitglieder von Milieus, die gemeinsam für etwas kämpfen mussten.
Was nützt das rückwärts gewandete Lamento? Wenn viele Menschen den Zugang zur Politik nicht finden oder sich um sie foutieren, müssen andere Ansätze her. Gefordert sind die Politikerinnen und Politiker auf allen Stufen. Gefordert sind insbesondere auch die Medien. Ihre Übersetzungsarbeit ist sehr wichtig: Sie müssen informieren, erklären, gewichten, einordnen. Tag für Tag. Inzwischen sogar Stunde für Stunde.
Das Internet hat das Potential, die Leute wieder vermehrt für Politik zu sensibilisieren. Smartvote, vor fünf Jahren lanciert, ist ein gelungenes Beispiel dafür. Diese Online-Wahlhilfe berechnete im eidgenössischen Wahljahr 2007 mehr als eine Million Wahlempfehlungen, 85 Prozent aller Kandidierenden schalteten ihr Profil bei Smartvote auf. Das sind Rekordwerte!
Die Vermittlung von Politik ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich bewege mich dabei an den Schnittstellen von Politik, Medien und Öffentlichkeit. Entsprechend taufte ich vor sechs Jahren meine Firma Border Crossing. Das Credo: Grenzüberschreitend wirken, zusammenführen, Gräben zuschütten, übersetzen, beleuchten – und nicht zuletzt mithelfen, damit das gegenseitige Verständnis wächst.
Basierend auf dieser Tätigkeit ist die Lancierung des virtuellen Diskussionsforums “wahlbistro.ch” logisch. Früher diskutierten politisch Interessierte im “Bären” oder “Rebstock”. Diese Kultur ist praktisch ausgestorben. Das Wahlbistro ist die logische Antwort unserer Zeit.
So präsentiert sich das Wahlbistro optisch, ein erster “Screenshot”:
Smartvote ist primär ein Service für Wählerinnen und Wähler. Das Wahlbistro hingegen richtet sich auch an Politiker und Kandidatinnen, die sich profilieren möchten. Sie können ihre Eckdaten sowie eine Foto von sich hochladen und mit guten Kurz-Beiträgen an den Debatten teilnehmen. So werden sie bekannter. Die Teilnahme ist für alle gratis. Entscheidend: Das Wahlbistro ist parteipolitisch unabhängig.
Und sieht etwa so aus – der zweite “Screenshot”:
Selbstverständlich kann das Publikum sich einschalten – im Wahlbistro ist für alle Platz. Vorausgesetzt man hält sich an die Hausregeln. Dank der Kooperation mit Smartvote können die Gäste im Wahlbistro auch die Smartspider (Spinnennetzprofile) der Kandidierenden aufrufen. Auf den Smartvote-Profilen wiederum sieht man, welche Kandidierenden sich im Wahlbistro zu welchen Themen äusserten. Das ist ein ausgebauter Service – und eine Innovation.
Meines Wissens gibt es in der Schweiz keine derartige Möglichkeit des permanenten Austausches unter politisch Interessierten. Beim Polit-Blog “NZZvotum” durften im letzten Jahr zehn gestandene nationale Parlamentarier regelmässig publizieren – auf Einladung der Redaktion. Die User beteiligten sich mit ihren Kommentaren. Das Wahlbistro geht weiter und setzt auf Gleichberechtigung.
Vorerst – als Pilot – ist das Wahlbistro im Kanton Bern geöffnet, weil hier im Herbst in vielen Gemeinden Wahlen stattfinden werden. Die Debatten beginnen frühestens am 1. September. Wichtig ist nun, dass sich viele Interessierte anmelden.
Das Wahlbistro schwirrte mir als Idee seit Langem im Kopf herum. In den letzten Wochen wurde das Projekt konkret, heute purzelte es in die Welt – unbemerkt. Beim “Düredänke”, Entwickeln und Umsetzen haben mitgeholfen: Monika Tschumi, Natascha Mathis, Andi Jacomet, Lukas Golder, Stefan Vogt, Marco Zanoni, ein Dutzend Statistinnen und Statisten beim “Fotoshooting”, sowie die Smartvote-Cracks Lea Hänsenberger (IT), Jan Fivaz, Marco Ineichen, Julien Fiechter und Lukas Pestalozzi.
Euch allen gebührt mein aufrichtiger Dank!
Mark Balsiger